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Kunstberichte

Quer durch Galerien

Quietschentchen süßsauer (scharf)

Natürlicher als die Natur: Bei diesem Plastikgrün von Anita Land und Gerald Zahn liefe sogar ein Rasenmäher Amok (vor lauter vegetarischer

Natürlicher als die Natur: Bei diesem Plastikgrün von Anita Land und Gerald Zahn liefe sogar ein Rasenmäher Amok (vor lauter vegetarischer "Fleischeslust", vor lauter Graseslust). Land & Zahn

Von Claudia Aigner

Es ist ja nicht erst gestern gewesen, dass sie aufgeflogen sind: die falschen Enten. Dass uns also ein Erziehungsberechtigter beiseite nahm und uns über die wahre Natur des Quietschentchens aufklärte, das mit unseren gutgemeinten Brotspenden folglich nichts anfangen kann. (Ein Crashtestdummy muss ja auch nicht während der Fahrt aufs Klo.) Und trotzdem fallen naive, schaumgebadete Personen noch immer reihenweise auf die gelbe Ente herein, auf das Haustier, das an das Leben im Badewasser perfekter angepasst ist als der gemeine Haushund.

Und dabei ist das quietschende Statussymbol der stolzen Badewannenbesitzer nichts als Lug und Trug. Wie entlarvt man nun aber so eins als Entenfälschung, als unechte Ente, wenn man damals in Biologie nicht gut aufgepasst hat und sich mit der Fauna nicht so besonders auskennt?

Made in der Sesamstraße (Hausnummer unbekannt)

Soll das Herrl oder Frauerl mit der Ente zum Ornithologen gehen? Und während der nachschaut, wo die gelbe Hochstaplerin ihre Bürzeldrüse hat, die ja jenes Sekret absondert, mit der sich die Enten einschmieren, bis sie wasserabweisend sind wie ein Gummistiefel, dreht der Vogelkundler vielleicht zufällig die dreiste Nachahmungsschwimmerin um und liest: "Made in Taiwan" oder: "Made in der Sesamstraße"? Und weil Mutter Natur ihre Werke prinzipiell nicht signiert, datiert oder mit dem Herkunftsort beschriftet, ist die Sache sonnenklar und der Antrag der Ente auf Echtheit wird abgelehnt?

Und soll man dann zur Sicherheit noch einen zweiten Gutachter bemühen, einen chinesischen Koch zum Beispiel, einen engen Vertrauten der Pekingente, und ihn ersuchen, mit dem Küchenmesser und Gewürzen eine Expertise anzufertigen, nämlich zu probieren, eine knusprige Ente oder eine Ente nach Sichuan-Art (scharf) aus dem gelben Ding zu machen, und wenn’s nicht gut schmeckt, ist die Ente der Lüge überführt? Nein, es gibt ja einen Schnelltest (in Anlehnung an den Lapsus in Kindertagen, als man dauernd versucht hat, seine Semmel mit der lieben Ente in der Wanne zu teilen, und sie geködert hat mit dem Lockruf: "Pipihendi!"). Eine Gummiente hält jeder Fütterungsattacke stand, eine richtige Ente zeigt Fresssymptome.

Galerie artbits: Mit dem Osterhasen in der Sauna

Doch der Mensch will es ja nicht anders. Der verwechselt absichtlich das naturgegebene Original mit der Kopie aus Kunststoff. Oder befreundet er sich etwa nicht in seiner Einsamkeit mit aufblasbaren Spielkameradinnen, die mit sämtlichen zwischenmenschlichen Körperfunktionen ausgestattet sind? Und sucht er nicht sogar Körperkontakt bei völlig abstrakten Gefährten, kuschelt sein Hintern also nicht mit Gymnastikbällen und tarnt die gemeinsam verbrachte Zeit als Turnen?

Sich Plastikblumen statt Topfpflanzen zuzulegen, ist ebenfalls eine beliebte Methode, sich nicht mit der Realität auseinandersetzen zu müssen. Mit der Vanitas. Man muss auch keine Beziehungsarbeit leisten: niemanden gießen. Anita Land und Gerald Zahn (bis 14. August im artbits, Lindengasse 28) haben es nun unternommen, diese robusten, womöglich unsterblichen "Blumen für Allergiker" zu ermorden.

