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Die Seelenfrage - exakt 911 Tage vor dem Jahr 2009

VON MARTIN HELLER

Längst bin ich angekommen, schon fast heimisch, und doch einer von außen. Wie lassen sich meine bisherigen Erfahrungen in und mit Linz fassen? Ganz einfach: Sie kreisen um die Seele der Stadt.

Ich versuche zu verstehen, was ich hier sehe und lerne, in Begegnungen, bei Anlässen jeder Art, auf der Straße. Wie über Linz geredet wird, auf dem Hauptplatz oder in der SolarCity, aber auch in Wien oder Salzburg.

Worin der Schlüssel liegt zu einer Stadt, die viel zu bieten hat, in großer und überzeugender Herzlichkeit, und sich zugleich in oft entwaffnender Selbstverständlichkeit zufrieden gibt mit dem, was sie halt ist.

Was aber ist Linz? Diese Seelenfrage muss alle beschäftigen, die an Linz 2009 mitarbeiten, weit über das Kulturhauptstadt-Team hinaus, letztlich die ganze Stadt. Denn nur das Wissen um die eigene Identität eröffnet die Chance, sich weiterentwickeln zu können.

Wohin? Ist unsere Stadt ein Labor der Zukunft, wie die Kulturhauptstadt-Bewerbung behauptete? Ein Ort internationaler Begegnung? Ist Linz schön? Gastfreundlich? Selbstbewusst? Neugierig? Verführerisch?

Und was würde es bedeuten, Linz als aufregendes Zusammenspiel von Industrie, Kultur und Natur zu sehen? Alle diese Fragen müssen gestellt werden, weil wir in zweieinhalb Jahren die Kulturhauptstadt Europas sein werden.

Dieser Titel legt Ansprüche und Spielregeln fest, die jede Art von Genügsamkeit verbieten. Die nach Lust an Veränderung verlangen, nach Unternehmertum und einer Energie, der das Gute nicht genügt, weil sie das Bessere will.

Kulturhauptstadt heißt demnach: Linz muss etwas werden, was es noch nicht ist. Die Stadt hat das Zeug dazu, zweifellos, die Ressourcen sind vorhanden und viele erste Schritte getan. Was noch ansteht, ist eine selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken und Schwächen, mit vorhandenen und fehlenden Qualitäten.

Deshalb ist Handeln angesagt. Denn Linz 2009 bietet die einzigartige Gelegenheit, eine solche Auseinandersetzung aus jeder grauen Theorie zu erlösen und in der Realität zu verankern. Mit einer Fülle von Projekten und Programmen etwas zu pflanzen, um ernten zu können, im Kulturhauptstadtjahr und danach, unter den Augen der österreichischen und europäischen Öffentlichkeit.

Freuen wir uns: 911 Tage dauert es noch bis 2009 - wir haben keinen davon zu verlieren!

Ideen für Linz: `09-Intendant Martin Heller Foto: Linz09

Martin Heller

Der Intendant der EU-Kulturhauptstadt Linz 2009 ist Kunstwissenschafter und Ethnologe. Tätigkeiten u.a. Direktor des Museums für Gestaltung in Zürich, Gastdozent an Kunst-Unis, künstlerischer Direktor der Schweizer Landesausstellung Expo.02. Heller blättert für die OÖN bis zum Kulturhauptstadtjahr in seinem "`09-Tagebuch".


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