Wien - Bereits die Front der Wiener Secession lädt den Kunstkonsumenten zur hygienischen Mobilmachung ein: Ein Toilettenpapierhersteller wirbt mit einem entzückenden Hundewelpen für sein ebenso reißfestes wie feuchtes Produkt ("Etwas weicher, etwas dicker, ein kleiner Luxus" ). Die aktuelle Kunstinstallation des Schweizers Christoph Büchel, die den Boulevard und diverse Kommunalpolitiker zur Weißglut treibt, stellt eine Form der Inbesitznahme dar.
Büchel eignet sich den geheiligten Kunstraum temporär an, um ihn amourösen Nutzungsformen zuzuführen. Zu diesem Zweck hat er im Souterrain einen Swingerclub eingerichtet, dessen Brachliegen während der Tagesöffnungszeiten eine besonders triste Stimmung vermittelt. Auf dem Marmortresen im Foyer begrüßen einen kopulierende Schildkröten. Allerlei Aphroditen und Genien flankieren eine Couchlandschaft, deren Zweck - die angeblich "zwanglose" Verabredung zur Ausübung promiskuitiver Sexualität - den Abendstunden vorbehalten bleibt.
Ab 21 Uhr schlägt die Stunde der Profis: Dann dürfen sich garantiert libertär eingestellte Nachtschwärmer an der umfangreichen Produktpalette von Element6 - Verein der kontaktfreudigen Nachtschwärmer (und natürlich aneinander) gütlich tun.
Im Halblicht des Tages nimmt sich die Zimmerflucht aus schlampig zusammengebastelten Kontakträumen wie ein Fernfahrertreff aus: In zwei Séparées liegen die Kleenex-Tüchlein griffbereit. Eine Bühne, von Säulen im ionischen Stil flankiert, gibt den Blick frei auf die unvermeidliche Stange - blankgerieben für die Bedürfnisse des erotischen Ausdruckstanzes.
Der Gipfel der Verruchtheit wartet im letzten Hinterzimmer: Dort steht ein Gynäkologenstuhl gleich neben einem Pranger für Haupt und Handgelenke. Bußfertige Swinger können auf einer modrigen Betbank um göttlichen Beistand bitten.
Provokationsversuche
Büchel, als Installationskünstler ein geübter "Provokateur" , lässt öffentlich über die Funktionsweisen eines ehrwürdigen Kunsttempels nachdenken. Angeblich habe ihn Klimts Vorliebe für erotische Sujets zu seiner Raumintervention inspiriert: komplett mit Sauna und (leider dysfunktionalen) Duschköpfen.
Und doch will einem die Versuchsanordnung nicht recht einleuchten: Dem Betrieb eines Swingerclubs liegt die Idee eines Freiheitsversprechens zugrunde, das vom realen Elend des schnellen, anonymen Vollzugs absticht. Wo der Sex zur Ware geworden ist, erzeugt der Verweis auf den Kunstbetrieb bloß Missverständnisse. Promiskuität spielt eben deshalb keine besondere Rolle, weil der Kunstbetrieb von Differenzen und Hierarchien lebt. Egalitarismus gehört zu seinen kaum einzulösenden Versprechen.
Niederschmetternd erwartbar die Reaktion in diversen Gratisblättern, die sich unisono über "Steuergeld für Sex-Kultur" (Heute) mokieren. Die tatsächlichen Installationskosten von 90.000 Euro sollen durch Eintrittsgelder und die Vermietung von Werbeflächen eingespielt werden - ganz abgesehen vom segensreichen Wirken einiger Sponsoren. Der Andrang auf die Secession jedenfalls hält sich tagsüber noch in stark überschaubaren Grenzen. Ein wackeres ORF-Team hielt, mit Kamera und Mikrofon bewaffnet, vor dem Portal eine Art Schildwache. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe 24.2.2010)
Christoph Büchel versteht es, die mediale Lust am Skandal in der Secession zu bedienen
Bürgermeister Michael Häupl denkt aber "nicht im Traum" an Streichung von Subventionen
Besucher gelangen tagsüber durch Club-Räumlichkeiten zum einst skandalösen Beethovenfries
Je
mehr ich darüber erfahre, desto billiger erscheint mir die
Installation. So wie die Boulvardmagazine auf den privaten
Fernsehsendern, benutzt der Künstler das Sujet Swingerklub um Aufregung
zu erzeugen indem niedere Instinkte angesprochen werden. Im Gegensatz
zum Autor finde ich die Reaktion der Gratisblätter nicht
niederschmetternd, sondern logisch. Dort passt das Thema hin, dort ist
seine angestammte Heimat, dort regt sich vielleicht auch noch jemand
wirklich darüber auf.
Mich erfüllt die ganze Sache ein wenig mit Traurigkeit, weil ich
sehe wie gut sich der Kunstbetrieb vorkommt und wie billig er dabei oft
ist.
viel spass 1982/1983
um dem kulturtransfer die höchste würde und eine gediegene würze zu verleihen, spendet jeder secessionist dem pornoschuppen element 6 zwecks austausch der jetzigen schinken ein bildchen. das fänd ich angemessen und anständig. wow das konzept sollt ich bei der secession einreichen.
Ist es nicht genau das was die meisten in ihrem Leben haben; im schummrigen Licht des Eingestimmtseins ein wohliges Aufgehobensein - im grellen Tageslicht Nüchternheit, Leere und Tristesse?
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