01.08.2003 19:03
Schattenspiele, Mythen und Hutarrangements
Von der bildenden Kunst aus gesehen sind die
Salzburger Festspiele ein opulenter Rahmen, um Gutes und Teures an
internationales Publikum zu bringen - Foto
Eine Sichtung des üppig bestückten Sortiments an Bildfindungen
und Strategien aus aller Welt.
Salzburg - Josef Theodor Ethofer bezog 1898 ein Atelier im Salzburger
Künstlerhaus. Von dort aus begann der Wiener Genremaler das Salzburger
Gesellschaftsleben zu erkunden, beobachtete Damen im Café Bazar, die
Hutarrangements rund um den Tomaselli-Kiosk oder auch den Radi-Verzehr im
Stieglkeller. Detailgetreu hielt er die Beschaulichkeit im milden Gegenlicht
fest. Seine Auftraggeber fertigten Postkarten der Milieustudien aus seinem
zahnlosen Repertoire. Sein Bild von Salzburg als ewig betörender Sommertag gilt
bis heute als vorbildlich:
Müßiggang im Schatten des Glockenspielturmes,
Geborgenheit in der Lüge. Ethofers Knigge-Bilder zum Idealverhalten finden sich
nicht nur heute noch an jeder Ecke im realen Festspiel-Stadtbild, sondern auch
in einer Schau der Residenzgalerie zu den Tischgesellschaften in der Malerei des
16.-20. Jahrhunderts. Albin Egger-Lienz' gebeugt lümmelnde Landbevölkerung beim
Mittagessen (1920) hängt da ganz didaktisch als Beleg für den - siehe Gelatin -
stets drohenden peinlichen Störfall.
Ebenfalls einem alten Thema der
Kunstgeschichte widmet sich die Münchner Großgalerie Monika Sprüht/Philomene
Magers, die heuer samt Londoner Partner Simon Lee zur Sommerfrische an die
Salzach gezogen ist, um "etwas zum kulturellen Klima beizutragen und
gleichzeitig ein international anspruchsvolles Publikum zu finden".
Ihr
Thema ist Shadow and Light. Interpretationen zum Hell und Dunkel kommen von Rang
und Namen, von Artschwager über Richter bis Warhol, samt Schattenriss von Kara
Walker und LED-gestützter Aufklärung durch Jenny Holzer - tadellose Accessoires
fürs Chalet von Welt.
"Das Mehrwissen führt zu einem
Immer-weniger-Wissen, zu einem immer größeren Raum des Nichtwissens", schreibt
Anselm Kiefer. Und schließt daraus: "Deswegen sind die Mythen ungeheuer
wichtig." Und deswegen wird er auch nicht müde, immer komplexere bildnerische
Strategien zu entwickeln, dem drohenden Verlust von Überblick drückend schwer
entgegenzuwirken, der Flüchtigkeit des Moments mit Materialschlachten zu
begegnen.
Aus den ideengetränkten Feldern, hofft er, wird Neues
erwachsen. Was, bleibt unklar, die angestrengte Gedächtnisarbeit bringt in
jüngsten Arbeiten Kiefers - zu ergründen bis 13. 9. in der Galerie Ropac am
Mirabellplatz - bloß dekorative Halden hervor, Bühnen für das ersehnte Dämmern
beliebiger Götter.
Eine andere Halde, ganz von dieser Welt, haben Tim
Noble & Sue Webster für die zweite Ropac-Sommerausstellung aufgeschüttet.
Ein kleines Häufchen simplen Zivilisationsmülls ergibt, im richtigen Winkel
angestrahlt, den Schattenriss eines kopulierenden Rattenpärchens. Für Anselm
Kiefer vielleicht ein allzu simpler Witz, den sich die Schau Skulptur 03 in der
Max-Gandolph-Bibliothek am Mozartplatz erlaubt. In jedem Fall aber wichtiger
Teil der wohl besten Präsentation in diesem Festspielsommer. Das dicht verwobene
Miteinander von Variationen auf Sinn und Unsinn des Seins als zivilisierter
Mensch ergibt ein launiges Panoptikum aus bedeutenden wie unbedeutenden
Teilaspekten elementarer Fragen, gestellt von u. a.: Stephan Balkenhol, Louise
Bourgeois, Judy Fox, Antony Gormley und Manfred Erjautz. (DER STANDARD,
Printausgabe, 2./3.8.2003)