Wie wird Wahrheit angeboten?

Eine Retrospektive aller Filme der Künstlerin Trinh T. Minh-Ha ist bis 22. April in der Wiener Secession zu sehen.
Von Roland Schöny.


Der Hauptraum der Secession wirkt geheimnisvoll dunkel. Mit Hilfe eines Systems aus schwarzen Vorhängen wurden verschiedene von einander getrennte Zonen geschaffen, in denen fünf abendfüllende Streifen der Künstlerin Trinh T. Minh-Ha gezeigt werden. Architekt Adolf Krischanitz hat - auf der Basis von Ideen des Filmemachers Peter Kubelka - versucht, passende Räume zur Präsentation der künstlerischen Filme zu gestalten.

"A Tale of Love", 1995, 108 min

Man könnte von Film-Bühnen sprechen. Denn beim Betrachten wird man sowohl an Kinoleinwände wie auch an Theaterbühnen erinnert. Für die Filme von Trinh T. Minh-Ha scheint das eine geradezu ideale Situation zu sein. Denn sie werden gewöhnlich nicht im Kino gezeigt, sondern im Bereich der bildenden Kunst aufgeführt und diskutiert.

Trinh T. Minh-ha
Trinh T. Minh-ha
Die Filmemacherin, Musikerin, Autorin und Theoretikerin Trinh T. Minh-ha wurde in Vietnam geboren. 1970 emigrierte sie nach Amerika. Von 1974 bis 1975 lebte und unterrichtete sie in Paris, von 1977 bis 1980 in Dakar (Senegal). Sie studierte Musik und Komposition sowie französische Literatur und Musikethnologie in Vietnam, auf den Philippinen, in Frankreich und in den USA. Sie unterrichtet Women's Studies an der University of California, Berkely, und Film an der San Francisco State University.

Exotische Orte

Im Mittelpunkt ihrer Filme stehen die Geschichten von Frauen. Die Orte der Handlung sind für westliche Betrachter exotisch: Senegal, Westafrika, Vietnam oder China. Die Bilder erinnern an ethnologische Dokumentarfilme über den Alltag in den jeweiligen Ländern, doch Trinh T. Minh-Ha geht es - wie sie erklärt - um die Thematisierung kollektiver Erinnerung. Sie macht sich auf die Suche nach den Spuren eines gemeinsamen Gedächtnisses:

"In meinen Arbeiten sind immer zwei Dinge, die ich dem Betrachter anbiete: Eine Sache ist konzentriert auf das Thema: Vietnam, Afrika oder China. Dann geht es mehr ins Detail: etwa das kollektive Gedächtnis und speziell das von Frauen - Frauengeschichten."



Ungewöhnliche Stilmittel

Um die Geschichte von Frauen zu erzählen, wählt Trinh T. Minh-Ha ungewöhnliche Stilmittel. In dem Streifen "Sur Name Viet, Given Name Nam" etwa kommen Vietnamesinnen zu Wort - Frauen, die in Vietnam leben und Frauen, die auf Grund der politischen Lage geflüchtet sind. Dadurch entstehen zwei unterschiedliche Erzählperspektiven.

Hinzu kommt, dass ein Teil der auf Englisch geführten Gespräche nicht im herkömmlichen Sinn authentisch ist, sondern einem Buch entnommen und nachgestellt wurde. Durch die englische Sprache wiederum kommt ein von Trinh T. Minh-Ha durchaus gewollter Verfremdungseffekt zustande.

Die Frage nach der Wahrheit

Denn übergreifendes Thema solcher Filme sei, wie sie erklärt, die Frage nach der Konstruktion von Biografien und die Frage nach der Produktion von Wahrheit im Gespräch. Es geht um die Politik des Interviews, um das Verhältnis zwischen dem Fragenden bzw. dem Betrachter und den Befragten, sagt Trinh T. Minh-Ha, als sie die Struktur dieses Films erklärt:

"Auf der einen Seite hat man die Geschichte von Frauen in Vietnam und in den USA", erzählt Trinh T. Minh-Ha. "Andererseits die Frage: Wie werden die Geschichten erzählt? Sie werden durch Interviews erzählt. Die Struktur des Films entsteht entlang der Politik des Interviews." Es gehe darum, "wie wir dem Betrachter Wahrheit anbieten".

Vielschichtige Konstruktion

Das Buch, aus dem die Gespräche stammen, wurde ursprünglich in französischer Sprache veröffentlicht. Trinh T. Minh-Ha hat die darin abgedruckten Interviews ins Englische übersetzt. Hätte sie die Texte ins Vietnamesische rückübersetzt, dann wäre vielleicht die Illusion aufgekommen, es handle sich um Wahrheit, doch durch die englische Sprache würde sich dem Betrachter ein neuer, ganz eigener Raum eröffnen.

Diese Methode beunruhige ihr Publikum mitunter, meint Trinh T. Minh-Ha. Denn erst aus den Credits im Nachspann erfahren die Zuseher, dass sie es mit einer vielschichtigen Konstruktion zu tun hatten.

Würde sie bereits im Vorhinein alles verraten, dann wäre das, als würde sie der ganzen Geschichte ihren Witz nehmen, meint Trinh T. Minh-Ha. Ihre Filme aber werden durch solche Irritationen und nicht zuletzt durch zahlreiche Details aus dem Alltag von Frauen zu subtilen künstlerischen Arbeiten, in denen auf sehr ungewöhnliche Weise Fragen nach Identität und nach der Konstruktion von Geschichte aufgeworfen werden.

Tipp:

Im Rahmen der Ausstellung Trinh T. Minh-ha findet am Mittwoch, 7. 3. 2001 um 19 Uhr ein Ausstellungsgespräch mit Marina Grzinic und der Künstlerin statt.

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