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Artikel aus dem EXTRA Lexikon

Kunst im Dreiländereck

Basel hat sich dank großzügiger Mäzene als Kulturmetropole etabliert
Illustration
- Eine Skulptur von Jean Tinguely vor dem Basler Tinguely-Museum.

Eine Skulptur von Jean Tinguely vor dem Basler Tinguely-Museum.

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- Im Ausstellungsgebäude der Möbelfirma Vitra (von Frank O. Gehry) befinden sich Meilensteine des internationalen Designs. Fotos: August

Im Ausstellungsgebäude der Möbelfirma Vitra (von Frank O. Gehry) befinden sich Meilensteine des internationalen Designs. Fotos: August

Von Hans-Jürgen August

Seit über zwanzig Jahren hingen die Bilder im Basler Kunstmuseum und waren auch der Bevölkerung ans Herz gewachsen. Groß war daher der Schrecken, als der Leihgeber, die Staechlin-Stiftung, in finanzielle Nöte geriet und die beiden Picassos, "Zwei Brüder" (1905) und "Sitzender Harlequin" (1923), an einen Käufer in den USA zu gehen drohten. Trotz des höheren Angebots aus Übersee war die Stiftung bereit, die Werke dem Museum für 1,95 Millionen Dollar zu überlassen. Für das Haus mit einem jährlichen Ankaufsbudget von umgerechnet 65.000 Dollar blieben sie dennoch unerschwinglich. Was tun? 1,372 Millionen Dollar stellte die Stadtregierung bereit, die Basler Unternehmen spendeten 342.000 Dollar. Dutzende Initiativen brachten den restlichen Fehlbetrag auf: Schulkinder verkauften Selbstgemaltes, lokale Künstler ihre Werke auf Straßenmärkten. Eine Gegeninitiative empörte sich darüber, städtische Finanzen in Kunst statt in Spitäler und Bildung zu investieren. Dem Schweizer Demokratieverständnis entsprechend überließ man das endgültige Votum der Bevölkerung – und die entschied sich für die Kunst.

Basel, am Rheinknie im schweizerisch-französisch-deutschen Dreiländereck gelegen, genießt seit jeher den Ruf einer kulturinteressierten und liberalen Stadt. Schon im 16. Jahrhundert lockten das bürgerlich-aufgeklärte Klima und die weit fortgeschrittene Buchdruckerkunst Künstler und Intellektuelle an, darunter die Malerfamilie Holbein, den Arzt und Alchemisten Paracelsus und den Humanisten Erasmus von Rotterdam.

Größte Holbein-Sammlung

Auf das 17. Jahrhundert und einen beherzten Beschluss der Basler geht die Geschichte der weltweit ersten städtisch-bürgerlichen Gemäldesammlung zurück. Als 1661 die Privatkollektion der Familie Amerbach nach Amsterdam zu gehen drohte, kauften Stadt und Universität die Gemälde an – und begründeten damit das Basler Kunstmuseum . Immer wieder gewährte die Stadt Gelder zum Ankauf von Kunstwerken. Die Namen der privaten Spender spiegeln die Bedeutung der pharmazeutischen Industrie wider: Raoul La Roche vermacht seine Kubisten-Sammlung, die Emanuel-Hoffmann-Stiftung überlässt ihre Werke als Leihgabe. Neben der weltgrößten Sammlung von Bildern der Holbein-Familie, zahlreichen Cranachs und Grünewalds sind auch Werke modernerer Künstler, etwa des Baslers Arnold Böcklin, der Kubisten Picasso, Braque und Léger, deutscher Expressionisten sowie Salvador Dalís "brennende Giraffe" zu besichtigen. Große Mäzene machten die mittelgroße Stadt zu einer Kultur-Metropole von Weltrang. Maja Sacher-Stehlin gründete nach dem Tod ihres Gatten Emanuel Hoffmann die nach ihm benannte Stiftung, heiratete 1934 den Dirigenten und Musikmäzen Paul Sacher und trug wesentlich zur Gründung des dem Basler Kunstmuseum angeschlossenen Museums für Gegenwartskunst bei. Für weitere Bestände des Kunstmuseums ließ die private Laurenz-Stiftung von den Basler Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre De Meuron ein Schaulager errichten.

Ebenfalls eng mit dem Namen Hoffmann-La Roche ist das Jean Tinguely gewidmete Museum verbunden. Der 1925 in Fribourg geborene Künstler lebte seit 1934 in Basel, wo er sich unter anderem als Schaufenster-Dekorateur durchschlug. Seine künstlerische Karriere begann Anfang der Fünfziger in Paris. Tinguely entwickelte seine maschinenartigen Skulpturen und lernte die für ihre bunten "Nana"-Figuren bekannte Niki de Saint-Phalle kennen. So verschieden die Arbeiten des Paares waren, so sehr ergänzten sie sich, wie der gelungene Strawinsky-Brunnen vor dem Pariser Centre Pompidou zeigt.

Erste Kontakte zur Familie Hoffmann ergaben sich in den Sechzigern. 1971 beauftragte der Pharmakonzern Tinguely, eine Skulptur für das neue Institut für Immunologie beizusteuern. 1996, fünf Jahre nach dem Tod des Künstlers, wurde das Basler Tinguely-Museum eröffnet, ein Geschenk des Trägers Hoffmann-La Roche an die Stadt. Ergänzt wird die firmeneigene Sammlung durch Schenkungen von Niki de Saint-Phalle. Großzügige Ausstellungsflächen, grau lasierter Lärchenboden und Wände aus rosa Sandstein bestimmen das Ambiente des vom Tessiner Architekten Mario Botta entworfenen Gebäudes.

