Seit über zwanzig Jahren hingen die Bilder im
Basler Kunstmuseum und waren auch der Bevölkerung ans Herz gewachsen. Groß
war daher der Schrecken, als der Leihgeber, die Staechlin-Stiftung, in
finanzielle Nöte geriet und die beiden Picassos, "Zwei Brüder" (1905) und
"Sitzender Harlequin" (1923), an einen Käufer in den USA zu gehen drohten.
Trotz des höheren Angebots aus Übersee war die Stiftung bereit, die Werke
dem Museum für 1,95 Millionen Dollar zu überlassen. Für das Haus mit einem
jährlichen Ankaufsbudget von umgerechnet 65.000 Dollar blieben sie dennoch
unerschwinglich. Was tun? 1,372 Millionen Dollar stellte die
Stadtregierung bereit, die Basler Unternehmen spendeten 342.000 Dollar.
Dutzende Initiativen brachten den restlichen Fehlbetrag auf: Schulkinder
verkauften Selbstgemaltes, lokale Künstler ihre Werke auf Straßenmärkten.
Eine Gegeninitiative empörte sich darüber, städtische Finanzen in Kunst
statt in Spitäler und Bildung zu investieren. Dem Schweizer
Demokratieverständnis entsprechend überließ man das endgültige Votum der
Bevölkerung – und die entschied sich für die Kunst.
Basel, am Rheinknie im schweizerisch-französisch-deutschen
Dreiländereck gelegen, genießt seit jeher den Ruf einer
kulturinteressierten und liberalen Stadt. Schon im 16. Jahrhundert lockten
das bürgerlich-aufgeklärte Klima und die weit fortgeschrittene
Buchdruckerkunst Künstler und Intellektuelle an, darunter die Malerfamilie
Holbein, den Arzt und Alchemisten Paracelsus und den Humanisten Erasmus
von Rotterdam.
Größte Holbein-Sammlung
Auf das 17. Jahrhundert und einen beherzten Beschluss der Basler geht
die Geschichte der weltweit ersten städtisch-bürgerlichen Gemäldesammlung
zurück. Als 1661 die Privatkollektion der Familie Amerbach nach Amsterdam
zu gehen drohte, kauften Stadt und Universität die Gemälde an – und
begründeten damit das Basler Kunstmuseum . Immer wieder gewährte
die Stadt Gelder zum Ankauf von Kunstwerken. Die Namen der privaten
Spender spiegeln die Bedeutung der pharmazeutischen Industrie wider: Raoul
La Roche vermacht seine Kubisten-Sammlung, die Emanuel-Hoffmann-Stiftung
überlässt ihre Werke als Leihgabe. Neben der weltgrößten Sammlung von
Bildern der Holbein-Familie, zahlreichen Cranachs und Grünewalds sind auch
Werke modernerer Künstler, etwa des Baslers Arnold Böcklin, der Kubisten
Picasso, Braque und Léger, deutscher Expressionisten sowie Salvador Dalís
"brennende Giraffe" zu besichtigen. Große Mäzene machten die mittelgroße
Stadt zu einer Kultur-Metropole von Weltrang. Maja Sacher-Stehlin gründete
nach dem Tod ihres Gatten Emanuel Hoffmann die nach ihm benannte Stiftung,
heiratete 1934 den Dirigenten und Musikmäzen Paul Sacher und trug
wesentlich zur Gründung des dem Basler Kunstmuseum angeschlossenen
Museums für Gegenwartskunst bei. Für weitere Bestände des
Kunstmuseums ließ die private Laurenz-Stiftung von den Basler
Stararchitekten Jacques Herzog und Pierre De Meuron ein Schaulager
errichten.
Ebenfalls eng mit dem Namen Hoffmann-La Roche ist das Jean Tinguely
gewidmete Museum verbunden. Der 1925 in Fribourg geborene Künstler lebte
seit 1934 in Basel, wo er sich unter anderem als Schaufenster-Dekorateur
durchschlug. Seine künstlerische Karriere begann Anfang der Fünfziger in
Paris. Tinguely entwickelte seine maschinenartigen Skulpturen und lernte
die für ihre bunten "Nana"-Figuren bekannte Niki de Saint-Phalle kennen.
So verschieden die Arbeiten des Paares waren, so sehr ergänzten sie sich,
wie der gelungene Strawinsky-Brunnen vor dem Pariser Centre Pompidou
zeigt.
Erste Kontakte zur Familie Hoffmann ergaben sich in den Sechzigern.
1971 beauftragte der Pharmakonzern Tinguely, eine Skulptur für das neue
Institut für Immunologie beizusteuern. 1996, fünf Jahre nach dem Tod des
Künstlers, wurde das Basler Tinguely-Museum eröffnet, ein Geschenk
des Trägers Hoffmann-La Roche an die Stadt. Ergänzt wird die firmeneigene
Sammlung durch Schenkungen von Niki de Saint-Phalle. Großzügige
Ausstellungsflächen, grau lasierter Lärchenboden und Wände aus rosa
Sandstein bestimmen das Ambiente des vom Tessiner Architekten Mario Botta
entworfenen Gebäudes.
Den zweiten großen Kunstbau der Neunziger konzipierte der italienische
Stararchitekt Renzo Piano – in ähnlicher Größe, und in rötlichem Porphyr.
