03.12.2002 19:26
Balkan-Blues eines Bodenständigen
Ein Treffen mit dem Maler Hans Staudacher, bald schon 80 und Österreichs
wohl beliebtester "Abstrakter"
Bald schon wird er 80. Und bevor dann wieder das heftige
allgemeine Schulterklopfen einsetzt, haben Doris Krumpl und Markus Mittringer
mit Hans Staudacher einen Abend ohne Absicht genossen. Das Duell Speisen gegen
Getränke entschieden Letztere für sich.
Wien (Beograd) - Angesichts der Enkel plagt Großeltern stets eine Sorge:
Geht es um der Ersteren leibliches Wohl, hat die eigene Hinfälligkeit Pause. Und
also hat Hans Staudacher vorgeschlagen, ein "Bajonett" zu essen. Darunter muss
man sich einen nicht enden wollenden Spieß vorstellen, auf dem, rhythmisiert
durch Speck, alle Geheimnisse der serbischen Küche Platz finden: Fleisch,
Fleisch und Fleisch. In einer Stichflamme als finaler Akt bei Tisch ultimativ
durchgebraten, harrt es auf einem weiten Bett von Reis und Pommes seiner
Bestimmung - und schreit nach Hilfe. Hans Staudacher bevorzugt Glühschnaps zur
Verdauung. Und bekennt: Jubiläen gehen ihm ziemlich auf den Wecker.
Zu
Österreichs wohl beliebtestem "Abstrakten" ist er vielleicht deshalb geworden,
weil er mittlerweile schon 80 Jahre zählt. Fast: Geboren wurde er am 14. Jänner
1923 in St. Urban am Ossiacher See. Seit seinem 65. Lebensjahr geht es bergauf.
"Da ist der Hans", erzählt seine "seit 44 Jahren mit ihm bekannte" Frau Uschi,
"fast abgekratzt, und da haben sich viele gedacht, jetzt kaufen wir schnell noch
was." Aber der Hans hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, hat eine
Ausstellung nach der anderen bestückt und Bilder am laufenden Band produziert.
Lyrisches Informel lautet die gängige kunsthistorische Formel für seine
Art der Malerei - obwohl er auch schon einmal, wenig lyrisch, nur auf grobem
Verpackungsmaterial gezeichnet hat. Eine Herausforderung in den Wiener
Nachkriegsjahren, als "die Buam" von Ottakring aus regierten. "Die Buam", das
waren die selbst ernannten Meister der Wiener Schule des Phantastischen
Realismus. Immerhin aber konnte er trotz deren Stildiktats mit H. C. Artmann
Dracula spielen.
Als Teppichwäscher in Ottakring und als Schwimmlehrer im
Warmbad Villach hat sich das Kärntner Eisenbahnerkind Staudacher seine Reisen
nach Paris finanziert - damals der Nabel der Kunstwelt. Dort, in der Stadt des
fahrenden Mal-Action-Stars Georges Mathieu, waren auch der Brauer mit seiner
"Angebrauerten" und der - später wegen angeblich anarchistischer Umtriebe
ausgewiesene - Hans "Stutz" Bischoffshausen. Den Mathieu haben die fantastischen
"Buam" in die Wiener Kammeroper gebracht: "Da war es ganz dunkel, und Mathieu
fabrizierte Bilder aus Benzin." (vergl.: das flambierte Bajonett) Dort spielte
aber auch Georg Bucher mit Klaus Kinski, unter der Regie von Staudachers Freund
Herbert Wochinz, später Intendant des Klagenfurter Stadttheaters. Bei den
Kunstaktionen ist damals "rote Farbe so viel und so weit geronnen, dass die
Roten kein Blut mehr gehabt haben". Die Übersiedelung nach Wien nennt Staudacher
eine "Emigration", notwendig, da seine Kunst in Kärnten einfach nicht
ausgestellt wurde.
In Wien war das anders, die Secession lange sein
Leben. Sogar gewohnt hat er dort, irgendwo unterm Dach, das noch lange nicht
glänzte, in einer Kammer, die noch längst keine Krischanitz-Möbel kannte. Dafür
"haben wir den Kokoschka wieder nach Wien geholt, der wollte dort eigentlich nie
mehr ausstellen". Professor wollte der Autodidakt Staudacher nie werden,
schließlich "bin ich kein akademischer Maler".
Wen er alles kannte,
damals? "Flora, Fauna, Moldowan, den Hans Lebert, den Thomas Bernhard und auch
die Witwe Polke. Ja, und den Wolfi Bauer und den jungen Peter Handke." Kritiker
haben ihn meistens verrissen, der Alfred Schmeller, damals Direktor des
20er-Hauses, empfahl seine Bilder dem Coloniakübel. Dafür fand er sich dann als
"Schmäler" auf einem Staudacher-Gemälde verewigt.
Ironie? "Ich war immer
ironisch. Nur hab' ich immer todernst und viel gearbeitet." Vielleicht hält sich
deshalb hartnäckig das Gerücht, dass der Staudacher Unmengen von Geld unter
seiner Matratze horte. "Verkauft habe ich zu Beginn überhaupt nichts, bloß die
,Pipperln', die ich als Kind gemalt habe. Jetzt werde ich sogar gefälscht - was
bedeutet, dass ich bedeutend bin - aber so schlecht, in der Art kopiert, wie der
Pfarrer das Amen macht." Heute kommen auch viele zu ihm, die schulterklopfend
meinen: "Du bist ja nicht mehr zum Derzahlen!" Staudacher kommentiert das ohne
Bitternis: "Mein Freundeskreis ist sehr groß, die meisten Gratulanten warten auf
Geschenke." Gratuliert hat man ihm auch zu den tollen Verkäufen bei Auktionen -
Bilder, die längst nicht mehr seine sind, Rekorde, von denen andere
profitieren.
Anerkennung wurde ihm auch dafür zuteil, dass eines seiner
Werke in Edelbert Köbs neuer Aufstellung im Mumok berücksichtigt wurde: "Da
musste ich dann sagen: Danke, aber das ist ein Oberhuber. Der hat nämlich alles
ein bisschen früher gemacht."
Tod und Schuhe
Wie
schafft es Hans Staudacher, immer weiterzumachen, diesen Biss zu haben? Die
Antwort kommt indirekt, aus seiner Jugend. Mit siebzehneinhalb ist er eingezogen
worden, zur Luftwaffe. Verletzt und fast verhungert im französischen Lager, hat
er Schwestern munkeln hören, dass er die Nacht nicht überleben werde. "Da hab'
ich dann versucht, nicht einzuschlafen. Der Tod war allgegenwärtig, manche haben
es gar nicht erwartet, dass einer stirbt, um an seine Schuhe zu kommen." Er hat
auch die "Totenwagen" gesehen mit den ausgezehrten Gefangenen. Von den KZs hat
er erst nach dem Krieg erfahren, als er, auf 42 Kilo abgemagert, nach Hause kam.
"Dann hab ich eine Zeit lang nur mehr Tiere gezeichnet."
"Zahlen!" Und:
"Folie, für die Reste vom Bajonett. Für den Hund!" (DER STANDARD, Printausgabe,
4.12.2002)