Tja, wie bringt man jemanden um, der resistent ist gegen Vegetarier, Heuschrecken und Durst? Einer herkömmlichen Schnittblume würde man einfach die Vase unterm Stängel wegziehen. Blumenattrappen aus Plastik muss man bis zur Unkenntlichkeit kochen, auf der Herdplatte schwitzen lassen wie einen Schokoosterhasen in der finnischen Sauna. Zum Kochgeschirr erkoren die beiden Blumensadisten, das Duo Land & Zahn, den weißen Deckel von einem Gasherd. Und ihren Staubsauger erklärten sie zur provisorischen Dunstabzugs-Entnebelungs-Maschine (nötig wegen der starken Rauchentwicklung). Und drehten über ihre Blumenstillleben-Exekutionen auch noch genüsslich einen botanischen Snuff-Film.

Grausamer und gemeiner als jeder Fernsehkoch

Gut, Stillleben-Massaker finden ja täglich im Fernsehen statt. Dauernd fällt da irgendwer mit der Axt oder dem Gemüsemesser über eine volle Obstschale her oder schlachtet Gurken ab und macht Salat und gesunde Ernährung daraus. Doch dieses Video schlägt in punkto Naturalismus jede Kochsendung. Außerdem wird der Film (originellerweise einer für "Hochformatfernseher", was in der Praxis heißt, das Kastl um 90 Grad zu drehen) andersrum abgespielt. Edelweiß und Kornblume erheben sich aus der unappetitlichen Ursuppe. Wundersame Auferstehung der "kompostierten" Blumen.

Die Gustostückerln aber sind die Digitalprints von der eingescannten und bis zum Größenwahn aufgeblasenen Plastikbotanik. Sieht natürlicher aus als die Natur, mit der man eh nur Scherereien hat. Und die Blüten sind farbbrillant, wie 30-mal mit "Persil Color" gewaschen.

Für jeden Sperling eine Gehirnerschütterung

Und die Wiese erst: Ein akzidentell vorbeifahrender Rasenmäher (so ein Kunstschaf mit dem Appetit einer ganzen Herde) würde auf der Stelle hochmotiviert, wenn die Graseslust mit ihm durchgeht, darauf zurasen – und mit Totalschaden an der Wand kleben bleiben. Wie die Sperlinge sich eine Gehirnerschütterung holten, als sie unerbittlich auf die täuschendsaftigen Weintrauben des griechischen Malers Zeuxis drauflos pickten. Und wie Mutterschafe ein Lämmlein von Tizian, das auf dem Arm von Johannes dem Täufer saß, freundlich anblökten. In der freien Natur gibt es eben kein Urheberrecht. Und ein Kunstrasen ist keine Copyright-Verletzung.

Solide Arbeiten, perfektionistisch romantisch. Die Blümchen sind sogar digital abgestaubt worden. Jedes Staubkorn wurde einzeln am Computer entfernt.

Hilger Contemporary: Wo die Wuchtel hinfällt . . .

Wenn in Holland die Backen einer Erotiktänzerin die Blicke aus der Menge heraussaugen wie ein Laubsauger die gefallenen Blätter, dann ist Otto Snoek mit seinem Fotoapparat dabei. Oft. Um das Laub zu beobachten, das vom Sauger inhaliert wird. Und beim fast "ausverkauften" Evangelischen Jugendtag ist er es, dem das Mädel auffällt, das sich als Psychoschlampe outet (ein Leiberl anhat mit der gar nicht evangelischen Botschaft "Psychobitch").

Denn Snoek (bis 20. August im Hilger Contemporary, Dorotheergasse 5) schaut dem Publikum beim Zuschauen zu. Und da hat der gebürtige Rotterdamer halt den Blick für heroische "Einzelkämpfer" in der freizeitenden Masse und für skurrile Details. Manchmal. Besonders wenn es um die heiligen Stätten geht, wo ein heidnischer ökumenischer Gottesdienst gefeiert wird und zwei rivalisierende Glaubensgemeinschaften, die Kriegsbemalung tragen, den selben Ball anbeten, das weltbewegende Leder, die Wuchtel, die die Welt bedeutet, und wo sich die Wandlung vollzieht, aus dem Lederball der Erdball wird. Da pirscht sich Snoek von hinten an die Tribüne heran und ergötzt sich an den aufgereihten Fanpopscherln.

Freitag, 05. August 2005


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