Salzburger Nachrichten am 18. Dezember 2006 - Bereich: Kultur
Der Standpunkt: Gestaltung statt Verschönerung

CHRISTIAN KüHN

Im Jahr 2003 stellte die Künstlergruppe "gelitin" (damals noch "gelatin" genannt) auf dem Max-Reinhardt-Platz ihren "Triumphbogen" auf, eine Brunnenskulptur, die einen aus Plastilin modellierten, überlebensgroßen und nur mit Ringelsocken bekleideten Mann darstellte, der es zu Wege bringt, durch seinen erigierten Penis zu urinieren, dabei eine Brücke zu machen und den Strahl in den eigenen Mund zu lenken. Es dauerte nur wenige Stunden, bis die Skulptur von der Feuerwehr verhüllt war. Ein paar Tage später war sie entfernt, begleitet von Skandalgeschrei in vielen Medien. Vor lauter Erregung über die Obszönität des Objekts entging der Öffentlichkeit die heimliche Botschaft des Plastilinmannes: Ein Kunstbetrieb, der nur noch für sich selbst produziert und diesen unfruchtbaren Akt für eine Meisterleistung hält, ist grotesk und ekelhaft. Jeder große Kulturbetrieb, auch die Salzburger Festspiele, ist in dieser Hinsicht gefährdet. Immerhin gelingt es allerdings diesen, neben viel Gefälligem und einigen Flops immer wieder großartige Aufführungen hervorzubringen, bei denen das Publikum den Betrieb vergisst und sich existenziell berührt fühlt. Die Architektur, die mit den Salzburger Festspielen in Verbindung steht, hatte in den letzten Jahren weniger Glück. Hier herrscht die Betriebsamkeit von Funktionären, die von Baukunst keine Ahnung haben, sich den Politikern gegenüber aber als letzte Instanz in Geschmacksfragen aufspielen. Bestandswahrung ist ihr Programm, Holzbauer ihr Maßstab und das "Haus für Mozart" ihre Hinterlassenschaft.

Dessen Vorfeld droht unter dem Einfluss dieses Verschönerungsvereins zum gediegenen Vorzimmer des Festspielbetriebs zu werden, eine "zeitgemäß-historisierende" Gartengestaltung im Furtwänglerpark inklusive. Hier müsste aber die Stadt ein Zeichen setzen, dass sie mehr will und mehr kann. Dieser Stadtraum braucht eine Gliederung, die sich an der Umgebung orientiert und nicht allein durch Bepflanzung bewerkstelligt werden kann.

Bevor an diesem Ort noch mehr Schaden entsteht, muss die Stadt die Projektführerschaft übernehmen und die Mäzene freundlich, aber bestimmt daran erinnern, dass die Gestaltung des Stadtraums eine öffentliche Angelegenheit ist. Es müssen klare Vorgaben entwickelt werden, die ein Budget für einen Raum bildenden Hochbau enthalten. Ein Wettbewerb für den Furtwänglerpark und den angrenzenden Stadtraum, in dem Gartenplaner, Architekten und Künstler als Teams antreten, wäre der nächste Schritt zu einer Lösung, die dem Weltkulturerbe angemessen ist. Wenn sich dagegen die Disneyland-Variante durchsetzt, müsste man wohl den "gelatin"-Brunnen wieder aufstellen, um das falsche Idyll ein wenig zu stören.