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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
28.07.2002
21:44 MEZ
Salzburg, ein "Lemurenheim"
Der Tod und das Mädchen, Memento Mori und schillerndes Gesellschaftsleben: Kunstausstellungen in Salzburg zur Festspielzeit

Von
Doris Krumpl

 
Foto: Archiv

Der Tod und das Mädchen, Memento Mori und schillerndes Gesellschaftsleben. Nicht nur der "Jedermann", sondern auch viele Kunstausstellungen in Salzburg gemahnen zur Festspielzeit an das barocke Erbe zwischen Weltenlust und Vergänglichkeit.


Salzburg - Lemuren sind im ursprünglichen Sinn die Seelen der Verstorbenen. Was liegt also näher, als in Salzburg, genau vor dem Festspielhaus am Max-Reinhardt-Platz, ein Lemurenheim zu installieren? In der Barockstadt, wo einem alles, nun aber vor allem der Jedermann und sogar noch Martin Kusejs Don Giovanni das Memento Mori nur so um die Ohren fetzen? Franz Wests Lemurenkopf, der augenlose, großnasige patscherte Kopfskulptur-Geist könnte der neue Schutzheilige der Stadt an der Salzach werden. Auf das zum Graffiti-Anbringen einladende Gehäuse-Heim von Rudolf Stingel wurde er vor allem auf Einladung von Rupertinum-Chefin Agnes Husslein gestellt.

Erstaunlich, denn die Gesellschafts- wie Museumsfachfrau blauen Arco-Geblüts lockt vor allem die konservativeren Geister, schart gerne (zuweilen selbst ernannte) Granden und Berühmtheiten um sich - und die könnten sich mit diesem Lemurenheim etwas kritisiert fühlen.

Wenn der Tod so nahe ist wie in Salzburg, dann gilt es das Leben ordentlich zu feiern, denn morgen könnte alles zu spät sein. Der Glamourfaktor, der schöne Schein zählen mehr denn je, auch wenn sie in Salzburg - wo selbst H & M ländliche Zugeständnisse in seine Auslagen legt - Loden, Lederhosen und Haferlschuhe -, die rurale Variante abgeben zur ebenso vorgeführten Haute Couture.

Das alles spiegelt sich auch in der Kunst wieder, und Glamourkönig Nummer eins, der renommierte Galerist Thaddaeus Ropac, stellt seine Best-of-Auswahl in die schicke Villa Kast beim Mirabellgarten. Celebrity-hungriger als Andy Warhol konnte kaum ein Künstler sein, deswegen passen seltene Berühmtheiten-Collagen des Meisters perfekt ins Festspielprogramm. Silvie Fleurys Glitzerbild oder ein lila lackiertes Wand-Fetischteil liefern in der nahezu musealen Schau Time Space Motion sonnige Hintergründe.

Ein Kontrastprogramm kommt von zwei Klassikern der Moderne, die jenseits von impressionistischer Boutiquenware Zeitloses offerieren: Otto Dix, von dem die Galerie Welz eine exquisite Privatsammlung erworben hat, persifliert bissig bis heiter die feine Gesellschaft, Alfred Kubin bringt bei Altnöder u.a. den Tod und das Mädchen näher.

Sogar die Jungen stehen Aug in Aug mit Gevatter Hein: Zwei Künstler in der Galerie 5020, Bertram Hasenauer und Gernot Wieland, kommen nachgerade existenzialistisch daher, vor allem Hasenauer, der rechtzeitig für die Ewigkeit zurüstet. Er kombiniert in seinen Zeichnungen u.a. Posen aus Mode/Lifestylemagazinen mit Sinnsprüchen - Verwechslungen mit Muntean/Rosenblum nicht ganz ausgeschlossen.

Die ganze Geschichte nennt er Prepare for eternity: Da steht ein junges Mädchen, in die Ferne blickend, und der Text weist darauf hin, dass jeder Atemzug, den man mache, ein Schritt Richtung Tod sei. Das grausame Sterben der Seemänner im U-Boot thematisiert wiederum der Schriftsteller und Künstler Max Bläulich bei Maxkunst in seiner Fotoserie zur Kursk.

Den barocken Gedanken höhlt der Salzburger Gerold Tusch im wahrsten Sinne des Wortes aus: In der exzellenten Gruppenschau der U.B.R. Galerie rund um den Materialbegriff in der Kunst hat Tusch für die Auslage eine hypertrophe Barock-Karikaturvase gestaltet. Eingebettet ist das perverse, nutzlos gelöcherte Teil in eine gepolsterte Wandverkleidung, eine Mischung aus Boudoir-Dekor und Gummizelle.

Glamour und Vanitas vermag der sonst gerne mit Knochen oder farbigen Käferpanzern hantierende "Todesphilosoph" Jan Fabre zu verbinden. Seine von der Galerie Academia in trefflichen Räumlichkeiten der Residenz platzierten Skulpturen blenden das Auge aufgrund des glitzernden Goldüberzugs wie die Totenmasken des alten Ägypten. Lebensgroße, mit goldenen Reißnägeln und Nägeln gespickte männliche Skulpturen fahren gen Himmel oder baumeln am Strick (Dependens). Damit die Sache nicht nur makaber wird, gesellt sich zur schönen Leich' auch noch ein goldener Weltraumfahrer, bei Fabre natürlich ein Old Spiritual Traveler.

Das geht gut in Salzburg, wo sämtliche Galeristen betonen, dass sie in der Festspielzeit mehr verkaufen als im restlichen Jahr. Dort kann man vormittags locker einen Prosecco trinken gehen und dem Mann im Kartenbüro im ersten Stock noch an "zwei Karterln für Jedermann" erinnern. Worauf der seufzt: "Wenn ich für alles so viel Karten hätt' wie für den Jedermann . . ." Anscheinend erinnert man sich doch ungern an den Tod? (DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2002)


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