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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
23.02.2004
16:06 MEZ
Zum Thema

Blick zurück auf die eigenen Zustände
Seit Roger M. Buergel überraschend zum Leiter der Documenta 12 gekürt wurde, erfreuen sich seine Projekte ungeahnter Aufmerksamkeit

Zur Person

Buergel studierte in den achtziger Jahren in Wien an der Uni Wien und der Kunstakademie. Zwei Jahre lang arbeitete er als Privatsekretär von Hermann Nitsch. Als Kurator verschiedener Ausstellungen hat er sich jungen internationalen Künstlern gewidmet, die in ihrer Arbeit politische und soziale Themen behandeln. Derzeit läuft im Kunstraum der Universität Lüneburg die gemeinsam mit Kunsthistorikerin und Lebensgefährtin Noack kuratierte Schau "Die Regierung". 2005 wird die Ausstellung auch in der Wiener Secession zu sehen sein.

 
Foto: APA/Schlager
"Bilderfeindliche Theorie wird auf der documenta 12 nicht vorkommen", versichert Buergel.

Weg vom "neoliberalem Künstler-Modell"
Roger M. Buergel, Leiter der documenta 12, will dem Keim der "politischen Verantwortung" einer solchen Ausstellung hegen

Wien - Roger M. Buergel (41), aus West-Berlin stammender Wahlwiener, wurde im vergangenen Dezember zum Leiter der 2007 stattfindenden documenta 12 in Kassel bestellt (16. Juni bis 23. September). Ein Interview zu den ersten Ideen zur documenta 12.

Sie gelten als relativ "unbeschriebenes Blatt" in der Kunstszene. Warum wurden Sie Ihrer Meinung nach zum neuen Leiter gewählt?

Buergel: Vielleicht hatte die Findungskommission kein Interesse an einem beschriebenen Blatt. Die sind auf mich aufmerksam geworden wie auf viele andere auch, was am Ende den Ausschlag gegeben hat, werden wir vielleicht nie erfahren.

Kann man aus Ihrer Wahl eine Tendenz ablesen?

Buergel: Es fällt mir schwer darüber zu spekulieren, weil ich die anderen Konzepte ja gar nicht kenne.

Die gewisse Aura der documenta

Haben Sie sich je gewünscht, documenta-Leiter zu werden?

Buergel: Nein, ich war sehr überrascht und natürlich geschmeichelt, als ich eingeladen wurde, ein Konzept einzureichen. Ich bin relativ entspannt in den Wettbewerb gegangen und war nicht fixiert darauf. Ruth Noack (Kunsthistorikerin und Lebensgefährtin Buergels, Anm.) und ich haben im Moment auch eine Ausstellung laufen, da waren wir mit Arbeit eingedeckt, und außerdem haben wir im November unser zweites Kind bekommen. Gleichzeitig bin ich gegenüber diesen Ausstellung-Genres skeptisch. Andererseits wieder hat die documenta natürlich eine gewisse Aura.

Die documenta ist die größte aller Kunstschauen. Welchen Stellenwert hat sie heute?

Buergel: Meine Perzeption ist die von Jedermann und Jederfrau. Ich habe die letzten vier gesehen, manche fand ich gut, manche schlecht. Methodisch hat mir die von Catherine David gefallen, aber ich habe die Ausstellung eher sehr naiv angeschaut. Mit der Geschichte der documenta habe ich mich eigentlich erst im Anschluss an meine Ernennung beschäftigt. Darin scheint mir auch noch genug Potenzial zu liegen, in diesem Rückgehen auf die Situation von 1955.

Verantwortung, die über Tagespolitik hinaus geht

Inwiefern?

Bürgel: Es war damals eine ziemlich radikale Idee, dass ein bankrottes Land eine solche Ausstellung macht. Eine radikale Geste, die vielen Leuten Atemluft verschafft hat, und sie war sehr einflussreich. Sie rekurriert auch eine politische Verantwortung, die über Tagespolitik hinaus geht. Diesen Keim muss man hegen.

Wie kann man das Potenzial ausschöpfen?

Leben in Schaden verursachenden Gesellschaften

Buergel: Das ist schwierig, hängt auch sehr von den künstlerischen Arbeiten ab, die gerade entstehen, oder die es vielleicht noch gar nicht gibt. Mich interessiert, dass wir uns im westlichen Raum diesem scheinbar unentrinnbaren Zusammenhang von Moderne und Gewalt stellen, und uns klar machen, oder im Bewusstsein behalten, dass wir in Schaden verursachenden Gesellschaften leben. Dass man sich das auf einer existentiellen oder unmittelbaren Ebene deutlich macht. Das kann so eine Ausstellung leisten.

