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Jüdische Identität: Was Menschen– und Zebras – miteinander verbindet

07.03.2011 | 18:48 | MARTIN KUGLER (Die Presse)

Zugezogene und Vertriebene, Strenggläubige und Säkulare: Die Fotoausstellung „Jude sein – Being Jewish“ demonstriert die Vielfalt in der Wiener jüdischen Community.

Fragt ein Kurator ein Zebra: ,Was ist Ihre Identität?‘ Sagt das Zebra: ,Was soll die dumme Frage? Ich bin ein Zebra! Mein Vater war eins, meine Mutter war eins, meine Großeltern auch, sogar meine Frau ist ein Zebra, also raten Sie einmal, was meine Kinder sind.‘“ So antwortete der Wiener Unternehmer Erwin Javor, in Budapest als Jude geboren, auf die Frage, was „jüdische Identität“ für ihn bedeute. Gefragt wurde er das vom Fotografen Peter Rigaud und von Gabriele Kohlbauer-Fritz, die die Ausstellung „Jude sein – Being Jewish“ des Jüdischen Museums Wien kuratiert.

Antworten wie diese sind eines der zwei zentralen Elemente der Ausstellung ab heute im Misrachi-Haus am Judenplatz (in dem auch die Reste der mittelalterlichen Synagoge gezeigt werden): Jede Person, die vom Fotografen kontaktiert wurde, konnte einen anderen Menschen nominieren, den er für sie porträtieren solle. Herausgekommen sind 21 Paare von gefühlvollen und beredten Porträts – bunt gemischt aus allen Berufsgruppen, sozialen Schichten, Generationen, manche Porträtierte strenggläubig, andere säkular ausgerichtet, berühmte Persönlichkeiten neben Menschen, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, Menschen, die vertrieben wurden, neben anderen, die erst kürzlich zugezogen sind.

 

Partnerwahl mit Geschichte

Gemeinsam ist ihnen, dass sie auf irgendeine Art Teil der Wiener jüdischen Community sind. Unter ihnen Nobelpreisträger Eric Kandel, Paul Chaim Eisenberg, Eva Menasse, André Heller oder Museumsdirektorin Danielle Spera. „Ich wollte zeigen: Wie sieht das jüdische Leben 2010/2011 in Wien aus“, sagt Fotograf Rigaud, dessen Arbeiten in Zeitschriften wie „Geo“ oder „National Geographic“ genauso erscheinen wie im jüdischen Magazin „NU“.

Hinter der „Partnerwahl“ der Porträtierten stehen teils unglaubliche Geschichten, die das Leben schreibt – insbesondere in Zeiten der Verfolgung. Der Filmproduzent Eric Pleskow zum Beispiel bat den Fotografen, Ari Rath, den langjährigen Chefredakteur der „Jerusalem Post“, zu porträtieren. Die beiden haben sich erst im Jahr 2009 näher kennengelernt, allerdings verbindet sie dennoch eine gemeinsame Vergangenheit: Sie sind im selben Grätzel, in der Porzellangasse im neunten Wiener Bezirk, aufgewachsen, waren sogar im gleichen Tennisklub eingeschrieben – bevor sich ihre Lebenswege zwangsweise trennten.

Man gewinnt beim Durchstreifen der kleinen, aber feinen Ausstellung vor allem einen wichtigen Eindruck: Es gibt nicht die eine jüdische Identität, sondern es gibt sehr viele Spielarten davon. Kuratorin Kohlbauer-Fritz drückt das so aus: „Jeder hat seine eigene Identität.“ Wobei es gewisse Muster gebe: Wenn Menschen religiös sind, dann sei die Identität keine Frage. „Menschen, die nicht sehr religiös sind, denken aber viel länger über ihre jüdische Identität nach.“ Zum Beweis zitiert sie Eric Pleskow, der sagte: „Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich bin zufällig so geboren.“ Eine Spielart, die offenbar vielen Wiener Juden gemeinsam ist, klingt in der Zebra-Metapher des Unternehmers Javor wie folgt: „Ich bin in der Herde groß geworden und kannte nur Zebras. Anfangs waren auch alle meine Freunde Zebras. Jetzt mag ich nicht mehr automatisch alle Zebras. Aber: Wenn ein Löwe kommt, dann bin ich auf der Seite sogar des widerlichsten Zebras und helfe ihm.“

Jude sein – Being Jewish. Jüdisches Museum Wien, Standort Judenplatz. Bis 19.Juni 2011, So–Do 10–18 Uhr, Fr 10–14 Uhr.


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