Das in einem idyllischen Park des Basler Vororts Riehen gelegene Gebäude
zeigt die Schätze eines weiteren Sammlers: Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg
hatte Kunsthändler Ernst Beyeler begonnen, erste Ausstellungen in der
Stadt zu organisieren. Neben Werken von Pablo Picasso zeigte er
französische Impressionisten, Bonnard oder Klee. Im Rahmen seiner
Geschäfte mit dem amerikanischen Stahlindustriellen und Sammler David
Thompson – Beyeler vermittelte etwa hundert Werke Klees an die Stadt
Düsseldorf – gelang es ihm auch, den größten geschlossenen Werkblock
Alberto Giacomettis aus den USA nach Zürich zu bringen. Seit den
Siebzigern sammelte Beyeler selbst. Picasso und Klee finden sich in der
dem Publikum zugänglichen Sammlung, dazu Werke von Mondrian, Léger,
Dubuffet, Rothko und Bacon.
Kunsthändler, Sammler und Interessierte treffen sich alljährlich bei
der wichtigsten Kunstmesse der Welt, der Art Basel . Die von der
New York Times mit dem Prädikat "Olympischen Spiele der Kunst" bedachte
Messe findet heuer (vom 14. bis 18. Juni) zum 37. Mal statt. Dreihundert
Galerien aus dreißig Ländern werden Werke von etwa zweitausend Künstlern
zeigen. Die Stadt erwartet 55.000 Besucher.
Beschaulicher gibt sich eine außergewöhnliche Sammlung im benachbarten
deutschen Weil am Rhein. Das Museum des Möbelherstellers Vitra
zeigt einhundert Original-Sessel, eine Zusammenschau von Meilensteinen des
Design. Sitzgelegenheiten von Thonet finden sich dort ebenso wie jene
Kreation von Gerrit Rietfeld, die wie ein sesselgewordenes Bild seines de
Stijl-Mitstreiters Piet Mondrian anmutet. Otto Wagner ist genauso
vertreten wie Mies van der Rohe, Ray Eames oder Verner Panton. Pantons
Plastiksitz aus einem Guss revolutionierte Möbeldesign wie -produktion.
Die im Irak geborene, in England lebende Architektin Zaha Hadid
konzipierte das 1993 fertiggestellte Feuerwehrhaus, das nun die
Sesselsammlung beherbergt – und selbst Teil einer außergewöhnlichen
Sammlung ist. Denn alle Gebäude auf dem Gelände wurden von Architekten mit
Weltruf entworfen. Die erste Fabrikationshalle aus dem Jahr 1981 stammt
vom Briten Nicholas Grimshaw, eine zweite (1994) vom Portugiesen Alvaro
Siza. Der 1993 entstandene Konferenzbau war das erste Werk von Tadao Ando
außerhalb Japans. Und auch Frank Gehry – Schöpfer des Guggenheim-Museums
in Bilbao – erhielt von Vitra 1989 die erste Möglichkeit, in Europa zu
bauen. Sein von typisch geschwungenen Formen dominiertes Gebäude
beherbergt das Vitra Design-Museum , in dem Wechselausstellungen
geboten werden.
Vierhundert Exponate zur Ge schichte des automobilen Designs finden
sich jenseits der Grenze, im französischen Mulhouse. Mit großem Geschick
bauten die Brüder Hans und Fritz Schlumpf dort vor dem Zweiten Weltkrieg
ihr Textilunternehmen auf. Die Geschäfte gingen gut – so gut, dass Zeit
und Geld genug blieben, sich diskret einer Leidenschaft zu widmen: dem
Sammeln von Autos. In den Siebzigern schlitterte die europäische
Textilindustrie in eine Krise, die Schlumpfs gaben ihre Fabriken aus
finanziellen Nöten ab.
"Monument historique"
Im Zuge nachfolgender Auseinandersetzungen besetzten Arbeiter mehrere
Gebäude und entdeckten – für sie völlig überraschend – Hunderte aufwändig
restaurierter Fahrzeuge. Die Gefahr, dass diese einzigartige Sammlung mit
Schwerpunkt Bugattis zur Tilgung der Firmenschulden aufgelöst würde,
wandte der Staat geschickt ab. Er erklärte die Sammlung zum "Monument
historique" und stellte sie damit unter Denkmalschutz. Ein Symbol dieser
staatenübergreifenden Kulturregion stellt auch der EuroAirport zwischen
Mulhouse und Basel dar. Als Drehkreuz einer Billigfluglinie ist der
Flughafen inzwischen finanziell gesichert – und von Wien in einer
Direktverbindung erreichbar.
Informationen:
Tinguely-Museum: bis 27. 8. Edgard Varèse. http://www.tinguely.ch/
Kunstmuseum Basel: bis 1. 7. Hans Holbein d. J. http://www.kunstmuseumbasel.ch/
Fondation Beyeler: bis 9. 7. Matisse, ab 6. 8. Eros. http://www.beyeler.com/
Vitra Museum: bis 10. 9. Joe Colombo – die Erfindung der Zukunft. http://www.design-museum.de/
Sammlung Schlumpf: http://www.culturespaces.com/schlumpf
Hans-Jürgen August , geboren 1961, lebt als Physiker und
Autor in Wien.
Samstag, 27. Mai
2006