DER STANDARD, 21. September 2001


Themenpark der österreichischen Seele

Die Zeit des Wartens ist vorbei. Endlich kann auch Österreich seine Gäste in einer "Hall of Fame" empfangen. Rudolf Leopold sei Dank. Und einer Republik, die sich um ein paar Milliarden ihrer Verantwortung für ihre (Kunst-)Geschichte erleichtert hat.


Markus Mittringer

Wien - Harald Szeemann hat 1996/97 eine Ausstellung zusammengestellt. Sie hieß "Austria im Rosennetz". Noch heute wirbt die Buchhandlung Walter König damit: "Eine Ausstellung, die von der üblichen Form nationaler Länderschauen abweicht. Sie beschränkt sich nicht auf die bekanntesten Kapitel österreichischer Kunst- und Kulturgeschichte (Wien um 1900, Wiener Aktionismus), sondern versucht, die unterschiedlichsten Türen zur ,Wunderkammer Österreich' zu öffnen."

Ab morgen ist die Sammlung Leopold öffentlich zugänglich. Nicht die ganze Sammlung selbstredend, aber die Inszenierung dessen, was einst die Republik bewog, in Bausch und Bogen alles einzukaufen, was Herrn Leopolds Schatzkammer versprach. Mit zum Deal von legislativ bewegender Bedeutung gehörte das Versprechen "lebenslänglich". Der Augenarzt mit dem untrüglichen Blick ("Ich erkenne eine Schiele-Fälschung innerhalb einer Sekunde") hat also, wie kein anderer Museumsmann, das verbriefte Recht, zu schalten und zu walten, wie es ihm beliebt.

Deswegen auch finden sich in seinem Museum zum Beispiel ein Hermann Nitsch ("Der schönste Nitsch, den es gibt!") und ein Oberhuber, auf den Hans Staudacher heute noch stolz wäre, und, in einer Reihe von einfachen, dem bäuerlichen Rationalismus entsprungenen Sitzgelegenheiten, ein Klappstuhl mit dem MQ-Logo.

Das wahre Leben

Harald Szeemann hat damals auch noch auf Johnny Weissmüller verwiesen. Das aber ist auch schon der einzige Unterschied zu Austria im Sammlerblick des Professor Leopold. Wie immer übertrifft das wahre Leben die kühnsten Kuratorenträume. An ein Kenotaph für einen immer noch höchst umtriebigen Angedachten dachte einst selbst Boullé nicht. Ortner & Ortner haben daran gedacht. Zumindest vermisst man in der zentralen Halle des Scheingrabs das Kondolenzbuch. Ansonsten ist das Haus mit der Ortnerschen Gelassenheit als gelungen zu bezeichnen.

Jedenfalls finden sich im Gegensatz zum Mumok hier Räume, deren Blickachsen nicht in Türen zu Sicherungskästen oder Feuerwehrschläuchen münden. Und auch die Lichtlösung ist weniger aufdringlich, wenn auch der Hang zu dominanten Streifen nicht verschwiegen wird. Aber gut, schließlich sind es ja die Bilder, die ein Museum ausmachen. Und die sind größtenteils hinter Glas.

Und dafür gibt es sicher eine Liste von Auflagen, denen absolut nicht widersprochen werden darf. Traurig ist es allemal. Zuletzt hat Rudolf Leopold Barbara Rett stellvertretend für alle Österreicher eindringlich erklärt, dass der Unterschied zwischen Schiele und Pornographie in der Färbung des "Ursprunges allen Lebens" (Gustave Courbet) läge. Jetzt ist ein jeder Quell säureattentatssicher verglast.

Und wie das Licht es so will, kann es durchaus vorkommen, dass aller Anfang dann in eben jenem Rot erscheint, das nicht nur den kunstfreundlichen Betrachter, sondern auch jene Inserate befallen hat, die Stifter Leopold nicht selbst schalten durfte.

Themenpark

Ansonsten: Ein Themenpark zur österreichischen Seele: eine armlose Madonna, in Holz, gefasst, um 1230; der Ausgriff fremder Wunden durch einen wie immer ungläubigen Thomas (undatiert, da aber Kremser Schmidt: sicher vor 1801); Altaussee, gesehen von Rudolf von Alt; eine Venus - leider im Pelzmantel und sitzend (Hans Canon); ein Gauermann ("Am Klosterbrunnen"), kein Sämann, aber immerhin ein "Bergmäher" von Albin Egger Lienz. Und dessen Andrea-Mantegna-Verzillertalerung, "Pieta" von 1926.

Gerstls, Koligs, Jungnickels, und dazwischen Bierkrüge und Kuchenformen. Und dann versteht man Rudolf Schwarzkoglers angedeuteten Gewaltakt gegen das eigene Gemächt im Museum gegenüber wieder ganz unmittelbar.

Das Museum gegenüber sieht man auch. Wie schon im Mumok selbst haben die Architekten sich das stärkste Bild gleich mit eingebaut: die theatralische Aussicht, getarnt als Orientierung gewährender Einschnitt. Und dann sieht man eben die beiden Türme des Allgemeinen Krankenhauses und muss erst recht an Österreich denken. Dagegen ist dann Alfred Kubin "Der beste Arzt" (weiblich, verwegener Hüftschwung, totenbeköpft, dem Patienten mit den Augen auch gleich Nase und Mund zuhaltend; der wiederum wehrlos ausgeliefert, weil Güte, vermittels Rosenkranz, seine Hände zum Gebet gefesselt hat.)

Angesichts dessen hat sich Kokoschka schon 1918 "Eine Hand ans Gesicht gelegt", ohnmächtig genug, nicht einmal die Nägel kauend zu entwurzeln. Kaum zehn Jahre später dürfte auch Michiko Tanaka so ihre Schwierigkeiten mit Wien gehabt haben. Trotz Blumenstrauß und wider das freudige Lächeln, das ihr Jehudo Epstein zu Pagenkopf und Kimono ins Gesicht gemalt hat: Sie war neben dem - auch heute noch bekannten Mohren - die zweite exzentrische Liebe von Julius, dem Stammfilialleiter aller Meindls. Er hat ihr ja auch an den Gestaden der Donau bei Klosterneuburg ein Teehaus gegen das Heimweh errichtet.

Die Hall of Fame ist voll. An-eck-Totenreich lädt sie sich Gäste ein. Und man muss es einfach sagen. Es ist gelungen, dieser Sammlung als Botschafterin Österreichs in der Welt neue Kleider anzuziehen. Der Schritt dazu war ganz einfach: Wer zahlt, kauft sich von seiner Verantwortung für seine Geschichte los. Und nur so konnte das Typische auch tatsächlich zum Ausdruck kommen.


© DER STANDARD, 21. September 2001
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