Salzburger Nachrichten am 2. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Künstler als politische Botschafter

Eine kleine, grandiose Sonderausstellung in der National Gallery in London: "Bellini and The East"

Hedwig KainbergerLondon (SN). Ein weißbärtiger, wie ein islamischer Herrscher gekleideter Mann ist mitten in einer christlichen Szene mit Maria, Josef und dem Jesuskind. Das Bild zeigt die im Lukasevangelium beschriebene Beschneidung des Neugeborenen im Tempel durch einen Weisen namens Simeon. Dessen Robe auf dem Bild Giovanni Bellinis habe das gleiche Dekor, wie es ursprünglich für das Gewand eines Kalifen typisch gewesen sei, und später seien derart gemusterte Roben in islamischen hohen Festen verwendet worden, heißt es im Katalog zur Sonderausstellung "Bellini and The East", seit Mitte April in der National Gallery in London (bis 25. Juni).

Ein hoher islamischer Würdenträger als Hauptperson in einer intimen christlichen Szene, die in der Kapelle eines Benediktinerstifts hing? Wäre das heutzutage blasphemisch? Ein Skandal?

Um 1500, als das Gemälde in der Werkstatt Giovanni Bellinis entstand, signalisierte dieses Muster bloß den biblischen Ort irgendwo im Nahen Osten und die hohe Autorität des alten Mannes. Dies hatte aber offenbar nichts mit dem zu tun, was heutzutage "interreligiöser Dialog" genannt wird.

Wie ungeniert damals die Künstler Islamisches und Christliches vermischten, zeigt ein weiteres Bild, gemalt um 1480 von Giovannis Bruder Gentile Bellini: Der Thron einer christlichen Gottesmutter mit Jesuskind steht auf einem westanatolischen Gebetsteppich, wie er Mitte des 15. Jahrhunderts in einer Moschee für die täglichen Gebete Richtung Mekka verwendet wurde.

Dabei hätte es allen Grund zu Verkrampftheit und Feindseligkeit gegeben: 1453 hatten die Türken unter Sultan Mehmed II. Konstantinopel erobert; damit ging das byzantinische Reich unter, das christliche Konstantinopel wurde zum islamischen Istanbul. 1463 bis 1479 führten Venedig und das Ottomanische Reich einen Krieg, in dem Venedig die Kontrolle einiger Handelsstützpunkte verlor.

Erstaunlicherweise folgte dieser Feindseligkeit zwischen zwei christlichen und islamischen Machtzentren ein ungewöhnliches Interesse an kulturellem Austausch, der in Kunstwerken zu entdecken ist, wie sie in drei Räumen der National Gallery gezeigt werden. 1479, im Jahr des Friedensvertrags, ersuchte Mehmed II. die Venezianer, einen ihrer Künstler nach Istanbul zu senden. Gentile Bellini machte sich mit zwei Gesellen auf, reiste also gleichsam als Botschafter des Westens in die neue Hauptstadt des Ostens.

In Istanbul malte er 1480 ein Porträt des Sultans, so wie es in Venedig normal war, einen Dogen abzubilden. Dieses einzige erhaltene authentische Bild Mehmeds wurde in den folgenden Jahrzehnten von westlichen Künstlern wie ein Prototyp des türkischen Eroberers übernommen. Zudem zeichneten die venezianischen Künstler in Istanbul die dortigen Menschen mit ihren exotischen Gesichtern und Kleidern und brachten die Bilder nach Hause (heute gehören sie Museen in London, Paris und Frankfurt).

Die kleine Ausstellung macht deutlich, wie über Künstler östliche Ästhetik in die westliche Kunst sickerte. Auch in anderer Richtung ist der Einfluss manifest: Gentile Bellini malte während seines Aufenthalts an Mehmeds Hof einen sitzenden Schreiber. Erst zeichnete er die Figur in brauner Tinte, dann fügte er Wasserfarben und Gold hinzu und ließ sich dabei - wie es im Katalog heißt - von islamischen Techniken inspirieren. Dieses Motiv Bellinis findet sich in persischen Alben wieder.

Das köstliche Bild dieses jungen Mannes in "Türkensitz", mit Ohrring, weißem Turban, Mantel aus blau-goldenem Brokat, blassen Händen und zarter Feder ist ein faszinierendes Beispiel, wie harmlos über Kunst die Formen und Muster zweier Kulturen vermählt wurden, so dass zwei aggressive Feinde subtil Bekanntschaft schlossen.