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05.03.2003 - Kultur News
Verlorene Schäfchen, heim in den Stall
Die Bundes-Artothek wurde lange als Selbstbedienungsladen geführt. Nur der Strich-Code auf jedem Bild fehlte. Jetzt ist sie ordentlich neu aufgestellt.
VON HANS HAIDER


Aus zentraler, doch teuerster Lage hat die Republik 3200 Gemälde, 100 Skulpturen, 50 Kunstobjekte und über 3000 grafische Blätter ausgelagert: ihre Artothek. Die Sammlung der seit 1945 durch die Kunstförderungsabteilung angekauften Werke übersiedelte aus dem Winterpalais Liechtenstein (beim Minoritenplatz) nach Hetzendorf. Nicht ins dortige Schloss, sondern in ein im ärarischen Nulldesign gebautes Haus, Hetzendorferstraße 76. Es beherbergt das Postamt 1125. Im Telefon-Wählamt darüber wurde eine Etage frei, seit die digitalen Telekom-Apparaturen weniger Raum brauchen.

Dort wickelt nun mit einem Fünf-Jahres-Vertrag eine im Einvernehmen mit dem Bundeskanzleramt gegründete "Gesellschaft zur Förderung der Digitalisierung des Kulturguts" den Leihverkehr ab. Im Liechtenstein zahlte der Bund eine Millionen Schilling Miete pro Jahr, nun beträgt sie weniger als die Hälfte. Mit einem Lastenaufzug fährt man in den zweiten Stock. Die Schieberegale sind hier montiert, die seit 1986 im hochbarocken fürstlichen Festsaal - denkmalgeschützt, nicht klimatisiert! - deplaziert gewirkt haben. 500 Quadratmeter, klimatisiert inklusive Luftfeuchtigkeitsgrad. Jedes Bild trägt auf der Rückseite einen Klebezettel mit einem Strichcode. Tastet man es ab, verrät der Bildschirm - die Software heißt TMS, The Museum System - an welchen Platz es zurückgestellt werden muss.

Die Qualität der Bundes-Förderkunst enttäuscht. Angekauft wurde oft, um soziale Not zu lindern. Derzeit hängen zur Auswahl 300 Bilder in den Schieberegalen, aus denen Wiener OSZE-Büros bestückt werden sollen. Die wenigen Highlights: eine frühe Kogelnik, ein früher Staudacher, ein kaum als solcher identifizierbarer, weil streng geometrischer Frohner aus 1957, eine späte Buntstiftzeichnung von Kubin, ein unscheinbares Boeckl-Stillleben. Hinter den Kulissen eines Auktionshaus schaut es nicht anders aus. Bloß würde ein kommerzieller Versteigerer weit mehr als die Hälfte aus dem Artotheklager zurückweisen - als unverkäuflich.

Zug um Zug mit der Räumung des Ballsaals im Jahr 2002 wurden die Bilder fotografiert zur Speicherung in Datenbanken. Die Grafik wurde in Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek eingescannt. Das Endziel soll vor Ende 2003 erreicht sein, sagt der Vereins-Geschäftsführer Christian Pultar im "Presse"-Gespräch: Dann wird der Artothek-Bestand per Mausklick im Internet jedermann präsent, als ein "E-Museum".

Bis dahin könnten auch die Schäden einer seit Jahrzehnten von den Kunstministern tolerierten Schlamperei minimiert werden, die trotz mehrerer Rechnungshofrügen erst Kunststaatssekretär Franz Morak effektiv abzustellen begann. Als jüngst der für die Artothek zuständige Ministerialrat in Frühpension ging, wurden noch 2200 Werke gesucht. Sie sind in Ankaufslisten vermerkt, aber man weiß noch immer nicht, wo sie hängen. Nur 15.000 Leihscheine wurden sichergestellt - bei 26.000 Inventarnummern!

Pultar und sein Drei-Mann-Team haben wohl fast vier Fünftel der fehlenden Bilder orten können, als sie Reste alter Karteien und mehrmals begonnener EDV-Registraturen durchforschten. An ein Ende aber kommen sie nie. Es wäre ein Zufall, dass ein Adolf-Frohner-Bild auftaucht, von dem man nur weiß, dass es 1959 ans "Allgemeine Krankenhaus, Klinik Hoff" gelangt ist. Die Stadt Wien hat 1945 für das Büro ihres damaligen Kulturstadtrats Matejka ein Dobrowsky-Blumenbild entlehnt. Es fehlt. Zufällig wurde beim Umzug ein Bild aus der "Erzberg"-Serie von Boeckl wieder aufgefunden - es hängt nun im Büro des Kunstsektionsleiters Klaus Wölfer. Eine kostbare Maria Lassnig fand sich unter einem Stapel Bilder, den ein Universitätsinstitut zurückgab, als die Fahndungsaktion publik wurde.

Viele erstklassige Kunstwerke kamen als Dauerleihgaben in Bundesmuseen. Diese Leihverträge muss der Artothek-Verein nun revidieren. Pultar, studierter Betriebswirt und als Steuerberater tätig: "Die Österreichische Galerie Belvedere ist fertig, das Museum moderner Kunst unterschriftsreif, das Leopold-Museum unterschrieben, die Albertina ist beim Aufarbeiten - dort sind uns 800 Blätter bekannt". Die Artothek ist den Museen letztlich dankbar, dass sie zumeist erstklassige und teure Werke übernommen haben: Die Versicherungssumme für das Lager in Hetzendorf konnte darum niedrig gehalten werden. Irgendwann wird man beginnen müssen, wenigstens die hier lagernden Spitzenstücke zu restaurieren, so Pultar. Aber zuerst sollten möglichst viele verlorene Schäfchen heim in den Stall finden.



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