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12.09.2002 - Ausstellung
Lämpchen, Lust, Laminat: Ein kühler Blick zurück zu Memphis
Ettore Sottsass besuchte Wien und die Ausstellung über seine Design-Bewegung der achtziger Jahre: "Memphis" wird zur Zeit im Looshaus und in Krems gezeigt.
VON ALMUTH SPIEGLER


Er kommt direkt von der Eröffnung der Architektur Biennale in Venedig. Drei seiner Entwürfe sind in der Großausstellung "Next" zu sehen. Müde lehnt sich Ettore Sottsass in seinen blauen Samtsessel im Hotel Sacher. In Wien hat der 85 Jahre alte Architekt und Designer eine Ausstellung über seine in den achtziger Jahren gegründete Bewegung "Memphis" eröffnet. Gezeigt werden die knallbunten opulenten Möbel in der "Designzone Looshaus", die sich - betrieben von der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien - immer mehr zu einem der wenigen heimischen Räume für internationales Design gemausert hat.

"Kitsch?" Diese Frage hat sich Sottsass in Zusammenhang mit "Memphis" schon oft gefallen lassen müssen. "Auch den deutschen Expressionismus kann man kitschig finden. Wenn man ein Experiment eingeht, trägt man das Risiko". Sottsass wirft einen scharfen Blick auf sein jugendliches Gegenüber: "Viele ältere Leute finden die zeitgenössische TV-Kultur kitschig, mich eingeschlossen. Ich fand auch Diskotheken sehr kitschig. Das hängt von der Beziehung dazu ab. Wir haben damals gestreikt gegen das, was nicht kitschig ist - was die Bourgeoisie als nicht kitschig betrachtete."

Er sprach's und sah sich im gediegenen Blauen Salon des Sacher um: "Das hier ist meiner Meinung nach einer der kitschigsten Räume der Geschichte". Aber auch den Minimalismus reiht er in diese schwammige Kategorie: "Alles weiß, alles rein, alles logisch klar - man muß fast nichts mit seinen Sinnen spüren. Es gibt keine Farben, man hat kein Risiko - das fand ich sehr protestantisch".

Genau dieser funktionalistischen Ästhetik hat Sottsass 1980 mit einer Gruppe Architekten und Designern den Kampf angesagt. Es entstanden Möbel, die sich überschwänglich an Formen, Farben und Stilen wie Pop-Art, Art Deco, Futurismus bedienten - phantastische Gebilde wie Sottsass' Regal "Carlton", das sich wie eine Skulptur von Keith Haring in den Raum reckt, und seine an eine Comics-Ente erinnernde Tischlampe "Tahiti" fehlen heute in keinem Design-Geschichtsbuch.

"Memphis" traf in den Achtzigern wie eine mit Farbe gefüllte Wasserbombe die Geschmacksnerven der modischen Opinion-Leader. Karl Lagerfeld etwa richtete sich eine ganze Wohnung im schrägen Plastik-Laminat-Schwulst ein.

"Wie wir damals begonnen haben, war die kulturelle Umgebung ziemlich statisch, langweilig. Wir gaben dem System also so etwas wie eine Tasse Kaffee", schmunzelt der Italiener. "Wir haben ein Fenster geöffnet und gezeigt, daß man alles machen kann - daß ein Tisch nicht notwendigerweise die gleichen vier Füße haben muß. Oder daß man reichen Marmor mit armem Material wie Wurzelholz kombinieren kann. Wir haben eher Möglichkeiten eröffnet als einen Stil begründet."

Teure Memphis-Originale

Nur sieben Jahre lang dauerte der mediale Rausch, der die international zusammengewürfelte Gruppe (darunter auch Hans Hollein und Mattheo Thun) in den Status von Rockstars hievte.

Für die Masse hat "Memphis" nie entworfen. Wer sich etwa heute noch ein Memphis-Original leisten möchte, zahlt für Sottsass "Carlton"-Regal um die 9500 Euro. Doch der Einfluß der ornamentreichen Entwürfe war in den neunziger Jahren in den Katalogen vieler Möbelhäuser zu erkennen - abgekupfert und zu wahrem Kitsch zusammengestutzt.

"Memphis war ein Moment des theoretischen Designs. Wir haben nicht erwartet, irgend etwas zu verkaufen. Unser Interesse war es, uns mit Design an sich zu beschäftigen. Machen wir es für die Menschen? Machen wir es, um die Industrie reicher zu machen?"

Die Zeit von Memphis war begrenzt. Jeder Zeit ihre Kunst - das sieht auch Sottsass heute so. Wenn er durch die sechzig Exponate in der Wiener Ausstellung schlendert, werde er keine Nostalgie fühlen, meint er abgeklärt: "Doch alle von Memphis schauen gerne auf die Zeit zurück, in der wir glücklich zusammen waren."

Die heutige Bedeutung von Memphis ist gering. Kritische Stimmen würden die "monströsen" Objekte lieber gar nicht mehr ausgestellt sehen. Sottsass: "Die Historiker können die Existenz von Memphis nicht ignorieren. Und das ist mehr als wir verlangen können."

Nach Sottsass' Ausstieg aus der Gruppe im Jahr 1988 löste sich die Bewegung langsam auf. Jeder ging seine eigenen Wege. Der zweite Teil der übersichtlichen Ausstellung - zusammengestellt wurde sie von Lilli Hollein, die durch ihren Vater mit Memphis aufwuchs - präsentiert in der Kunsthalle Krems die Entwicklung der ehemaligen Mitglieder: Nathalie du Pasquier etwa, die den Memphis-Stoffen die unverwechselbaren Muster gab, hat sich heute der Malerei verschrieben. Terry Jones ist Art Director des Hedonisten-Magazins ID, andere - wie Architekt Arata Isozaki - führte die eigene Karriere an die Weltspitze.

Sottsass blieb Allrounder: "In meinem Büro mache ich alles: Architektur, Inneneinrichtung, Objekt-, Industrial- und theoretisches Design. Viele Arbeiten gehen direkt in Kunstgalerien."

Die Liebe in Tirol

Zu Österreich hat Sottsass einen überraschenden Bezug: "Meine Mutter kam aus Innsbruck, und dort wurde ich auch geboren. Mein Vater war Italiener, studierte in Wien bei Otto Wagner Architektur und mußte im 1. Weltkrieg zur Armee. In der Offiziersschule in Innsbruck lernte er meine Mutter kennen." Zur Memphis-Zeit, in den Achtzigern, unterrichtete der Designer auch als Gastprofessor an der Wiener Angewandten - "aber ich bin kein guter Lehrer".

In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Design und Architektur oft zu verschwimmen scheinen - wo liegen da noch die Unterschiede? "Das sind technische Gründe: Wenn man Architektur macht, hat man einen Klienten - man weiß, für wen man arbeitet. Ein Designer weiß nicht, wer seine Öffentlichkeit ist. Da gibt es Leute in der Mitte, die Marketing-Leute, die sagen, was der Markt will".

Der hohe Stellenwert von Marketing stimmt Sottsass nachdenklich: "Ich komme gerade von der Architekturbiennale in Venedig. Das minimalistische Denken ist immer noch da, aber es gibt auch eine Notwendigkeit, Architektur zu machen, die gleichzeitig Werbung für den Kunden ist - das ist dann Fast-Food-Architektur."

Designzone Looshaus: bis 19. Oktober, Mo. bis Sa. 10 bis 18, Do. bis 20 Uhr. Kunsthalle Krems: bis 29. Sept., tägl. 10 bis 18 Uhr.



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