Kopf des Tages

Er zog aus, Realitätsstücke zu verschieben

23. Februar 2010, 19:23
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Christoph Büchel versteht es, die mediale Lust am Skandal in der Secession zu bedienen

Christoph Büchel packt mit an. Ob er nun zu Fuß oder mit dem Truck Fundstücke in New Yorks Lower East Side zusammensammelt oder in Wien für seine Intervention in der Secession riesige Blumenkübel mit Plastikgrün in den Klimt-Raum schleppt. "Immer auf 180", wird er beschrieben. Aber er ist auch jemand, der innehalten kann, beispielsweise, wenn ihn Journalisten während der Verschubarbeit ansprechen, ohne zu wissen, wer er ist. Büchel gibt sich zu erkennen und wirft dem Fragenden - wenn auch zögerlich - gut gelaunt Auskunftsbröckchen zu. "Ich ertrage keine Journalisten", soll er gesagt haben. Büchel weiß dies sympathisch zu verbergen.

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Totalverweigerer ist der 1966 geborene Basler nicht, dem Kunstforum gewährte er 2004 ein rares Interview. Informationen über Privates sucht man vergeblich. Wer mehr über den "künstlerischen Borderliner" erfahren will, muss seine Installationen studieren, die er mit großer Akribie und mit ebensolchem Aufwand ausstattet. Kein Wunder, dass Büchel - wie zuletzt 2008 in der Ausstellung "Deutsche Grammatik" im Friedericianum Kassel - Ausstellungsbudgets sprengt. Es inszeniert keine Abbilder der Welt, sondern Realitätsstücke daraus: "Ausschnitte einer wuchernden, einer konstruierten Welt, die sich selbst nicht versteht."

1998 baute Büchel, der schon fast überall auf der Welt ausgestellt hat, in Chicago die Wohnung eines Messies nach, besser gesagt, er bemüllte entsprechende Zimmerfluchten. Eine Arbeit, die er 1999 und 2000 variierte: Die Besucher fanden sich in der chaotischen Welt eines Menschens wider, der alles anfängt und nichts zu Ende bringt: keine kontemplative, sondern eine teilnehmende Kunsterfahrung, die stets voyeuristische Elemente beinhaltet. 

2001, kurz nach 9/11, inszenierte er in New York eine Art chaotisches "Anti-Disneyland", eingeschraubt zwischen den, die amerikanische Gesellschaft bestimmenden Polen Angst und Freiheit. 2002 zeigt er im Lentos in Linz eine Abfolge von 21 klaustrophobischen Geheimkammern ("Shelter"), die den Besucher in die Knie zwangen, ihn krabbelnd am Mist der Zivilisation vorbeiführten. 2005 platzierte er in der Kunsthalle Basel einen gesprengten Reisebus. 2006 versteckte er in seiner Londoner Show einen Sweatshop für muslimische Näherinnen: "Simply Botiful". Und so weiter. 

Büchel entwirft entlarvende Gesellschaftsbilder. Und er verhöhnt bisweilen den Kunstbetrieb, setzt sich über dessen erhabene Kriterien der Auswahl hinweg: 2002 versteigert Büchel - unter Mitwissen und Billigung der Kuratorinnen - seine Einladung und "Teilnahmerechte" an der Manifesta in Frankfurt auf ebay.

Müll und Schrott sind wiederkehrende "Gestaltungs"-Elemente bei Büchel: "Müll triggert Ideen und Geschichten wegen seiner Natur als potenzieller Bedeutungsträger." Und: „Abfall ist so etwas wie ein leerer Zeichenträger, den man neu mit Bedeutungen füllen kann, abhänging vom Zusammenhang, in den man den ‘Müll' stellt" (Büchel im Gespräch mit Paolo Bianchi im Kunstforum). Zum Beispiel in den Zusammenhang von Hurrikan Katrina und der Flutkatastrophe von New Orleans: Für die Ausstellung "Superdome" im Pariser Palais de Tokyo verschüttete Büchel gleich mehrere Räume mit Plastikschrott; die Halde war nur über Abwasserrohre zu überwinden.

In der an Provokationen immer ärmer werdenden Kunstlandschaft ist Büchel immer für eine Erregung gut: Letzter Aufreger die Ausstellung in Kassel, für die er unter anderem eine Parteienmesse vorsah. Als die demokratisch legitmierten Bundestagsparteien jedoch feststellten, dass neben allerlei Nonsens-Politgruppierungen auch die rechten Republikaner und die NPD verteten sein sollten, sagten sie die Teilnahme ab und hinterließen verwaiste Messestände.

Büchel gehört zu den erfolgreichsten Schweizer Künstlern, rangiert derzeit in der "Bilanz" auf Platz fünf, 2006 führte er die Rangliste sogar an. Die Preise seiner Arbeiten bewegen sich, wie die den Künstler vertretende, renommierte Galerie Hauser & Wirth bestätigt, zwischen 20.000 (für Videos oder Multiples) und 400.000 Franken für komplexe Installationen, wie sie sich private Sammler à la François Pinault leisten. Büchel kann auf internationale Personalen in New York, Los Angeles oder London verweisen; er nahm an internationalen Biennalen teil, 2005 gastierte er etwa mit seinem Guantanamo-Projekt auch in Venedig,

"Ich bin weder Apokalyptiker noch Psychoanalytiker", betont Büchel, der Salzburg 2006 im Rahmen des Festivals kontrakom allerdings eine beschämende Analyse verpasste: Er initiierte das Bürgerbegehren gegen die "Verschandelung" der Stadt durch zeitgenössische Kunst. Eine Initiative, die unglaublichen Erfolg hatte.  (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD/Printausgabe 24.2.2010)

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