„Ich betreibe Religionsarchäologie“
GUDRUN WEINZIERL SALZBURG (SN). Töten, schlachten, ausweiden, opfern, bluten, beschütten und besudeln sind Vorgänge ritueller, kultischer Handlung. Der Künstler Hermann Nitsch macht dies in seinen Werken deutlich: Gott Dionysos und der gekreuzigte Christus, Zerreißung und statische Darstellung des duldenden Schmerzensmannes sind Bilder, die er litaneienhaft wiederholt.
Dies ist seit Dienstagabend in den „Kavernen 1595“ in der Gstättengasse in Salzburg zu erleben, wo die Wüstenrot Versicherung als Betreiber der Kavernen und die neu gegründete Nitsch Foundation eine Retrospektive mit Schütt- und Reliktbildern, Grafiken sowie Videosequenzen von Hermann Nitschs Aktionen zeigt.
Auf zwei großen Projektionswänden wird deutlich, dass die Substanzen des Lebens Fleisch und Blut, Hirn und Sperma sind. In den vielen Aktionen Hermann Nitschs – bis heute sind es über 120 – geht es um ein Thema: Das Ja zum Leben bis hin zum Exzess, bis zur Vernichtung und zur Wiederkehr. „Das Sein ist ein schöner wie auch ein leidvoller grausamer Prozess, es ist Dramatik und Tragödie, und noch immer lebt im Menschen das barbarische Verbrechen, das aus den Zeiten der griechischen Tragödie weitergeführt wurde“, sagte Hermann Nitsch im SN-Gespräch. Sinnlichkeit und Wein „Alles was in meinen Aktionen geschieht, ist zwar von mir erdacht und vorgegeben, aber es besteht zuvor – und das schon immer – in der Fantasie der Menschen und wurde zu allen Zeiten auch real ausgeführt.“ Hermann Nitsch versteht sich nicht als Visionär, sondern als Realist des blutigen, seit der Archaik im Menschen fortdauernden Exzesses. Seine Arbeit ist „Aufbruch zum realen Geschehen und Leben“, in dem Musik und Blumen, Essen und Trinken viel Platz haben.
Hermann Nitsch ist erdverbunden und mit der Landschaft des Weinviertels vertraut, er steht zu Sinnlichkeit und Wein. „Ich möchte, dass alles intensiver, sinnlicher und heiliger passieren kann, dass statt des Scheins das Sein gelebt wird.“ Er sagt, er wünsche sich, dass sein Werk als ehrlich und als ewiger Vollzug der Schöpfung erachtet werde. Wenn in zwei Jahren wieder ein Sechs-Tage-Spiel in Prinzendorf aufgeführt wird, will er der Idealpartitur seines Fests näher sein als früher. Denn seine bisherige Arbeit in den Mal- und Spielaktionen, auch in den Architekturzeichnungen und Studien des menschlichen Körpers sei immer nur eine Vorwegnahme zur Vervollkommnung des Sechs-Tage-Spiels.
Die Nitsch Foundation unter der Leitung von Michael Karrer wird sich neben der Betreuung des malerischen Oeuvres auch um die Vermittlung des Orgien-Mysterien-Theaters kümmern.Anlässlich der Ausstellung „45 Jahre Hermann Nitsch“ bis 30. August in den Kavernen ist im Styria Verlag das dreibändige Werk „Das Sein. Zur Theorie des Orgien-Mysterien-Theaters“ von Hermann Nitsch erschienen.