Nach langen Diskussionen war es dann am 2.
Dezember 1856 so weit. Erstaunlicherweise war das erste Porträt aber
kein "Krieger", sondern die Ikone der englischen Kulturgeschichte
schlechthin: das "Chandos-Porträt" William Shakespeares, das der
Galerie von Lord Ellesmere, einem anderen Gründer, geschenkt wurde und
heute noch als das wohl authentischeste aller Abbilder des Barden von
Stratford gilt.
Kein Wunder, dass heuer – im Jubiläumsjahr – bereits mit einer
speziellen Ausstellung "Looking for Shakespeare" dem Nationaldichter
entsprechend gehuldigt wurde.
Bis dahin war es aber ein langer Weg. Nach der Gründung gab es zwar
eine erste bescheidene Bildersammlung, aber noch keine geeigneten
Räumlichkeiten. Zuerst in Westminster untergebracht, übersiedelte die
Sammlung dann nach Kensington in Räume der königlichen
Gartenbaugesellschaft, die sich aber als wenig geeignet erwiesen.
Erst nach 40 Jahren, also 1896, konnte das heute noch in Verwendung
stehende Gebäude offiziell eröffnet werden, das in der Zwischenzeit
durch zahllose Erweiterungen und Adaptierungen versucht, mit der
Sammlung mitzuwachsen.
1,5 Millionen Besucher
Heute gilt diese Galerie als größte Porträt-Sammlung der Welt. Sie
wird von jährlich 1,5 Millionen Besuchern – bei freiem Eintritt! –
besucht.
Auf drei Etagen werden über 1300 Porträts ausgestellt, wobei die
chronologische Reihenfolge von "oben nach unten" verläuft, das heißt,
die historischen Porträts sind im zweiten Stock untergebracht,
beginnend mit der frühen Tudor-Zeit.
In der ersten Etage spannt sich der Bogen dann von der
viktorianischen Epoche bis 1990, mit der königlichen Familie, Sir
Winston Churchill oder auch Sir Paul McCartney.
Im Erdgeschoss werden herausragende britische Porträts seit 1990
präsentiert sowie die wechselnden Spezialausstellungen untergebracht.
Da finden sich dann auch Popstars wie die Beatles und David Bowie,
der Virgin-Gründer Richard Branson oder der Physiker Stephen Hawking
und der Fußballstar David Beckham neben der regierenden Königin ebenso,
wie Joanne K. Rowling, die Schöpferin des Harry Potter und dessen
Filmdarsteller Daniel Radcliffe.
Eines der Kriterien der Gründer, die über dem Eingang der Galerie in
Büsten verewigt wurden, war die geschichtliche Bedeutung der Person,
nicht der künstlerische Wert des Porträts. Dieses Kriterium ist auch
heute noch gültig.
Erst 1932 wurde die erste Fotografie akzeptiert, eine frühe
Porträtaufnahme der legendären Mrs. Beeton, die ein viktorianisches
Haushaltshandbuch verfasst hatte, das heute noch in Nachdrucken
existiert.
Erstmals ein Foto
Einen besonderen Innovationsschub gab es nach dem Zweiten Weltkrieg.
Erstmals wurden Fotografien ausgestellt und eine neue Abteilung für
Fotografie und Film eingerichtet.
Dann begann auch die Galerie selbst, Porträts in Auftrag zu geben
beziehungsweise über Sponsoren Wettbewerbe auszuschreiben, die der
zeitgenössischen britischen Porträtkunst nach wie vor wichtige Impulse
geben.
In den 60-er Jahren wurde auch mit der alten Regel gebrochen, nur
Personen, die mindestens zehn Jahre tot waren, in die Galerie
aufzunehmen.
Moderne Porträts
Gerade die zeitgenössischen Porträts, die in laufend wechselnden
Ausstellungen präsentiert werden, erfreuen sich beim Publikum heute
größter Beliebtheit.
Dass gerade heuer, im Jubiläumsjahr, eine besondere Dichte an Events
festzustellen ist, wird niemanden verwundern. Wer über die Jahreswende
in London ist, sollte vielleicht nicht die Spezialausstellung von
Porträts von David Hockney oder von Fotos der "Pet Shop Boys"
versäumen.
Auch die Ergebnisse des "Photographic Portrait Prize" sind noch bis 18. Februar zu sehen.
Die hohe Besucherzahlen unterstreichen die große Popularität und den
identitätsstiftenden Aspekt dieser Sammlung bei den Briten selbst. Eine
Galerie dieser Art für Österreich – vom mittelalterlichen Herrscher bis
zu Hans Krankl oder Falco – wurde hierzulande noch nicht einmal
diskutiert, könnte aber durchaus ein interessanter Beitrag für das
geplante "Haus der Geschichte" sein.
National Portrait Gallery (St Martin's Place, London WC2H 0HE);
täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags bis 21
Uhr; geschlossen von 24.-26. Dezember; die nächstgelegenen
U-Bahn-Stationen sind Charing Cross, Leicester Square und Embankment.
Im Web.: http://www.npg.org.uk
Donnerstag, 30. November 2006