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derStandard.at | derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
14. Oktober 2008
18:56 MESZ

Täglich 14-20.00, Finissage 19. 10. bis 22.00, www.diezelle.net

 

EinRaumals Spiegel menschlicher
Dualität.


Jakob Neulinger: "Conductor", Installation 2008


Temporäre Frischzellenkur
Eine junge Szene besetzt mit Kunst höchst gelungen ein zukünftiges Abrisshaus

Wien - Zentral ist etwas anderes. Zwei Buslinien fahren hier hinaus. Am Fenster ziehen Häuserfassaden vorbei, die einer TV-Serie ihre klischeebeladene Berühmtheit verdanken, während drei Kaisermühlener von ihren jüngsten Akademietheater-Besuchen schwärmen. Schiffsmühlenstraße 120 - man ist am Ziel. Effektvoll markiert rot-weißes Absperrband (Kunstgruppe Horst), dass hinter der nüchternen Fassade des ehemaligen Wassergüteamts etwas passiert: Kunst. Eine Woche lang.

Wasser gibt es keines mehr, dafür immerhin wieder Strom und drei Dixi-Klos, die allerdings schon bessere Tage sahen.

"Sicher, es ist ja auch eine studentische Veranstaltung", erklärt Katharina Schildgen bei der Tour durch drei Stockwerke das auffallend junge, aber zahlreich erschienene Publikum, 400 bis 500 Gäste am Eröffnungstag. Schildgen ist Mitglied des Vereins Die Zelle, der die Ausstellung mit dem mageren Budget von rund 5500 Euro organisiert hat. Durch Mundpropaganda wurde das Projekt publik; kuratiert wurde nicht. Wer zuerst kam und seine "Zelle" besetzte, war dabei. Binnen kürzester Zeit waren die "Zellen", wie die zu erobernden 60 Räume programmatisch definiert wurden, belegt; zusätzlichen Ausstellungsraum fand man kurzerhand in zehn Kästen.

Neben dem Geruch frischer Farbe hängt ein Hauch von Bier und Party in den Gängen, in denen es gestern noch wuselte. Viele Künstler, die zum Teil aus Polen, Tschechien und Deutschland anreisten, sind abgefahren, manche Türen heute verschlossen. Ein paar sind dennoch da, dokumentieren ihre vollständig selbstfinanzierten künstlerischen Eingriffe. Auch Jakob Neulinger fotografiert gerade: "Das laborhafte Arbeiten an Versuchsanordnungen kommt mir entgegen", beschreibt er die Faszination des leerstehenden Gebäudes und dessen ehemaliger Struktur: "Ich war sofort begeistert, vor Ort zu experimentieren", und wie zum Beweis pulst hinter ihm der Glühdraht seiner Installation Conductor wieder auf.

Für viele der teils höchst qualitativen Arbeiten wird auch das vor Ort vorgefundene Material oder Mobiliar verwendet: Markus Gradner lässt grünen Schaum, ästhetisch eindrucksvoll, aus einem der Laborbecken quellen. Mischa Guttmann und Benedikt Kirsch nutzen die Plastikschalen der Neonröhren als Projektionsmodule. Max Illing, Sophie Wyschka und Vera Kunz hingegen haben ihren Raum im Abrisshaus aufwändig adaptiert. Ihre Arbeit machte es nötig: Du weißt mein Herz spiegelt die Dualität des Menschen: Vernunft und Triebhaftes. Auf einer dunklen Wasseroberfläche spiegelt sich das Grün der Bäume: Rund 1600 Liter Wasser wurden per Gartenschlauch mühselig aus den Nebengebäuden eingeleitet.

Weitere Highlights sind Peter Wehingers im Raum gleichsam schwebender Betonblock, Sissa Michelis Krimi-Installation, die mit den Erwartungen der Betrachter spielt, und Nina Hollensteiners Please jump now: Knapp über Kopfhöhe endet der Trampolin-Sprung.

Im kommenden Frühjahr will die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) hier 130 neue Wohneinheiten bauen. Dennoch hegt Die Zelle Hoffnung, die Räume noch länger für die junge Szene zu nutzen. Es würde sich lohnen! (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 10. 2008)

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