Die documenta 12 findet erst 2007 statt. Wie erarbeitet man eine Ausstellung, die noch in so weiter Ferne liegt? Denn gleichzeitig soll sie ja aktuelle Kunst zeigen?

documenta soll nicht "State of the Art" zeigen

Buergel: Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der documenta ist, "State of the Art" zu zeigen. Auch bei der ersten documenta 1955 wurden Klassiker gezeigt. Das soll nicht heißen, dass das auch bei der doocumenta 12 geschehen soll. Für mich liegt sie auch nicht in weiter Ferne, sondern ist schon morgen. So eine Ausstellung erfordert eine lange Vorarbeit. Das Denken darüber hat längst begonnen. Für mich gibt es auch keine Alternative, als diese Ausstellung mit einigen der Vorgaben zu machen, die ich auch im Rahmen meiner bisherigen Ausstellungspraxis aufgearbeitet habe. Etwa diese Frage von "Regierung" muss lokal beantwortet werden, ist aber trotzdem eine universale Fragestellung. Das ist mein Handgepäck, mit dem ich arbeite.

Hiermit wären wir bei Ihren Plänen für die documenta 12...

Buergel: Unsere bisherigen Ausstellungen haben wir so gemacht: Da ist ein Gedanke, der sich aus dem Verfolgen von Arbeitsweisen entwickelt hat, dann versucht man das zu formalisieren im Rahmen eines Konzeptes, dann konfrontiert man damit Künstler, dann wird das Konzept wieder umgearbeitet, und am Ende kommt eine Ausstellung heraus. documenta ist ein vorgebenes Format. Da geht es zunächst nicht um Themen, sondern um ästhetische Formen. Wie macht man eine Ausstellung, die einen repräsentativen Charakter hat, die eine bestimmte Kraft aus ihrer Geschichte und Erwartungshaltung des Publikums hat. Wie macht man daraus eine sinnvolle Erfahrung?

Kurator-Impresario-Modell ist ein neoliberales Künstler-Modell

Ja, wie?

Buergel: Da gibt es verschiedene Wege, ich kann aber noch nicht ins Detail gehen. Ich denke, dass zwei Modelle nicht mehr in Frage kommen, zum einen dieses Kurator-Impresario-Modell, der Dinge versammelt und signiert. Das ist ein neoliberales Künstler-Modell. Und das andere ist Theorie, also den affektiven Exzess von Ästhetik durch Begriffe zu disziplinieren. Es geht keineswegs darum, Theorie in Bausch und Bogen zu verdammen, im Gegenteil, aber es gibt bilderfeindliche Theorie, die auf der documenta nicht vorkommen wird.

Als was sehen sie sich?

Buergel: Als jemand, der diese Widersprüche sieht, und der Methoden entwickelt, um aus diesen Fallen herauszukommen.

In einem Interview haben Sie sich als "Romantiker im progressiven Sinn" bezeichnet. Was heißt das?

Buergel: Ich glaube schon, dass der Umgang mit Kunst einen sentimentalen Zug hat. Es hat viel mit Kontemplation und Ruhe und Abdriften zu tun, und ich lehne auch diese Versuche ab, diesen Glitzerblick, den Kunst hat, zu negieren. Man bekommt aus Kunst das Ambivalente nicht heraus. Das ist eine Realität, mit der man sich abfinden muss.

Politik ist dort, wo man sie nicht vermutet

Welchen Stellenwert hat der Begriff "politisch" bei der documenta?

Buergel: Vieles was als politisch gilt, ist per definitionem da, wo wir es nicht vermuten. Politisch ist es, wenn es Künstlern gelingt, Schauplätze zu erfassen, die bisher nicht als bedeutsam erkannt wurden. Politisch wäre außerdem die Mobilisierung des Publikums. Meine Frage ist, ob es gelingt, den Betrachter in die kompositorische Aktivität einzubeziehen und die Leute aus dieser massenmedialen Haltung voller Ressentiments und Handlungsunfähigkeit herauszuholen.

Großausstellungen gehören "geschlachtet"

Ist das beim documenta-Publikum nicht schwierig? Da geht es ja auch um Kunsttourismus.

Buergel: In gewisser Weise schreien diese Großausstellungen danach, geschlachtet zu werden. Es gibt einen Überdruss an solchen Megaevents und andererseits ein Missverhältnis zu kleineren, medial unterbelichteten Kunstinitiativen. Eine Schau wie die documenta ist ein Moloch, der die ganze Aufmerksamkeit frisst, und gleichzeitig sind die Künstler oft gar nicht zufrieden mit ihrer Präsentation.

Der Form und nicht der Biografie verpflichtet

Werden Sie als Wahlwiener österreichischen Künstlern verstärkt Gelegenheit geben, auf der documenta zu arbeiten?

Buergel: Nein, ich bin ja kein Lokalmatador, und habe immer international gearbeitet. Ich fühle mich der Form verpflichtet, und nicht der Biografie. Aber natürlich habe wir viel mit Österreichern gearbeitet.

Ein Konzept ist dazu da, zerstört zu werden

Wann werden Sie ihr Konzept präsentieren?

Buergel: Gar nicht. Ein Konzept ist dazu da, zerstört zu werden. Es existiert quasi als Projektion, und dann sieht man nach einer Weile, was man nicht halten kann, dann verändert es sich. Das wird mehr wie eine Fieberkurve. Aber alles drängt letztendlich auf die Ausstellung als Form, und daran soll man es dann auch messen. (APA/red)


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