diepresse.com
zurück | drucken
16.10.2002 - Ausstellung
Scharfer Blick aufs tobende Meer
"East meets West" im Wiener Künstlerhaus: Zeitgenössische Kunst aus China zeigt das Shanghai Art Museum. Es dominieren Malerei, Eklektizismus. Doch dazwischen blitzt hoffnungsfroh die Eigenart.
VON ALMUTH SPIEGLER


Große schwarz-glänzende Augen starren unschuldig in den Raum. Das leichte Schielen macht Schwindeln. Doch sind die Pupillen einziger Halt im rauchigen Bild, nur hier konzentriert sich die Malerei zur gestochenen Schärfe. Verwaschener Photorealismus von Gerhard Richter? Zhang Xiao Gang ließ 1999 diesen "Genossen Nr. 14" aus den schattierten Grauschichten auftauchen. Ein Abklatsch? Seltsam rote Verfremdungen legen sich schüchtern über das ernste Jungengesicht. Vermessungslinien? Ein Schmetterlings-Flügel? Das Bild birgt ein Geheimnis, welches in der abendländischen Kultur nicht leicht dechiffriert werden kann.   Doch es ist im Wiener Künstlerhaus nicht zu verbergen: ein gewisser Eklektizismus, dem zeitgenössische Künstler in China frönen. Gewöhnt an den abendländischen Kunstkanon entlocken hier entdeckte Ähnlichkeiten mit Picasso, den Impressionisten und gar einem Max Weiler ein versteckt präpotentes Lächeln.
  Genau dieses soll in der Ausstellung "East meets West" nachdenklich stimmen. Haben chinesische Künstler doch in nur wenig mehr als zwanzig Jahren die Kunstströmungen eines ganzen Jahrhunderts europäischer Kunstge-schichte aufgesogen. In den
achtziger Jahren stand erst einmal die Revolte gegen die eigene Tradition im Vordergrund. Aus Büchern und Katalogen wurden westliche Stile nachgeahmt, sozialkritische Themen gewählt, die zuvor verpönt waren. Andere Künstler setzten stärker auf ihr Erbe. Diese Gruppen von Künstlern konnten vom westlichen Kunstmarkt unter den Labels "fremd und exotisch" und "waghalsig kritisch" gewinnbringend importiert werden. Sie bedienten das Image der chinesischen Kunst, wie man es im Westen wollte.
Diese Falle wird im Künstlerhaus gemieden: Die Schau wurde vom Shanghai Art Museum organisiert, Kuratorin Jiang
Mei wählte
die 90

Kitsch-Kunst aus China: "Im Schoße der Maria" von Liu Ye, 1999. Photos Katalog-

Werke von 65 Künstlern aus - die seltene Chance, einem nicht westlich geprägten Blick zu folgen. Unter den anscheinend auch in China boomenden Realismus (von Kitsch-Kunst bis bodenständig), unter abstrakte erdige Gemälde, vereinzelte Plastiken und ziemlich zahme Photo- und Videoarbeiten mischt sich auch Geschmäcklerisches - wie etwa dreieckige Leinwände.

Eindrucksvoll dagegen abstrakte atmosphärische Tuschmalereien, in denen die jahrtausendealte Tradition durchblinzelt. Erfrischend sind die für europäische Verhältnisse ungewohnt informativen Beschriftungen: "Tobendes Meer", "Eine Minute des Gefühls" und "Hinterhaus, he, es graut!" Im Herbst 2001 schickte die Kunstsektion des Bundeskanzleramtes die Ausstellung "Austrian Contemporary Art" (von Hans Hollein zusammengestellt) ins Museum in Shanghai. "East meets West" ist die vielversprechende Revanche.

Bis 6. November. Täglich 10 bis 18 Uhr, Do. 10 bis 21 Uhr.



© Die Presse | Wien