Salzburger Nachrichten am 2. Jänner 2007 - Bereich: Kultur
Eine fotografische Wendebilanz

Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin GERALD FELBER

Gerald Felber Berlin (SN). Angelika Kampfer kam aus Villach in Kärnten, Ewald Hentze aus dem schwäbischen Maulbronn. Doch als es richtig spannend wurde, zum Mauerfall 1989, waren sie beide in Berlin, erlebten, wie im Osten innerhalb von Monaten Strukturen zerbröselten, Menschen aufbrachen oder ideell heimatlos wurden - manchmal auch beides gleichzeitig. Wer Fotografie als Report und Kommentar zum Weltgeschehen betrachtete, konnte sich kaum Spannenderes wünschen.

Beide begannen, Menschen in der damaligen DDR zu fotografieren. Indem sie diese drei Jahre später und ein letztes Mal nach 2005 wieder besuchten, wurde ein Langzeitprojekt daraus: Diese Dokumentation der "Übergänge - Biografien zwischen DDR und Bundesrepublik " wird seit Anfang Dezember im Deutschen Historischen Museum in Berlin präsentiert.

Zunächst wirken die Bilder nüchtern und streng, alle Schnörkel sind weggelassen. Sie konfrontieren uns mit gebrochenen Biografien. Jede Serie ist aus drei Bildern, daneben stehen Daten aus Lebensläufen und sparsame Kommentare - da bleibt viel Raum zum Nachdenken.

Man sieht zum Beispiel zwei junge Frauen, Kolleginnen in einem Metallurgie-Betrieb; auf dem ersten Bild erscheinen sie gemeinsam, dann trennen sich die Wege. Die eine schult zur Altenpflege um und findet sich nach der Jahrtausendwende gut integriert. Von der anderen gibt es nach dem gemeinsamen Bild nur mehr das von 1992 - da ist sie arbeitslos, schaut zwar still, aber noch gelassen in die Kamera. Der dritten Aufnahme nach der Jahrtausendwende hat sie sich verweigert wie einige andere auch - die Fotografen haben das respektiert. So gibt es abgebrochene Serien durch die inzwischen Gestorbenen und durch solche, die sich selbst für gesellschaftlich tot erklärt haben.

Die Bilanz fällt bei diesen fotografischen Serien, die in der brandenburgischen Provinz entstanden sind, durchwachsen aus. Zwar gibt es Erfolgsgeschichten: den Tischler, sie sich selbstständig gemacht hat; den alten Kohlehandel, der am Ende der DDR zehn Mitarbeiter hatte, 1990 auf Heizöl umsattelte und jetzt 70 Beschäftigte und 100 Lkw im Portefeuille hat. Auch diejenigen, die inzwischen in den Rentenhafen eingeschwommen sind, schauen mehrheitlich zufrieden drein.

Aber dann sieht man Gesicht und Daten von einem, der bis 1992 Steiger in einer Braunkohlengrube war. Seitdem: drei Anläufe bei Baufirmen, die alle Pleite gingen; drei Jahre Arbeitslosigkeit, Überbrückungsprojekte, Niedriglohnarbeiten. Jetzt ist er "Landschaftsgestalter" in seiner Heimatgemeinde - ein freundlicher Euphemismus für einen, der die Straßen kehrt und die Bänke anstreicht. Frau und Sohn, jeweils mit Ein-Euro-Jobs beschäftigt, bessern die Bilanz nicht auf. Das ist kein Grund zur Wehleidigkeit (die sich der Mann auch selbst nicht leistet), wohl aber der Blick auf viel verlorenes Potenzial.

Die Jahrgänge, die 1989 noch in die Schule gingen, werden es schon deswegen besser haben, weil sie organisch in die neue Welt hineingewachsen sind. Denen aber, die Angelika Kampfer und Ewald Hentze besucht haben, sind ihre - erst gewollten und erträumten, dann erzwungenen - Übergänge sichtlich nicht leicht gefallen. Bis 28. Februar im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums Berlin, tägl. 10-18 Uhr. Das Buch dazu ist vom Böhlau-Verlag.