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24.11.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Ausstellung: Warhols klebende Gesichter | ||
VON THOMAS KRAMAR | ||
Zur Ausstellung in der Albertina. Pro Star eine Nervenzelle? Wieso wir Warhols "Popstars" gern erkennen. | ||
Wir
sind süchtig nach Gesichtern. Wo immer wir hinsehen, suchen wir sie;
wenn wir uns im dunklen Wald schrecken, liegt das daran, dass unser
Hirn überall Gesichter lesen will, aktiv danach sucht (siehe Artikel
rechts). Eine eigene Region, "fusiform face area", befasst sich damit -
und damit, die Gesichter zu erkennen. Die Prosopagnosie, die -
genetisch bedingte oder durch Hirnverletzung erworbene - Unfähigkeit,
Gesichter zu erkennen, ist eine peinliche Behinderung. Die Nervenzellen, die in der Gesichter-Erkennung
mitspielen, sind offenbar hoch spezialisiert. Jeder Enkel hätte eine
"Großmutter-Zelle" im Kopf, scherzen die Forscher. Vor einem Jahr
berichteten kalifornische Forscher (Nature, 435, S. 1102) über
eine "Jennifer-Aniston-Zelle", ein Neuron, das dann, und nur dann,
aktiv ist, wenn die Testperson das Gesicht der amerikanischen
TV-Schauspielerin erkennt. Wer zum Teufel ist Jennifer Aniston? Okay, nicht
alle haben eine Jennifer-Aniston-Zelle. Aber fast alle von uns haben
wohl ein Mick-Jagger-Neuron im Kopf . . . Genau von
dieser Tatsache zehrt die großartige Vision der "Superstars", und davon
zehren auch die Mick-Jagger-Porträts des Andy Warhol, der sich stets zu
seiner Sucht nach "faces" bekannt hat - und das englische Wort bedeutet
nicht nur "Gesichter", sondern auch "bekannte Gesichter", das, was
Warhol gern "celebrities" genannt hat. Das Erkennen von Bekanntem ist (meist) ein freudiges
Erlebnis, und es ist vielleicht noch freudiger, wenn es das Hirn dabei
nicht leicht hat: Das ist ein Grund für den Reiz abstrakter Kunst. Und
noch ein Grund für den Reiz der Warhol-"Popstars", übrigens auch der
derzeit im Freud-Museum gezeigten Arnulf-Rainer-Übermalungen von
Freud-Fotos: Wir erkennen sie trotzdem. 61 "Werke" Warhols sind in der Albertina
ausgestellt, der große Popkünstler hätte wohl über das Wort gelächelt,
hätte seine "Factory"-Vision darin bestätigt gesehen, dass hier Skizzen
in völliger Egalisierung neben Fertigem gezeigt werden, dass die
Collagen, die einst als Vorlage für das Produkt dienten, heute als
"Werke" gezeigt werden. Auf dass erfüllt werde, was Warhol forderte:
"Damit keiner mehr denkt, er hätte ein besseres oder ein schlechteres
Bild." Etwa die Arbeiten für das Cover des - musikalisch
relativ schleißigen - Stones-Doppelalbums "Love You Live", aber auch
die Jagger-Bilder: Fast gerührt erkennt man sie als Bastelarbeiten,
sieht, dass die Klebebänder echt, funktional sind, dass hier Material
ist, mehr als ein Erdenrest, dicke, dreidimensionale Materie hinter der
Oberfläche. Ja natürlich, die Oberfläche. Gewiss, wir kennen die
Warhol-Ideologie, wir leben mit ihr, aber man sollte es nicht
übertreiben mit ihrer Exegese: Die Rod-Stewart-Zeichnungen etwa zeigen
keine "Glanzlichter und Spiegelungen eines Blitzlichtgewitters", wie in
der Bildlegende steht. Ihnen fehlt ganz einfach - ob absichtlich oder
nicht - die Ähnlichkeit mit Rod Stewart, sie sind gröbste Karikaturen
des durchschnittlichen Siebziger-Popmusikers. Karikaturen des
Durchschnittlichen: scheinbar ein Widerspruch in sich, vielleicht die
beste Erfüllung der Warholschen Vision, dass dereinst jeder ein Star
sein wird. "Everybody's a dreamer, everybody's a star", wie der
kongeniale Ray Davies ("The Kinks") 1972 sang. "But celluloid heroes never really die", heißt es
abschließend bei Davies. Sie sterben nicht - nicht, solange wir sie
erkennen, eine kollektive Nervenzelle für sie reserviert halten. Über
diesen Umweg war Andy Warhol auch ein großer Konservierer. Bis 18. Februar, täglich 10-18, Mi bis 21h. |
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