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Kunstberichte

Alles höchst ehrenwerte Personen

Die "National Portrait Gallery" in London feiert am Samstag das Jubiläum ihres 150-jährigen Bestehens
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- 1300 Porträts verteilt auf drei Stockwerke: Die National Portrait Gallery in London.  Foto: National Portrait Gallery

1300 Porträts verteilt auf drei Stockwerke: Die National Portrait Gallery in London. Foto: National Portrait Gallery

Von Herbert Kaspar

Aufzählung Porträts von Shakespeare bis David Beckham.
Aufzählung Historische Bedeutung der Person ausschlaggebend.
Aufzählung Zeitgenössische Porträts bei den Besuchern beliebt.

London. Es gehe "um eine Galerie originaler Porträts, soweit wie möglich von solchen Personen, die höchst ehrenwert im Gedächtnis der britischen Geschichte aufbewahrt sind, als Krieger, Staatsmänner oder in den Künsten, der Literatur oder der Wissenschaft." So heißt es in dem Plädoyer des Earl of Stanhope, einem der drei Gründungsväter für die Schaffung einer Porträt Galerie des britischen Empires.

Nach langen Diskussionen war es dann am 2. Dezember 1856 so weit. Erstaunlicherweise war das erste Porträt aber kein "Krieger", sondern die Ikone der englischen Kulturgeschichte schlechthin: das "Chandos-Porträt" William Shakespeares, das der Galerie von Lord Ellesmere, einem anderen Gründer, geschenkt wurde und heute noch als das wohl authentischeste aller Abbilder des Barden von Stratford gilt.

Kein Wunder, dass heuer – im Jubiläumsjahr – bereits mit einer speziellen Ausstellung "Looking for Shakespeare" dem Nationaldichter entsprechend gehuldigt wurde.

Bis dahin war es aber ein langer Weg. Nach der Gründung gab es zwar eine erste bescheidene Bildersammlung, aber noch keine geeigneten Räumlichkeiten. Zuerst in Westminster untergebracht, übersiedelte die Sammlung dann nach Kensington in Räume der königlichen Gartenbaugesellschaft, die sich aber als wenig geeignet erwiesen.

Erst nach 40 Jahren, also 1896, konnte das heute noch in Verwendung stehende Gebäude offiziell eröffnet werden, das in der Zwischenzeit durch zahllose Erweiterungen und Adaptierungen versucht, mit der Sammlung mitzuwachsen.

1,5 Millionen Besucher

Heute gilt diese Galerie als größte Porträt-Sammlung der Welt. Sie wird von jährlich 1,5 Millionen Besuchern – bei freiem Eintritt! – besucht.

Auf drei Etagen werden über 1300 Porträts ausgestellt, wobei die chronologische Reihenfolge von "oben nach unten" verläuft, das heißt, die historischen Porträts sind im zweiten Stock untergebracht, beginnend mit der frühen Tudor-Zeit.

In der ersten Etage spannt sich der Bogen dann von der viktorianischen Epoche bis 1990, mit der königlichen Familie, Sir Winston Churchill oder auch Sir Paul McCartney.

Im Erdgeschoss werden herausragende britische Porträts seit 1990 präsentiert sowie die wechselnden Spezialausstellungen untergebracht.

Da finden sich dann auch Popstars wie die Beatles und David Bowie, der Virgin-Gründer Richard Branson oder der Physiker Stephen Hawking und der Fußballstar David Beckham neben der regierenden Königin ebenso, wie Joanne K. Rowling, die Schöpferin des Harry Potter und dessen Filmdarsteller Daniel Radcliffe.

Eines der Kriterien der Gründer, die über dem Eingang der Galerie in Büsten verewigt wurden, war die geschichtliche Bedeutung der Person, nicht der künstlerische Wert des Porträts. Dieses Kriterium ist auch heute noch gültig.

Erst 1932 wurde die erste Fotografie akzeptiert, eine frühe Porträtaufnahme der legendären Mrs. Beeton, die ein viktorianisches Haushaltshandbuch verfasst hatte, das heute noch in Nachdrucken existiert.

Erstmals ein Foto

Einen besonderen Innovationsschub gab es nach dem Zweiten Weltkrieg. Erstmals wurden Fotografien ausgestellt und eine neue Abteilung für Fotografie und Film eingerichtet.

Dann begann auch die Galerie selbst, Porträts in Auftrag zu geben beziehungsweise über Sponsoren Wettbewerbe auszuschreiben, die der zeitgenössischen britischen Porträtkunst nach wie vor wichtige Impulse geben.

In den 60-er Jahren wurde auch mit der alten Regel gebrochen, nur Personen, die mindestens zehn Jahre tot waren, in die Galerie aufzunehmen.

Moderne Porträts

Gerade die zeitgenössischen Porträts, die in laufend wechselnden Ausstellungen präsentiert werden, erfreuen sich beim Publikum heute größter Beliebtheit.

Dass gerade heuer, im Jubiläumsjahr, eine besondere Dichte an Events festzustellen ist, wird niemanden verwundern. Wer über die Jahreswende in London ist, sollte vielleicht nicht die Spezialausstellung von Porträts von David Hockney oder von Fotos der "Pet Shop Boys" versäumen.

Auch die Ergebnisse des "Photographic Portrait Prize" sind noch bis 18. Februar zu sehen.

Die hohe Besucherzahlen unterstreichen die große Popularität und den identitätsstiftenden Aspekt dieser Sammlung bei den Briten selbst. Eine Galerie dieser Art für Österreich – vom mittelalterlichen Herrscher bis zu Hans Krankl oder Falco – wurde hierzulande noch nicht einmal diskutiert, könnte aber durchaus ein interessanter Beitrag für das geplante "Haus der Geschichte" sein.

National Portrait Gallery (St Martin's Place, London WC2H 0HE); täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags bis 21 Uhr; geschlossen von 24.-26. Dezember; die nächstgelegenen U-Bahn-Stationen sind Charing Cross, Leicester Square und Embankment.

Im Web.: http://www.npg.org.uk

Donnerstag, 30. November 2006


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