Salzburger Nachrichten am 4. Juni 2005 - Bereich: kultur
"Stillstand gibt es nicht!"

Der Schweizer Toni Stooss zitiert Berlinerisches, wenn er über seine Aufgabe im Museum der Moderne spricht: "Immer langsam mit die jungen Pferde!"

Hedwig Kainberger Interview Der designierte Direktor des Museums der Moderne in Salzburg, Toni Stooss, geht vor- und umsichtig an seine neue Aufgabe: Agnes Husslein sei noch "bis mindestens Ende 2005 offiziell im Amt" und werde im Jahr darauf "auf Vereinbarungsebene noch das eine oder andere Projekt betreuen", betont Toni Stooss am Beginn des ersten ausführlichen Interviews, nachdem der Aufsichtsrat des Museums ihn am vorigen Mittwoch zum Nachfolger Hussleins gekürt hat. Und bevor Planungen konkret würden, wolle er dies mit seinem künftigen Team in Salzburg besprechen.

Warum möchten Sie Direktor des Museums der Moderne werden? Stooss: Die Architektur des neuen Museums, die imposant und gleichzeitig zurückhaltend ist, hat mich auf Anhieb begeistert. Mit drei Ebenen ist es hervorragend geeignet, eine Sammlung, die sich "in Bewegung" befindet, mit Sonderausstellungen zu verbinden, um einerseits die Schwerpunkte der Sammlung zu berücksichtigen und andererseits die Balance zwischen klassischer Moderne und zeitgenössischer Kunst zu halten - im Spektrum von zirka 1900 bis heute. Die Säle erlauben eine vielfältige Nutzung, wie sie kaum ein zeitgenössisches Haus dieser Größe bietet.

Sowohl die Sammlung, die durch Dauerleihgaben partiell aufgewertet wird, wie auch die Situation mit beiden Häusern (Rupertinum und Mönchsberg) stellen Herausforderungen zur Neupositionierung dar. Hinsichtlich einer Profilierung des Museums der Moderne in einer dichten und umtriebigen Museumslandschaft im Vieleck von München, Linz, Bozen, Vaduz, Bregenz und anderen Städten besteht mit der "Musikstadt" Salzburg und ihren Festspielen eine Chance, an die "Bühne" gebundene Projekte zur Spezialität zu machen.

Ich persönlich möchte wieder in einem Team arbeiten, um einerseits im diskursiven Prozess dazuzulernen und um andererseits professionelle Erfahrungen weiterzugeben.

Andere Menschen Ihres Alters bereiten sich auf den Ruhestand vor. Warum suchen Sie eine neue Aufgabe? Stooss: Wie sagte der Schweizer Künstler Jean Tinguely, den ich gut gekannt habe und mit dessen Werken ich eine Ausstellung in Klagenfurt organisieren konnte: "Stillstand gibt es nicht!" Ich habe als Konservator der Stiftung Liner Appenzell eine komfortable Situation, die ich wohl bis zur "Pensionierung" weiterführen und ausbauen könnte, allerdings meist im "Alleingang". Außerdem: Ich habe keine Zeit, ans Alter zu denken. Und: Ich will es nochmals wissen!

Welche Wünsche, welche Pläne, welche Ziele haben Sie für das Museum der Moderne? Stooss: Wünsche: Ich möchte Ideen realisieren - von der Verbesserung der Infrastruktur "hinter den Kulissen" bis zu konkreten Ausstellungen. Ich möchte über einen Ankaufsetat (mit öffentlichen und privaten Mitteln) verfügen dürfen, der es erlaubt, die Sammlung zu "verdichten" und zu verbessern. Sie sollte zum "Joker" werden, um mit Leihgaben in der "ersten Liga" internationaler Museen mitzuwirken.

Rupertinum zu einem Haus für "Medien" Pläne strukturell: Schaffung eines "advisory boards" im zentraleuropäischen Bereich, um Erfahrungen und Projekte auszutauschen. Wir sollten überlegen, das Rupertinum zu einem Museum der Fotografie oder besser zu einem Haus der "Medien" (für Grafik, Foto, Video, möglicherweise Künstlerfilme) zu machen. Für inhaltliche Pläne ist es zu früh, die möchte ich mit meinem künftigen Team abstimmen.

Mein "Generalziel": Zwei Häuser, zwei Schwerpunkte, ein "Dach"!

Inwiefern wird sich Ihre Arbeit von jener der bisherigen Direktorin, Agnes Husslein, unterscheiden? Stooss: Wie sagt man in Berlin so schön? Immer langsam mit die jungen Pferde! Wir sind noch lange "ante festum"; Unterschiede lassen sich erst "post festum" feststellen.

Wie ist Ihr Eindruck von der Sammlung? Wie wollen Sie die ausbauen? Stooss: Soweit ich dies anhand der Kataloge sowie der Eröffnungsausstellung am Mönchsberg beurteilen kann: Die Sammlung hat bekannte Schwerpunkte, vor allem im Bereich des "Menschenbildes", ist aber sehr heterogen. Der Kern des "Menschenbildes" scheint mir auch in die Zukunft zu weisen, wobei unter Menschenbild nicht bloß figurative Kunst von und mit "Menschen", sondern auch deren Anwesenheit im Gestus (etwa bei Jackson Pollock) oder in ihren "Spuren" (etwa Ilya Kabakov) verstanden werden kann. Weiters bedarf es der Bestimmung einer zukünftigen "Marschrichtung" und der dafür notwendigen Mittel (Ankäufe, Geschenke, Dauerleihgaben).

Sie waren in leitenden Positionen u. a. im Kunsthaus Zürich, in der Kunsthalle Wien und im Kunstmuseum Bern. Auf welche Ihrer Ausstellungen blicken Sie mit größter Freude zurück? Stooss: In Berlin: Ben Vautier in der DAAD-Galerie (DAAD steht für Deutscher Akademischer Austauschdienst, wo Toni Stooss 1978 bis 1982 Projektleiter war, Anm.) - die Ausstellungsorganisation mit Ben Vautier war "tödlich", das Resultat "fulminant". In Zürich: Nam June Paik, Gustav Klimt. In Wien: "Archigram", "Menschlich" mit Christian Boltanski, Alberto Giacometti. In Bern: Julio Gonzalez, Marina Abramovic.

Welche Künstler haben Sie am meisten beeindruckt? Stooss: Jean Tinguely, Joseph Beuys, Nam June Paik, Rebecca Horn, Gary Hill.

Angenommen, Sie dürften bei der Übersiedlung in Ihre neue Wohnung in Salzburg drei Bücher und drei Kunstwerke mitnehmen, welche wären das? Stooss: Wenn Sie mir helfen, die neue Wohnung zu bekommen, werde ich Sie gerne zu einem Gin Tonic einladen und versuchen, mir selbst darüber klar zu werden - auf jeden Fall wären bei der Kunst, ich staune selbst, ein Bellini und ein Masaccio dabei.

Was bewirkt die Beschäftigung mit Kunst? Stooss: Wenn wir das stringent in ein zwei Sätzen beantworten könnten, bräuchten wir keine Museen, keine Kuratoren und keine Kunstkritiker mehr. Noch kürzer: Kunst "macht auf", macht "bewusst", regt die Fantasie an, und im besten Fall macht sie auch "tolerant".