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06.08.2003 19:22

Großaufnahme(n) eines Stahlriesen
Johannes Holzhausen und Joerg Burger rücken mit "Schicht für Schicht" die Arbeiter der Voest in den Mittelpunkt - Foto

"Schicht für Schicht", ein Kunstfoto- und Interviewband von Johannes Holzhausen und Joerg Burger, widmet sich einem ungewöhnlichen Sujet: Er rückt Schichtarbeiter der Voest in den Mittelpunkt. Innenansichten des österreichischen Paradebetriebs, der zuletzt durch Verkaufspläne in die Schlagzeilen kam.




"Das Ärgste ist der schlechte Sechzehner gewesen." So hieß in den 50er- und 60er-Jahren die gefürchtetste Schicht. Sie begann um zehn Uhr abends und endete um 14 Uhr am nächsten Tag. "Der Vormittag", erinnert sich der Laborant Horst Richter, "war für die Leute ein Horror."

Die Voest hat viele Geschichten wie diese und noch mehr Gesichter zu bieten. Schicht für Schicht, ein im Triton Verlag erschienener Fotoband, den der Dokumentarfilmemacher Johannes Holzhausen gemeinsam mit dem Kameramann und Fotografen Joerg Burger gestaltet hat - beide arbeiteten zuletzt auch bei dem Film Auf allen Meeren zusammen -, hat von beiden eine Fülle zu bieten.

Das Buch wurde vom Angestelltenbetriebsrat der Voest anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des LD-Verfahrens in Auftrag gegeben. Dabei war Burger und Holzhausen von Anfang klar, dass für sie ein herkömmliches Sachbuch nur bedingt interessant ist. Der ein wenig versteckte politische Hintergrund für die dokumentarische Bestandsaufnahme hieß ja schließlich auch, ein anderes Gesicht der Voest, die Basis, zu präsentieren - mit Identifikationscharakter:

Nicht also den Hightech-Betrieb, das moderne Unternehmen, in dem menschliche Arbeitskraft von Technologien wenn nicht ersetzt, dann zumindest laufend eingeschränkt wird. Vielmehr galt es, den "Körper" des Betriebs, die Schicht und dabei vor allem die Arbeit am Hochofen beziehungsweise das diesen umgebende Handwerkertum in den Mittelpunkt zu rücken.

Rund um die jüngst ausgebrochene Verwirrung um die Privatisierung der verbliebenen Staatsanteile der Voest und der durch die Geheimverhandlungen der ÖIAG mit Frank Stronachs Magna-Konzern ausgelösten Verunsicherung, dem Betrieb drohe ein Ausverkauf an das Ausland, womöglich gar eine Filetierung, kommt dem Buch unverhoffte Aktualität zu:

Wird durch diese Debatte schon deutlich, wie sehr der im Krieg als Hermann-Goering-Werke für die Rüstungsindustrie geschaffene Betrieb österreichische Identität repräsentiert, so lässt sich Schicht für Schicht als eine Nachlese in Bildern und Texten begreifen, die diesem Konstrukt den konkreten Menschen - den individuellen Arbeiter und seiner Biografie - gegenüberstellt.



Arbeiter im Visier

Den Kern des Bandes bilden Burgers Porträts der Arbeiter, die, meist in Schwarz-Weiß fotografiert, physische Verfassungen, die Spuren der Arbeit am Körper zeigen, aber auch von einem stets spürbaren Gemeinschaftsinn und Stolz erzählen. "Von Anfang an war klar", erzählt Burger gegenüber dem STANDARD, "dass es um keine Reportage ging. Das Buch sollte auch als Kunstprodukt funktionieren."

Dennoch hatte er keineswegs eine vordergründige Ästhetisierung im Sinn: Er fotografierte etwa, die Arbeiten des Brasilianers Sebastiao Salgado zum Vorbild nehmend, ganz ohne Kunstlicht, was ihm ermöglichte, flexibel zu bleiben für spontane Eindrücke. So störte er die Arbeiter nicht und konnte sie zugleich in ihrem angestammten Terrain festhalten.

Zu den schönsten Aufnahmen zählen denn auch jene, in denen eine Arbeitssituation greifbar wird - ob die Männer am Hochofen mit rußgeschwärzten Schutzmänteln, hinter sich das Eisen, das sich wie ein Lavastrom seinen Weg bahnt, oder bloß eine körperliche Bewegung, die sich in der leichten Unschärfe des Bildes manifestiert. Mitunter sprühen Funken wie bei einem Feuerwerk und treiben das Foto an den Rand der Abstraktion, dann sind die Haltungen wieder sonderbar statisch und drücken eine gespannte Aufmerksamkeit aus.

Kontrastiert werden diese Porträts von Aufnahmen der Architektur. Hierbei folgt Burger weniger einem didaktischen Prinzip, das die einzelnen Schauplätze für den Laien erläutert, als dass er das "Fremde" sucht: Von Dampfwolken durchzogen wirken Maschinen wie Ungetüme, in der Nahaufnahme verlieren sie hingegen ihre Räumlichkeit und funktionieren als Bild ohne Referenten.

Burger stieß dabei immer wieder auf Ansichten oder Objekte, die wie aus der Kunst entlehnt scheinen: Die rosafarbenen Gussformen aus der Formerei, ein Bild, das er zu seinen liebsten zählt, erinnern entfernt an die Skulpturen Bruno Gironcolis. Bei manch überdimensionierter Kuppel oder Werkshalle meint man die Entwürfe des James-Bond-Produktionsdesigners Ken Adam vor sich zu haben.

Ergänzt werden die Fotografien um sehr sorgfältig transkribierte Interviews, die Holzhausen mit den Porträtierten geführt hat. In den Aussagen der Arbeiter drückt sich der soziale Zusammenhalt und die Identifikation mit der Voest am stärksten aus, obgleich nicht wenige durch Zufälle geblieben sind. Nicht zuletzt überrascht die Vielseitigkeit der Berufsgattungen - vom Stranggießmetallurgen über den Schrottkontrolleur bis zum Dirigenten des Voestalpine Blasorchesters: "Wir machen Musik aus Blech." (DER STANDARD, Printausgabe, 7.8.2003)


Von
Dominik Kamalzadeh

Schicht für Schicht. "Gesichter der Voest"
hrsg. v. Johannes Holzhausen
Wien: Triton Verlag, 2003

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