Aus zentraler, doch teuerster Lage hat die Republik 3200 Gemälde, 100
Skulpturen, 50 Kunstobjekte und über 3000 grafische Blätter ausgelagert:
ihre Artothek. Die Sammlung der seit 1945 durch die
Kunstförderungsabteilung angekauften Werke übersiedelte aus dem
Winterpalais Liechtenstein (beim Minoritenplatz) nach Hetzendorf. Nicht
ins dortige Schloss, sondern in ein im ärarischen Nulldesign gebautes
Haus, Hetzendorferstraße 76. Es beherbergt das Postamt 1125. Im
Telefon-Wählamt darüber wurde eine Etage frei, seit die digitalen
Telekom-Apparaturen weniger Raum brauchen.
Dort wickelt nun mit einem Fünf-Jahres-Vertrag eine im
Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt gegründete "Gesellschaft zur
Förderung der Digitalisierung des Kulturguts" den Leihverkehr ab. Im
Liechtenstein zahlte der Bund eine Millionen Schilling Miete pro Jahr, nun
beträgt sie weniger als die Hälfte. Mit einem Lastenaufzug fährt man in
den zweiten Stock. Die Schieberegale sind hier montiert, die seit 1986 im
hochbarocken fürstlichen Festsaal - denkmalgeschützt, nicht klimatisiert!
- deplaziert gewirkt haben. 500 Quadratmeter, klimatisiert inklusive
Luftfeuchtigkeitsgrad. Jedes Bild trägt auf der Rückseite einen
Klebezettel mit einem Strichcode. Tastet man es ab, verrät der Bildschirm
- die Software heißt TMS, The Museum System - an welchen Platz es
zurückgestellt werden muss.
Die Qualität der Bundes-Förderkunst enttäuscht. Angekauft
wurde oft, um soziale Not zu lindern. Derzeit hängen zur Auswahl 300
Bilder in den Schieberegalen, aus denen Wiener OSZE-Büros bestückt werden
sollen. Die wenigen Highlights: eine frühe Kogelnik, ein früher
Staudacher, ein kaum als solcher identifizierbarer, weil streng
geometrischer Frohner aus 1957, eine späte Buntstiftzeichnung von Kubin,
ein unscheinbares Boeckl-Stillleben. Hinter den Kulissen eines
Auktionshaus schaut es nicht anders aus. Bloß würde ein kommerzieller
Versteigerer weit mehr als die Hälfte aus dem Artotheklager zurückweisen -
als unverkäuflich.
Zug um Zug mit der Räumung des Ballsaals im Jahr 2002
wurden die Bilder fotografiert zur Speicherung in Datenbanken. Die Grafik
wurde in Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek eingescannt. Das
Endziel soll vor Ende 2003 erreicht sein, sagt der Vereins-Geschäftsführer
Christian Pultar im "Presse"-Gespräch: Dann wird der Artothek-Bestand per
Mausklick im Internet jedermann präsent, als ein "E-Museum".
Bis dahin könnten auch die Schäden einer seit Jahrzehnten
von den Kunstministern tolerierten Schlamperei minimiert werden, die trotz
mehrerer Rechnungshofrügen erst Kunststaatssekretär Franz Morak effektiv
abzustellen begann. Als jüngst der für die Artothek zuständige
Ministerialrat in Frühpension ging, wurden noch 2200 Werke gesucht. Sie
sind in Ankaufslisten vermerkt, aber man weiß noch immer nicht, wo sie
hängen. Nur 15.000 Leihscheine wurden sichergestellt - bei 26.000
Inventarnummern!
Pultar und sein Drei-Mann-Team haben wohl fast vier
Fünftel der fehlenden Bilder orten können, als sie Reste alter Karteien
und mehrmals begonnener EDV-Registraturen durchforschten. An ein Ende aber
kommen sie nie. Es wäre ein Zufall, dass ein Adolf-Frohner-Bild auftaucht,
von dem man nur weiß, dass es 1959 ans "Allgemeine Krankenhaus, Klinik
Hoff" gelangt ist. Die Stadt Wien hat 1945 für das Büro ihres damaligen
Kulturstadtrats Matejka ein Dobrowsky-Blumenbild entlehnt. Es fehlt.
Zufällig wurde beim Umzug ein Bild aus der "Erzberg"-Serie von Boeckl
wieder aufgefunden - es hängt nun im Büro des Kunstsektionsleiters Klaus
Wölfer. Eine kostbare Maria Lassnig fand sich unter einem Stapel Bilder,
den ein Universitätsinstitut zurückgab, als die Fahndungsaktion publik
wurde.
Viele erstklassige Kunstwerke kamen als Dauerleihgaben in
Bundesmuseen. Diese Leihverträge muss der Artothek-Verein nun revidieren.
Pultar, studierter Betriebswirt und als Steuerberater tätig: "Die
Österreichische Galerie Belvedere ist fertig, das Museum moderner Kunst
unterschriftsreif, das Leopold-Museum unterschrieben, die Albertina ist
beim Aufarbeiten - dort sind uns 800 Blätter bekannt". Die Artothek ist
den Museen letztlich dankbar, dass sie zumeist erstklassige und teure
Werke übernommen haben: Die Versicherungssumme für das Lager in Hetzendorf
konnte darum niedrig gehalten werden. Irgendwann wird man beginnen müssen,
wenigstens die hier lagernden Spitzenstücke zu restaurieren, so Pultar.
Aber zuerst sollten möglichst viele verlorene Schäfchen heim in den Stall
finden.
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