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118 für 11


Okwui Enwezor gefällt sich nach wie vor in der Attitüde des Ungreifbaren. Wenn er überhaupt etwas sagt, so klingt das stets sibyllinisch, wenn er Fragen beantworten soll, oft sogar abweisend. So stellte er gleich zu Beginn der Pressekonferenz in Kassel, die einberaumt worden war, um schließlich doch noch vor der Eröffnung der Documenta 11 Anfang Juni eine Künstlerliste bekanntzugeben, klar: "Ich habe eigentlich nicht viel zu sagen". Im Wesentlichen ist es dabei geblieben. Fast jedenfalls. Denn zu einigen vagen Andeutungen ließ sich der gestrenge Herr des Diskurses dann doch herab, auch wenn ihm dabei der Widerwille anzumerken war, sich zu Dingen äußern zu müssen, die er für selbstverständlich oder nach denen gefragt zu werden er für überflüssig hält.

Transnational und generationsübergreifend, so Enwezor, werde die Ausstellung sei. Nach bisher vier "Plattformen" mit Vorträgen und Diskussionen nun also "Plattform 5". Diese werde sämtliche Gattungen und Medien berücksichtigen und die gesamte Bandbreite zeitgenössischer Kunst zeigen: Malerei, Zeichnung und Skulptur ebenso wie Fotografie, Film, Video, Netz-Kunst und Architektur. 118 Künstlerinnen, Künstler und Künstlergruppen seien nach Kassel eingeladen worden, wobei insgesamt 79 Projekte eigens für die D11 entwickelt würden, darunter auch solche für den Außenraum. Von Thomas Hirschhorn gebe es ein Projekt in der Stadt, von Dominique Gonzalez-Foerster, Ken Lum, John Bock und Renée Green seien Arbeiten im Aue-Park vorgesehen.

"Kunst", verkündete Enwezor, als sei das noch keinem aufgefallen, "ist sehr unterschiedlich und nicht nur in einem Teil der Welt zuhause. Das will die Ausstellung sagen". Nicht um eine Schlußfolgerung aus den vier vorhergegangenen gehe es bei der Plattform 5, sondern um die Fortführung eines kritischen Diskurses in einer Ausstellung; auch seien die anderen Plattformen kein "Handbuch" zu deren Verständnis. Was die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler angehe, so sei eine "sehr eklektische Gruppe" zusammengekommen, heterogen, wie die Kunst heute nun einmal sei.

Von Georges Adéagbo aus Benin bis zu Yang Fudong aus China, von Ravi Agarval aus Indien bis zu Nari Ward aus Jamaica reicht denn auch die Liste. Immerhin etwa ein Drittel der Eingeladenen stammt aus Afrika, Asien und Lateinamerika, wenn auch viele von ihnen seit längerem in den Kunstmetropolen des Westens leben. Die Mehrzahl kommt nach wie vor aus dieser Hemisphäre. Ein gutes Dutzend aus Deutschland, darunter Bernd und Hilla Becher, Hanne Darboven, Maria Eichhorn, Candida Höfer und Isa Genzken. Klassiker der politisch-engagierten Kunst wie der Maler Leon Golub sind ebenso dabei wie die Routiniers Jeff Wall, Stan Douglas und On Kawara.

Wer die Liste genauer betrachtet, der wird trotz der Verschwiegenheit des Documenta-Leiters eine Tendenz feststellen können. Im Grunde versucht Enwezor umzusetzen, was er - mehr oder weniger deutlich - von Beginn an angekündigt hatte: Die Widerspiegelung einer alternativen, in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentierten Wissensproduktion durch Kunst. Das klingt spröde und ist es zum Teil auch. Also wird alles auf die Art der Inszenierung ankommen. Zu dieser aber schweigt Enwezor beharrlich.

Immerhin erklärt die Fokussierung des Blicks auf Produktionsweisen kulturellen Wissens, weshalb Enwezor keine "100 Tage - 100 Gäste" auszurichten gedenkt, um den Diskurs innerhalb der Ausstellung zu verankern, sondern die Künstler selbst zum Motor aller Aktivitäten machen will, die in Kassel stattfinden sollen. Auch macht es klar, worum es ihm vor allem zu tun ist: Sichtbar den Bruch mit der eurozentristischen Tradition zu vollziehen. Wenn etwa Dokumentarfilmer wie der Chilene Gaston André Ancelovici oder wie der in Haifa geborene und in Paris lebende Filmemacher Eyal Sivan, der für seinen Film über Adolf Eichmann 2001 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete wurde, zu den Eingeladenen gehören, wenn die Atlas Group die jüngste Geschichte des Libanon erforscht oder die Igloolik Isuma Productions Inc. Kultur und Sprache der Inuit pflegt und aktiviert, so rückt das bewußt andere, weniger ausdrücklich kunszbezogene Themen in den Blick.

Nicht länger der Künstler als exemplarisches (westliches) Subjekt soll im Zentrum stehen, sondern der soziale Prozeß und dessen Repräsentation in den Medien, in der Politik, in der Kunst - selbstverständlich unter den Bedingungen der Globalisierung. Haben die vier ersten Plattformen die D11 über alle Kontinente zerstreut und somit "deterritorialisiert", so soll die Ausstellung nun ihre eigene "epische Zeit" entfalten. Was Enwezor im Rahmen seines post-kolonialistischen Denkens dabei verschweigt, ist die Funktion, die sein transnationales "Patchwork" innerhalb des Diskurses übernehmen soll. Denn der Diskurs ist bekanntlich keine Plauderstube, sondern dasjenige, worum und womit man kämpft. Eben jene Macht, deren man sich zu bemächtigen sucht.

Bei alledem verbirgt Enwezor eines keineswegs: Kassel, das ist nur irgend ein unbedeutender Platz, an dem zufällig alle paar Jahre eine große Ausstellung mit einer westlich zentrierten Tradition stattfindet. Kriterien der Auswahl? Aber wo denken Sie hin. Das ist doch keine Frage. "Es gibt", sagte Enwezor, erst streng, dann mit aufgesetzt wirkendem Lachen, "keine Kriterien. Ich möchte eigentlich nicht in diese Falle tappen." Und er setzte hinzu: "Jedes Projekt wirft Fragen auf." Da hat er recht.

THOMAS WAGNER

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.05.2002, Nr. 101 / Seite 47

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