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Ausstellung Admont: Patres, Patienten, Weltenmacher

14.07.2009 | 18:17 | GISELA STEINLECHNER (Die Presse)

Das Benediktinerstift Admont zeigt erstmals in Österreich eine Ausstellung der deutschen „Sammlung Prinzhorn“. Dokumentiert wird so die wesentliche Vorgeschichte der heutigen Marke „Künstler aus Gugging“.

Manches scheint auf den ersten Blick heiter und naiv: ein „Kastratenchor“ mit gesträubten Haaren, ondulierte Damen mit üppigem Dekolleté, Fantasielandschaften in betörend schönen Farben. Dass diese Bilder durchwegs in psychiatrischen Anstalten geschaffen wurden, von Menschen, die oft Jahrzehnte darin verwahrt und in ihrem künstlerischen Tun kaum jemals beachtet oder gefördert worden sind – das alles scheint der Souveränität dieser Kunstwerke nichts anhaben zu können. Und gerade deshalb ist es geboten, auf die außerordentlichen Bedingungen ihrer Entstehung und Rezeption hinzuweisen.

Im Museum des steirischen Benediktinerstifts Admont ist zurzeit eine Auswahl aus der Heidelberger „Sammlung Prinzhorn“ zu sehen: künstlerische Arbeiten von Anstaltsinsassen, die der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886–1933) im Auftrag der Heidelberger Klinik gesammelt und 1922 in seinem berühmt gewordenen Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ vorgestellt hat. Die Sammlung umfasst an die 5000 Objekte, neben Bildern auch Schriftstücke, Materialcollagen, Skulpturen, selbst gefertigte Bücher und Textilarbeiten. Vieles davon wurde mit improvisierten Mitteln hergestellt, sogar aus Abfällen, Essensresten oder zerrissenen Leintüchern entstanden Objekte und „Installationen“, von denen oft nur mehr ein Vermerk in den Krankenakten zeugt.

 

Aus Fugen geratene Lebenswirklichkeit

Der im Alltag oft hemdsärmelig gebrauchte Spruch „Not macht erfinderisch“ gewinnt hier eine existenzielle Bedeutung: Denn es ist nicht allein die materielle Not, die die Patienten zu unkonventionellen, oft erstaunlich modernen Ausdrucksmitteln greifen ließ, sondern es ist in einem viel radikaleren Sinn die Not einer aus den Fugen geratenen Lebenswirklichkeit, deren Erschütterungen und psychische Entgrenzungen nach einer „anderen“ Sprache verlangten. Wenn sie nicht zu endgültigem Verstummen oder zu quälenden Automatismen führten, worin wohl ein Großteil der langjährigen „Patientenkarrieren“ endete.

Die Heidelberger Sammlung ist seit Jahren bemüht, die Lebensgeschichten ihrer Patienten-Künstler zu eruieren und so hinter den psychiatrischen „Fällen“ mit Nummern und Namenskürzeln wieder Menschen mit individuellen Schicksalen und Talenten sichtbar zu machen. Ein Folder mit biografischen Daten der Künstler liegt auch in der Ausstellung in Admont auf.

In der dort gezeigten Auswahl – sie war zuvor in Prag und Stavanger zu sehen – überwiegen die figurativen und narrativen Darstellungen, man hat auf grenzgängerische Formate weitgehend verzichtet und präsentiert viele Highlights der Sammlung. Etwa jenes Bild von Josef Forster, dessen Motiv die Sammlung Prinzhorn zu ihrem Logo gemacht hat: Ein Mann mit verbundenem Mund, der sich auf zwei überdimensionalen Krücken (oder Pinseln?) in die Luft erhebt. In einer Vitrine stößt man auf ein Schulheft mit bleigrauen Comicstrips, die eine Welt voll steifer Militärs und martialischer Symbole vorführen.

Der Zeichner, ein Schneidergeselle namens Oskar Voll, verbrachte mehr als 30 Jahre in Anstalten; die meiste Zeit verkroch er sich im Bett, wo er seine unheimlichen Parallelwelten erschuf. Im gesellschaftlichen Off der Psychiatrie hat er eine Bildsprache erfunden, die den vorherrschenden militaristischen Geist seiner Zeit eindrücklich wiedergibt. „1. Bild von dem bevorstehenden Kriege“ lautet der prophetische Titel einer anderen, 1918 entstandenen Arbeit, die die mörderische Logik des Krieges auf den Punkt bringt: Zu sehen sind zwei geschlossene Reihen von sich begattenden Paaren (die Männer obenauf in Uniform), im Hintergrund an Bäume gefesselte Menschen, die offenkundig ihre Liquidation erwarten. Gustav Sievers, der Zeichner, wurde 1941 von den Nationalsozialisten im Zuge des Euthanasieprogramms ermordet.

 

Zeitgeistige Vorstellung des Irrenkünstlers

Die Beispiele zeigen, dass die zeitgeistige, auch von Prinzhorn favorisierte Vorstellung vom Irrenkünstler als einem von der Welt abgeschotteten, spontan aus seinem ursprünglichen Selbst schöpfenden Bildners so nicht haltbar ist. Zeitgeschichtliches und Biografisches, Anstaltsalltag, philosophische und wissenschaftliche Themen flossen in viele der Werke ein und fallweise lassen sich auch künstlerische Bezugnahmen etwa zu Expressionismus und Symbolismus erkennen, wie bei den somnambul gestimmten Ölbildern Else Blankenhorns.

Als wären sie geradezu im Auftrag des Stifts geschaffen worden, wirken die farbenprächtigen, feinziselierten Bildteppiche des „Heiligenmalers“ Peter Meyer, der sich, wie die Krankenakte vermerkt, ein Keuschheitsgelübde auferlegte und unermüdlich zur Begleichung seiner „Sündenschuld“ malte. Hier kreuzen sich unvermutet die klösterliche und die psychiatrische Anstaltswelt, wie überhaupt die Sammlung von vielen religiösen Berufungs- und Erweckungserlebnissen zeugt, auch von bedrohlichen Teufeln und letzten Weltgerichten.

Wenn man von der Ausstellung hinüber ins Naturhistorische Museum wandert, dort auf die weltberühmte Fliegen-Sammlung des Pater Gabriel Strobl trifft (50.000 Exemplare in 23 Jahren) oder auf die Heerscharen wächserner Äpfel und Birnen, die ein anderer Pater in minutiöser Arbeit nachgebildet und katalogisiert hat (den tiefroten Tulpencardinal oder die gelbe Walze), dann wird einem deutlich, wie nahe sich Patres und Patienten kommen in der unbedingten Hingabe an die Gestaltung einer eigenen (inneren) Welt.

Es ist das erste Mal, dass eine Ausstellung der „Sammlung Prinzhorn“ in Österreich Station macht. Sehenswert ist sie nicht nur als künstlerisches, sondern auch als historisches Zeugnis, dokumentiert sie doch eine wesentliche Vorgeschichte zu Leo Navratils kunsttherapeutischem Engagement und zu den inzwischen als Marke berühmten „Künstlern aus Gugging“.

Gisela Steinlechner ist Kulturwissenschaftlerin in Wien, sie schrieb ihre Dissertation über den Gugginger Autor Ernst Herbeck.


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