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Es ist schon seltsam, was alles über Okwui Enwezor geschrieben wurde. "Enwezor zuzuhören ist, als blicke man auf eine Marmorplatte mit ihren zahllosen Äderungen", war etwa in der "taz" zu lesen: "Etwas in seiner Ausstrahlung verbietet falsche Vertraulichkeiten . . . vielleicht liegt es daran, daß man in einem so hochgebildeten, hochintellektuellen Afrikaner eine Symbolfigur für die Würde der ganzen Peripherie erblickt" - als ob die Kombination von hoher Bildung und afrikanischer Herkunft schon eine mitteilenswerte Sensation wäre.

Okwui Enwezor, der Leiter der Documenta 11, die morgen in Kassel eröffnet wird, ist sicherlich vieles, aber kein marmorner Repräsentant der Peripherie: 1963 wurde er als Sohn eines Bauunternehmers in Nigeria geboren; im Alter von neunzehn Jahren kam er nach New York, studierte Literatur und Politikwissenschaft und veröffentlichte ein paar Gedichte. 1993 gründete er die halbjährlich erscheinende Zeitschrift "Nka: Journal of Contemporary Art", die mittlerweile zum wichtigsten Forum für afroamerikanische Kunst geworden ist. Als Kurator wurde Enwezor 1997 bekannt mit der zweiten Biennale von Johannesburg. Sie trug den Titel "Handelswege: Geschichte und Geographie" und beschäftigte sich mit den Folgen von Migrationsströmen, globalem Warenverkehr - und mit der Frage, wie beides sich in Bildern und anderen Kunstwerken widerspiegelt.

Um all das geht es auch auf Enwezors Documenta 11. Auch dort mag das mit Globalisierungsdiskursvokabeln vollgestopfte Konzept bisweilen etwas schwammig wirken - aber Enwezor hat schon einmal gezeigt, daß er aus einem Konzept, das allenfalls nach gutmeinender Kirchentagsrhetorik klingt, eine wichtige Ausstellung machen kann. Seine spektakuläre Schau "The Short Century", die vor einem Jahr in München und in Berlin zu sehen war, beschäftigte sich mit der Kunst im Afrika der Unabhängigkeitsbewegungen seit 1945. Da waren Paralleluniversen der europäischen Konflikte zwischen "sozialistischem Realismus" und abstrakter Malerei zu sehen, eine Vitrine mit Schallplattencovern afrikanischer Bands, dazu Malick Sidibés Fotogafien von Tänzern - Bilder von der Entstehung einer afrikanischen Popkultur, die nicht nur ein Abklatsch westlicher Discomoden war.

"The Short Century" war typisch für die doppelgleisige Strategie, die Enwezor in all seinen Ausstellungen verfolgt. Zum einen zeigte er die in Europa unbeachtete Entwicklung der modernen afrikanischen Kunst: Bis zur Mitte des Jahrhunderts prägten die Kolonialmächte in Zeitungen, Film und Kunst das Bild Afrikas. Erst nach der politischen Unabhängigkeit entwickelte sich eine eigene Bildwelt - in Filmen, Plakaten und Gemälden. Was dabei entstand, war nicht nur ein schlechtes Plagiat europäischer Kultur, sondern eine Loslösung, eine gleichberechtigte Weiterentwicklung mit anderen Einflüssen. Diese Gleichwertigkeit, die Simultaneität kultureller Entwicklungen jenseits aller Leitkulturideen will Enwezor auf der Documenta zeigen. Mag sein, daß diese Sehnsucht nach einer erkennbar "anderen Kultur" eine sehr westliche ist. Aber auch der Westen, so Enwezor, sei "vielleicht nur eine Erfindung". Man darf gespannt sein, was sich im Globalisierungslabyrinth der Kunst alles verbirgt - zu besichtigen auf der Documenta.

NIKLAS MAAK

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.06.2002, Nr. 129 / Seite 58

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