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21.10.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Belichtet, fixiert: Das vermessene Land
VON THOMAS KRAMAR
Museum der Moderne Salzburg. "Simultan", an die 500 Werke österreichischer Fotografie der letzten 50 Jahre.

Ich, ich, immer ich, 24. 11. 97 19.00, salzgries 1": Sissi Farassat, Jahrgang 1969, körnig im Bild, Zigarette in der Rechten, die Linke über die Sessel gestreckt, offenbar im Café Salzgries, das hat inzwischen geschlossen.

"Nur ein Tag", 150 Polaroids von Inge Dick: der Blick durch ein Gitter auf eine Gegensprechanlage, von der Nacht über den Tag in die Nacht, 11. 3. 1989. Heute schießt niemand mehr Polaroid-Sofortbilder.

Niagara Falls, New York, N: 43O 05,28' W: 79O 04,00' Alt. 168 m. Michael Schuster hat eine Farbskala in die Landschaft gestellt, wie in 49 andere. Eine Landvermessung pro Bundesstaat.

Festhalten, einfangen, bezeugen: Das ist die ursprüngliche Macht der Fotografie, zu deren ursprünglicher Technik das Fixieren zählt: Na2S2O3 wäscht heraus, was unbelichtet geblieben ist. Das Belichtete bleibt.

Und fällt der Sammlung und Ordnung anheim: Kurator Urs Stahel hat Material aus zwei Sammlungen (siehe unten) neu geordnet, in einen Prolog, sieben Begriffe - "Aktionismus", "Identität", "Bildspiele", "Konstruierte Wirklichkeit", "Szenario", "Das Land", "Sozialraum" - und einen abschließenden "Clash" (trivial: Fotografie mischt sich mit anderen Formen). Der Prolog ist klar: die so genannte Stunde null, die Nachkriegszeit. Erich Lessings Trümmerbilder, die "Homecoming Studies" von Ernst Haas: Frau und Kinder sonnen sich vor Ruinen, der Soldat trägt die Prothese im Rucksack.

In unmittelbarer Folge auf die sehr reale Körperlichkeit des Kriegs erhalten die Leibesübungen des Aktionismus ein wenig von der Bedrohlichkeit zurück, die sie in unzähligen Retrospektiven verloren haben. Nur Otto Mühls Porno-für-Selbsterfahrungsgruppe-Kasperliaden bleiben lächerlich.

Ganz im Gegensatz zu Valie Exports Anordnungen, "Zwischen ihren Lippen mit offenem Mund geboren" etwa: ein Auge, ein Mund, ein Penis, ein männlicher Körper, versandet in einer Dünenlandschaft - die Geburt des Mannes aus Staub, ein Gegen-Mythos zur Geburt der Aphrodite? Leo Kandls Sakkos auf Sesseln, Ulrike Lienbachers Pin-up-Übungen, Elke Krystufeks Poster-Posen und ihr männliches Pendant, Matthias Herrmanns witzige "Textpieces" (inklusive dem vorletzten Tableau "Hiermit trete ich aus der Kunst aus"), . . . bis zu Eva Schlegels Siebdrucken, in denen die Identität verblasst, verschwindet.

Ähnlich beschwörerisch wirken etliche Exponate in "Das Land": Manfred Willmanns fotografierter Mittagstisch, vier Teller Nudelsuppe auf Obst-und-Blumen-Plastiktischtuch, in der Mitte der Schweinsbraten, der erschreckend nach totem Tier (nach Totemtier?) aussieht. Oder die verdichtete Vergänglichkeit von Robert Hammerstiels aufgegebenen Tankstellen. Viel Staub und Grau und alte Vorhänge auch im folgenden "Sozialraum"-Abschnitt: Walter Niedermayr entblößt durch böses Überbelichten die Fratze des Wintertourismus, Margherita Spiluttini zeigt von Straßen zerfressenes Gebirge, Barbara Holub die herbstlichen Reste eines Pools. Sabine Bitter und Helmut Weber rahmen Stadtansichten, die sich in der Nähe als aus Lettern zusammengesetzt entpuppen, aus (Steh-)Satzteilen der Wirtschaftswelt: "Kommerzialisierung", "Industrie", "Gesetzmäßigkeit".

Mehr Täuschungen und Splitterungen in den "Bildspielen" und "Konstruierten Wirklichkeiten": Der ausgespuckte Kaugummi von Horáková/Maurer sieht aus wie rohes Fleisch, der Mund wird bei Herwig Turk zum grausigen "Superorgan". Und wenn die Schriften schwinden, bleibt Fremde: Gregor Grafs buchstabenlose "Hidden Town". Festgehalten in ihrer Bedeutungslosigkeit. Auch sie wäre eine mögliche Endstation.

Lieber doch noch einmal zurück auf Wanderschaft! In die freundlichste Abteilung, ins "Szenario". Mit Paul Albert Leitners "Exkurs über das Reisen": Die Bahnhofsuhr, die bebilderte Speisekarte, das Handtuch in der Waschmuschel; Rainer Iglars schon etwas befremdlicherem "Arkadien". Eine der in sich geschlossensten Arbeiten: "Mein Feld ist die Welt" von Brückl/Schmoll: Variationen über Malen und Fotografieren, Abbilden und Betrachten, mit einem möglichen Zentrum: Das Modell, exakt geschminkt, blickt zum Beobachter, genauso wie die gemalte Ausgabe über ihr, affichiert auf einer Tapete, die Gefäße zeigt. So wie ein anderes Gemaltes, mit weiblichem Geschlecht inmitten: "L'Origine du Monde" (1866) von Gustave Courbet, Vater des Realismus. Ein Beginn, festgehalten, ohne Na2S2O3.

"Zwei Sammlungen österreichischer Fotografie": Bis 15. Jänner, Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr. www.museumdermoderne.at

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