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Where did it all go wrong?

Das Wiener Kunstfestival «Du bist die Welt»

«Du bist die Welt» lautet die Aufmunterung der Gewinner an die Verlierer, der Wahlspruch der genützten Chance. Wenn solcherart die Globalisierung in die Gebiete der menschlichen Ressourcen vordringt, dann antwortet die Kunst mit einer kritischen Replik: «Du bist die Welt» heisst ein Nebenfestival zu den Wiener Festwochen, dessen Untertitel keineswegs eine Einschränkung bedeutet: «24 Episoden über das Leben von heute».

Die Welt, auf diese Wiener Weise und aus Film, Theater, bildender Kunst und Musik zusammengesetzt, zerfällt am Ende wieder in ihre Episoden. Die Orte, an die sich der Blick der Kunst begibt, sind nur zufällige Klammern für ein Leben, in dem der Verlust der Unschuld von der Suche nach dem Paradies nicht zu unterscheiden ist. Im einzigen Film des früh verstorbenen Regisseurs Pjotr Luzik ziehen russische Kolchosbauern aus, um mit dem Pathos der gerechten Sache das ihnen geraubte Land zurückzuholen. Parteisekretäre, Korruptionisten und am Ende ein Ölmagnat fallen diesem Sturmlauf einer pastosen Zuversicht zum Opfer. Der Film, in leuchtendem Schwarzweiss, besticht durch die ironisch eingesetzte Ästhetik des russischen Revolutionsfilms. Den Globalisierungsverlierern schenkt die Kunst in «Du bist die Welt» gerne ihre Stimme. Im Film «Rosetta» von Jean-Pierre und Luc Dardenne verfolgt die Kamera das Scheitern hautnah. Der Lebenskampf ist ein Kampf um das Recht auf Arbeit, der Film ein verdüstertes Sittenbild aus der belgischen Provinz. Ähnlich wie Laurent Cantets französisches Gegenstück «Ressources Humaines».

Wenn die Welt abgebildet werden soll, kommen die Dokumentaristen zum Zug. Ihre ästhetische Handschrift prägt deshalb einen guten Teil des Filmprogramms. Kameras dringen vor in die exotischsten Gebiete verwackelter Normalität, leuchten in die Hölle des Banalen, auf das Elend und die Rudimente der Freude. Es sind eindringliche Episoden, aneinander gereiht, sich wiederholend wie das kurze Glück ballspielender Kinder in Albanien. In Anri Salas Video steht das Tor an einem Abhang, jeder gelungene Schuss aufs Tor zwingt einen der Spieler den Berg hinab, hinaus in eine «verschollene Landschaft». Metaphorische Beiträge wie dieser sind selten in einem Festival, das trotz den unterschiedlichsten künstlerischen Ansätzen ein erstaunlich bruchloses Bild präsentiert. Einzig die Performance-Gruppe Goat Island macht mit ihrem asketischen Stück «It's an Earthquake in My Heart» wirklich Ernst mit der Subjektivität. Kaum zu entschlüsselnde Zitate aus Tanz und Literatur schaffen einen hermetischen Kosmos, gegen den Harout Simonyans Beitrag aus Jerewan von geradezu generöser Eindeutigkeit ist. Ein nackter Mann müht sich vergebens, ein viel zu knapp geschneidertes Tutu anzuziehen. «Ballett weckt bei mir kindliche Assoziationen, die vielleicht mit den Begräbnisfeierlichkeiten für Generalsekretäre zusammenhängen, während deren das Fernsehen endlos Aufführungen aus dem Bolschoi-Theater übertragen hat», sagt Harout Simonyan. Du bist die Welt - wer sich ernsthaft darauf beruft, wird Recht behalten. Und so ist die Wiener Veranstaltungsreihe auch ein Ort flirrender Authentizität. Wahr oder gelogen? The Atlas Group aus Beirut, gegründet 1976, um die Zeitgeschichte Libanons zu erforschen, präsentiert die Notizbücher des Dr. Fadl Fakhouri - Dokumente dessen, was zu Zeiten des Bürgerkriegs wirklich geschah. Historiker wetten bei Pferderennen nicht auf das Ergebnis, sondern auf missglückte Zielfotos. Der Abstand des siegreichen Pferdes zur Ziellinie wird zum Gegenstand einer Wette, die Dr. Fakhouris Notizbücher ebenso penibel dokumentieren wie jene 145 Autos, die zwischen 1985 und 1986 für Bombenanschläge verwendet wurden. Was wirklich geschieht auf den Kontinenten, dokumentiert «Du bist die Welt» mit jener Gewissenhaftigkeit, die die grossen Themen stets im Blick hat. Die Globalisierung, den Nationalismus, den Turbokapitalismus und den Krieg.

Von der filmischen Auseinandersetzung mit der kambodschanischen Pol-Pot-Vergangenheit (Rithy Pan) über Hongkongs architektonischen Ab- und Aufbruch (Gretchen So), von der serbischen Königin des Turbo-Folks, Dragana Mirkovic, die auf einem Video (Milica Tomic) unaufhörlich den Song «Sama» («Allein») singt, bis zu Ines Doujaks raumgreifender Installation zum österreichischen Alltagsrassismus - die Welt ist alles, was der Fall ist. Sie muss, das zeigt das Programm, mit dem Hortensia Völckers nach vier Jahren Arbeit die Wiener Festwochen verlässt, von dankenswerter Erzählbarkeit sein. Und so hebt der Performance-Künstler Tim Etchells auch am ersten Abend an, dieser Wiener Schöpfung seine Stimme zu leihen. Als eindrückliche Paraphrase auf alles, was noch kommen sollte. Etchells, Chef der Gruppe Forced Entertainment, trägt Geschichten vor, die ihm andere zugetragen haben, lässt Videos laufen über den Lauf der Welt. Videos von Bekannten, die nichts Besonderes zeigen sollen. Was daraus entsteht, ist «a map of particular moments in time», eine Welt-Karte der Augenblicke. Marys Blick aus dem Fenster, Lisas Filmaufnahmen, in denen sie als «Amateur-Glamour» posiert, boxende Kängurus, die Sprengung eines Wals an der kalifornischen Küste, die Hunderte Varianten einer Geschichte über den Fussballer Georgie Best. Der betrunkene Star, längst am Ende seines Reichtums und seines Ruhms, muss sich vom Zimmerkellner fragen lassen: «O George, where did it all go wrong?» Hunderte Male ist diese Geschichte erzählt und so in aller Welt verbreitet worden, ihr letzter Satz ist immer gleich. Es ist die gültige Theodizee dieser Zeit und eines Festivals namens «Du bist die Welt»: «Where did it all go wrong?»

Paul Jandl

 

12. Juni 2001

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