Den zweiten großen Kunstbau der Neunziger konzipierte der italienische Stararchitekt Renzo Piano – in ähnlicher Größe, und in rötlichem Porphyr. Das in einem idyllischen Park des Basler Vororts Riehen gelegene Gebäude zeigt die Schätze eines weiteren Sammlers: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Kunsthändler Ernst Beyeler begonnen, erste Ausstellungen in der Stadt zu organisieren. Neben Werken von Pablo Picasso zeigte er französische Impressionisten, Bonnard oder Klee. Im Rahmen seiner Geschäfte mit dem amerikanischen Stahlindustriellen und Sammler David Thompson – Beyeler vermittelte etwa hundert Werke Klees an die Stadt Düsseldorf – gelang es ihm auch, den größten geschlossenen Werkblock Alberto Giacomettis aus den USA nach Zürich zu bringen. Seit den Siebzigern sammelte Beyeler selbst. Picasso und Klee finden sich in der dem Publikum zugänglichen Sammlung, dazu Werke von Mondrian, Léger, Dubuffet, Rothko und Bacon.

Kunsthändler, Sammler und Interessierte treffen sich alljährlich bei der wichtigsten Kunstmesse der Welt, der Art Basel . Die von der New York Times mit dem Prädikat "Olympischen Spiele der Kunst" bedachte Messe findet heuer (vom 14. bis 18. Juni) zum 37. Mal statt. Dreihundert Galerien aus dreißig Ländern werden Werke von etwa zweitausend Künstlern zeigen. Die Stadt erwartet 55.000 Besucher.

Beschaulicher gibt sich eine außergewöhnliche Sammlung im benachbarten deutschen Weil am Rhein. Das Museum des Möbelherstellers Vitra zeigt einhundert Original-Sessel, eine Zusammenschau von Meilensteinen des Design. Sitzgelegenheiten von Thonet finden sich dort ebenso wie jene Kreation von Gerrit Rietfeld, die wie ein sesselgewordenes Bild seines de Stijl-Mitstreiters Piet Mondrian anmutet. Otto Wagner ist genauso vertreten wie Mies van der Rohe, Ray Eames oder Verner Panton. Pantons Plastiksitz aus einem Guss revolutionierte Möbeldesign wie -produktion. Die im Irak geborene, in England lebende Architektin Zaha Hadid konzipierte das 1993 fertiggestellte Feuerwehrhaus, das nun die Sesselsammlung beherbergt – und selbst Teil einer außergewöhnlichen Sammlung ist. Denn alle Gebäude auf dem Gelände wurden von Architekten mit Weltruf entworfen. Die erste Fabrikationshalle aus dem Jahr 1981 stammt vom Briten Nicholas Grimshaw, eine zweite (1994) vom Portugiesen Alvaro Siza. Der 1993 entstandene Konferenzbau war das erste Werk von Tadao Ando außerhalb Japans. Und auch Frank Gehry – Schöpfer des Guggenheim-Museums in Bilbao – erhielt von Vitra 1989 die erste Möglichkeit, in Europa zu bauen. Sein von typisch geschwungenen Formen dominiertes Gebäude beherbergt das Vitra Design-Museum , in dem Wechselausstellungen geboten werden.

Vierhundert Exponate zur Ge schichte des automobilen Designs finden sich jenseits der Grenze, im französischen Mulhouse. Mit großem Geschick bauten die Brüder Hans und Fritz Schlumpf dort vor dem Zweiten Weltkrieg ihr Textilunternehmen auf. Die Geschäfte gingen gut – so gut, dass Zeit und Geld genug blieben, sich diskret einer Leidenschaft zu widmen: dem Sammeln von Autos. In den Siebzigern schlitterte die europäische Textilindustrie in eine Krise, die Schlumpfs gaben ihre Fabriken aus finanziellen Nöten ab.

"Monument historique"

Im Zuge nachfolgender Auseinandersetzungen besetzten Arbeiter mehrere Gebäude und entdeckten – für sie völlig überraschend – Hunderte aufwändig restaurierter Fahrzeuge. Die Gefahr, dass diese einzigartige Sammlung mit Schwerpunkt Bugattis zur Tilgung der Firmenschulden aufgelöst würde, wandte der Staat geschickt ab. Er erklärte die Sammlung zum "Monument historique" und stellte sie damit unter Denkmalschutz. Ein Symbol dieser staatenübergreifenden Kulturregion stellt auch der EuroAirport zwischen Mulhouse und Basel dar. Als Drehkreuz einer Billigfluglinie ist der Flughafen inzwischen finanziell gesichert – und von Wien in einer Direktverbindung erreichbar.

Informationen:

Tinguely-Museum: bis 27. 8. Edgard Varèse. http://www.tinguely.ch/

Kunstmuseum Basel: bis 1. 7. Hans Holbein d. J. http://www.kunstmuseumbasel.ch/

Fondation Beyeler: bis 9. 7. Matisse, ab 6. 8. Eros. http://www.beyeler.com/

Vitra Museum: bis 10. 9. Joe Colombo – die Erfindung der Zukunft. http://www.design-museum.de/

Sammlung Schlumpf: http://www.culturespaces.com/schlumpf

Hans-Jürgen August , geboren 1961, lebt als Physiker und Autor in Wien.

Samstag, 27. Mai 2006


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