Salzburger Nachrichten am 16. September 2005 - Bereich: kultur
Nitsch in der Burg

122. Aktion seines "orgien mysterien theater"

Wien (SN-hkk). "In meiner Jugend war mir und meinen Kollegen das Burgtheater ein Dorn im Auge", erzählte Hermann Nitsch am Donnerstag in einer Pressekonferenz im Burgtheater in Wien. Rudolf Schwarzkogler habe damals das Burgtheater mit Torfmull füllen wollen, er selbst habe "lebendige Schweinderl" darin auslassen wollen. Mehr als Polemik im Wirtshaus ist daraus nicht geworden. Nun, Jahrzehnte später, bereitet Hermann Nitsch nicht aus Protest, sondern im Auftrag von Burgtheaterdirektor Klaus Bachler eine Aktion für den österreichischen Theatertempel vor. Das Burgtheater habe sich verändert, sagte Nitsch. Nun sei er stolz, "in diesem erhabenen Haus" seine Kunst zeigen zu dürfen.

Am 19. November von 15 bis 23 Uhr wird er die 122. Aktion seines "orgien mysterien theater" im und rund um das Burgtheater veranstalten. Etwa 100 Darsteller, der Universitätschor, die Junge Philharmonie und bis zu 1200 Besucher werden teilnehmen. Heute, Freitag, zu Mittag beginnt der Kartenvorverkauf.

"Lebendige Schweinderl" oder andere lebende Tiere werde es nicht geben, "außer ich ändere meine Partitur noch", sagte Nitsch. Und Blut? Ja, Blut werde fließen, kein "Theaterblut", sondern "echtes".

Nitschs "orgien mysterien theater", das einst Skandale verursacht hat, ist also arriviert genug für ein Haus der Bundestheater.

Weil das Burgtheater subventioniert werde, könnten die Karten billiger verkauft werden als für Aktionen in Prinzendorf, erläuterte Klaus Bachler. Er halte Hermann Nitsch "für den einzigen Gesamtkünstler, den wir haben". Nitsch breche die Theaterform aus dem 19. Jahrhundert - Rampe, Bühne, dunkler Zuschauerraum - auf.

Er wolle in seinem "vorsprachlichen Theater" sinnliche Erfahrung vermitteln, erläuterte Nitsch. Die "Vorform der Sprache" sei der Schrei, darin drücke sich extreme Erregung aus wie bei Geburt, Tod, Begattung und Qual. Daher sei der Schrei die Wurzel seiner Musik. Verdrängung habe schreckliche Folgen wie Angst und Aggression. Also solle sein "orgien mysterien theater" das "verdrängte, unbewusste Leben" nach außen reißen. Dies sei nur mit "radikalem und exzessivem Theater" und mit "schonungslosem Exhibitionismus" möglich. Nitsch versicherte, er wolle nicht provozieren, sondern eine Intensität wie im griechischen Theater oder in Matthias Grünewalds Isenheimer Altar erreichen. "Ich möchte, dass einem die Ganslhaut kommt."