Er kommt direkt von der Eröffnung der Architektur
Biennale in Venedig. Drei seiner Entwürfe sind in der Großausstellung
"Next" zu sehen. Müde lehnt sich Ettore Sottsass in seinen blauen
Samtsessel im Hotel Sacher. In Wien hat der 85 Jahre alte Architekt und
Designer eine Ausstellung über seine in den achtziger Jahren gegründete
Bewegung "Memphis" eröffnet. Gezeigt werden die knallbunten opulenten
Möbel in der "Designzone Looshaus", die sich - betrieben von der
Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien - immer mehr zu einem der wenigen heimischen
Räume für internationales Design gemausert hat.
"Kitsch?" Diese Frage hat sich Sottsass in Zusammenhang
mit "Memphis" schon oft gefallen lassen müssen. "Auch den deutschen
Expressionismus kann man kitschig finden. Wenn man ein Experiment eingeht,
trägt man das Risiko". Sottsass wirft einen scharfen Blick auf sein
jugendliches Gegenüber: "Viele ältere Leute finden die zeitgenössische
TV-Kultur kitschig, mich eingeschlossen. Ich fand auch Diskotheken sehr
kitschig. Das hängt von der Beziehung dazu ab. Wir haben damals gestreikt
gegen das, was nicht kitschig ist - was die Bourgeoisie als nicht kitschig
betrachtete."
Er sprach's und sah sich im gediegenen Blauen Salon des
Sacher um: "Das hier ist meiner Meinung nach einer der kitschigsten Räume
der Geschichte". Aber auch den Minimalismus reiht er in diese schwammige
Kategorie: "Alles weiß, alles rein, alles logisch klar - man muß fast
nichts mit seinen Sinnen spüren. Es gibt keine Farben, man hat kein Risiko
- das fand ich sehr protestantisch".
Genau dieser funktionalistischen Ästhetik hat Sottsass
1980 mit einer Gruppe Architekten und Designern den Kampf angesagt. Es
entstanden Möbel, die sich überschwänglich an Formen, Farben und Stilen
wie Pop-Art, Art Deco, Futurismus bedienten - phantastische Gebilde wie
Sottsass' Regal "Carlton", das sich wie eine Skulptur von Keith Haring in
den Raum reckt, und seine an eine Comics-Ente erinnernde Tischlampe
"Tahiti" fehlen heute in keinem Design-Geschichtsbuch.
"Memphis" traf in den Achtzigern wie eine mit Farbe
gefüllte Wasserbombe die Geschmacksnerven der modischen Opinion-Leader.
Karl Lagerfeld etwa richtete sich eine ganze Wohnung im schrägen
Plastik-Laminat-Schwulst ein.
"Wie wir damals begonnen haben, war die kulturelle
Umgebung ziemlich statisch, langweilig. Wir gaben dem System also so etwas
wie eine Tasse Kaffee", schmunzelt der Italiener. "Wir haben ein Fenster
geöffnet und gezeigt, daß man alles machen kann - daß ein Tisch nicht
notwendigerweise die gleichen vier Füße haben muß. Oder daß man reichen
Marmor mit armem Material wie Wurzelholz kombinieren kann. Wir haben eher
Möglichkeiten eröffnet als einen Stil begründet."
Teure Memphis-Originale
Nur sieben Jahre lang dauerte der mediale Rausch, der die
international zusammengewürfelte Gruppe (darunter auch Hans Hollein und
Mattheo Thun) in den Status von Rockstars hievte.
Für die Masse hat "Memphis" nie entworfen. Wer sich etwa
heute noch ein Memphis-Original leisten möchte, zahlt für Sottsass
"Carlton"-Regal um die 9500 Euro. Doch der Einfluß der ornamentreichen
Entwürfe war in den neunziger Jahren in den Katalogen vieler Möbelhäuser
zu erkennen - abgekupfert und zu wahrem Kitsch zusammengestutzt.
"Memphis war ein Moment des theoretischen Designs. Wir
haben nicht erwartet, irgend etwas zu verkaufen. Unser Interesse war es,
uns mit Design an sich zu beschäftigen. Machen wir es für die Menschen?
Machen wir es, um die Industrie reicher zu machen?"
Die Zeit von Memphis war begrenzt. Jeder Zeit ihre Kunst
- das sieht auch Sottsass heute so. Wenn er durch die sechzig Exponate in
der Wiener Ausstellung schlendert, werde er keine Nostalgie fühlen, meint
er abgeklärt: "Doch alle von Memphis schauen gerne auf die Zeit zurück, in
der wir glücklich zusammen waren."
Die heutige Bedeutung von Memphis ist gering. Kritische
Stimmen würden die "monströsen" Objekte lieber gar nicht mehr ausgestellt
sehen. Sottsass: "Die Historiker können die Existenz von Memphis nicht
ignorieren. Und das ist mehr als wir verlangen können."
Nach Sottsass' Ausstieg aus der Gruppe im Jahr 1988 löste
sich die Bewegung langsam auf. Jeder ging seine eigenen Wege. Der zweite
Teil der übersichtlichen Ausstellung - zusammengestellt wurde sie von
Lilli Hollein, die durch ihren Vater mit Memphis aufwuchs - präsentiert in
der Kunsthalle Krems die Entwicklung der ehemaligen Mitglieder: Nathalie
du Pasquier etwa, die den Memphis-Stoffen die unverwechselbaren Muster
gab, hat sich heute der Malerei verschrieben. Terry Jones ist Art Director
des Hedonisten-Magazins ID, andere - wie Architekt Arata Isozaki - führte
die eigene Karriere an die Weltspitze.
Sottsass blieb Allrounder: "In meinem Büro mache ich
alles: Architektur, Inneneinrichtung, Objekt-, Industrial- und
theoretisches Design. Viele Arbeiten gehen direkt in Kunstgalerien."
Die Liebe in Tirol
Zu Österreich hat Sottsass einen überraschenden Bezug:
"Meine Mutter kam aus Innsbruck, und dort wurde ich auch geboren. Mein
Vater war Italiener, studierte in Wien bei Otto Wagner Architektur und
mußte im 1. Weltkrieg zur Armee. In der Offiziersschule in Innsbruck
lernte er meine Mutter kennen." Zur Memphis-Zeit, in den Achtzigern,
unterrichtete der Designer auch als Gastprofessor an der Wiener
Angewandten - "aber ich bin kein guter Lehrer".
In einer Zeit, in der die Grenzen zwischen Design und
Architektur oft zu verschwimmen scheinen - wo liegen da noch die
Unterschiede? "Das sind technische Gründe: Wenn man Architektur macht, hat
man einen Klienten - man weiß, für wen man arbeitet. Ein Designer weiß
nicht, wer seine Öffentlichkeit ist. Da gibt es Leute in der Mitte, die
Marketing-Leute, die sagen, was der Markt will".
Der hohe Stellenwert von Marketing stimmt Sottsass
nachdenklich: "Ich komme gerade von der Architekturbiennale in Venedig.
Das minimalistische Denken ist immer noch da, aber es gibt auch eine
Notwendigkeit, Architektur zu machen, die gleichzeitig Werbung für den
Kunden ist - das ist dann Fast-Food-Architektur."
Designzone Looshaus: bis 19. Oktober, Mo. bis Sa. 10
bis 18, Do. bis 20 Uhr. Kunsthalle Krems: bis 29. Sept., tägl. 10 bis
18 Uhr.
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