diepresse.com | ||
zurück | drucken | ||
| ||
04.11.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Sternenstaub und tote Pferde | ||
VON THOMAS KRAMAR | ||
Kulturkritik lebt hier nicht mehr: Warum "Stars" in der Popmusik wohl nie wieder ein originelles Thema sein werden. | ||
"Everybody's a dreamer, and everybody's a star, and
everybody's in movies, it doesn't matter who you are": Mit der
entrücktesten Stimme, zu der er fähig war, eröffnete Ray Davies,
Kinks-Kopf und Spezialist für unerfüllte Wünsche, 1972 den Song "Celluloid
Heroes". Ein Monster der wehmütigen Ironie, das, als ob die
"La-la-la"-Einlage nicht reichen würde, auch noch in die
selbstverständlichste aller Schlusszeilen mündet: "Because celluloid
heroes don't feel pain. And celluloid heroes never really die." Der Traum, ein Leben, und aus. Damit war alles zum Thema
gesagt. Es war nicht das erste Wort dazu: Freilich, Chuck Berrys "Johnny
B. Goode" hörte von seiner Mutter noch das altväterliche Versprechen,
dass er eines Tages "the leader of a big old band" sein werde, doch in den
Sechzigerjahren sagte man schon "Star", gleich mit bitterem Unterton. "So
you want to be a rock'n'roll star?", fragten die Byrds 1967 und rieten
gallig: "Sell your soul to the companies, who are waiting there to sell
plastic ware." Das Motiv des Teufelspakts wird auch in David Bowies "The
Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders From Mars" (1972)
angedeutet: Vier Songtitel dieses Albums enthalten das Wort "Star"; am
Ende, nach Verrinnen der versprochenen prä-apokalyptischen "Five Years",
schleicht Ziggy als "Rock'n'Roll Suicide" durch die Straßen, verhöhnt von
Chören: "You're wonderful!" Zur Quasi-Religionsgründung überhöht wird die Starwerdung
in "Tommy" (1969) von The Who: Tommy wird zum Idol, nachdem er die Sinne
verloren und wieder gewonnen hat; am Ende empören sich die Fans gegen ihn
("We're Not Gonna Take It"), bis er gesteht, dass er den Ruhm nur ihnen zu
verdanken hat ("Listening To You"). Ken Russell verzichtete in seiner
Verfilmung auf diese demokratische Wendung, die das in den Achtzigerjahren
obligat gewordene Ritual der Danksagung an "die treuen Fans, ohne die wir
nichts wären" vorwegnahm. Gleichzeitig wurde in den Achtzigerjahren die "Kritik" an
der "Machbarkeit" von Popstars immer unerträglicher in ihrem
bemüht-moralischen Gestus - und der "Underground", seit damals gern als
"Alternative" oder "Independent" firmierend, geißelte eifrig den
"Kommerz". Man hatte wohl vergessen, dass Malcolm McLaren, Manager der Sex
Pistols, mit Film und Aktion "The Great Rock'n'Roll Swindle" (1979) einmal
noch klargemacht hatte, dass man das Thema über ein Jahrzehnt nach Warhols
"Superstars" nur mehr als Selbstpersiflage behandeln kann. "Flogging a
Dead Horse", der Titel einer weiteren programmatisch unverschämten
Pistols-Nachlese, sagt das Gleiche: Kulturkritik lebt hier nicht mehr.
Neu und bemerkenswert an den televisionsgestützten
Star-Fabriken ist nur eines; dass nach der Pose der Auflehnung auch der
Gestus der Individualität verdampft ist. "Deutschland sucht den Superstar"
u. ä. gaben nicht einmal mehr die Anwesenheit von autarken lyrischen
Ichs vor. "Die Bewegungen müssen sitzen", hieß es in "Starmania":
Ohne Fleiß kein Preis, von nichts kommt nichts, und Kunst kommt von
Können. Seltsam: Während von den kleinsten Ich-AGs gefordert wird, sie
mögen gefälligst findig sein und sich ständig neue Nischen suchen, ergraut
der Stand, der einst als Verkörperung von Originalität galt, in
Mustererfüllung. Das Leben auf dem Markt ist flexibel genug, da darf das
Abenteuer in der Unterhaltung Pause machen. Karaoke! So ist das Starprinzip zum Prinzip Alltag geworden. Ray
Davies hat endgültig Recht: Jeder ist ein Star, aber es macht nichts.
|
||
© diepresse.com | Wien | ||