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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Wiener Aktionismus 
20.02.2004
22:52 MEZ
Grafik: STANDARD

Ein bisschen erregt
Österreichs markantester Beitrag zur internationalen Kunstszene der letzten 50 Jahre erfährt durch Retrospektiven eine Neubewertung

Nach wie vor verstellen Überlieferungen und traditionell daran geknüpfte Tumulte den kunsthistorischen Blick auf den Wiener Aktionismus. Ein paar Querverweise zur künftig gelasseneren Betrachtung von Markus Mittringer.


Der Aktionismus der Wiener: "Einst verfemt, heute mit leichter Hand historisiert." Im Februar 2002 begann Uwe Mattheiss mit diesem Satz einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Und schloss mit folgendem: "Trotz aller Markt- und Staatspreise, eine wirklich fundierte Auseinandersetzung mit dem wichtigsten österreichischen Beitrag zur Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts steht in Wien noch immer aus. Erst danach kann der Aktionismus das werden, was er überfällig längst ist: Kunstgeschichte." Wenn Peter Noever im Wiener Museum für angewandte Kunst jetzt rezente Arbeiten von Otto Muehl ausstellt, wird kaum über Sinn und Unsinn dieser Arbeiten gesprochen werden. Es wird zur traditionellen Erregung kommen, es wird ein Für und ein Wider geben, es wird sein wie eh und je. Und alle Beteiligten werden zufrieden sein. Weil: Null-Erregung würde erstens dem Museum nicht gut tun, und zweitens würden sich die alten Herren schön bedanken, wären sie schon unumstritten Kunstgeschichte, bevor sie noch in den vollen Fruchtgenuss der Wiedergutmachung an ihnen gelangen konnten.

Und also pflegen weiterhin alle Beteiligten leichter Hand Geschichte und Geschichten nicht getrennt von einander zu verhandeln. Als Rüstzeug für die kommenden Wochen sei nun an all jenes erinnert, was jenseits der längst ins Volksgut übergegangenen Uni-Ferkelei hier und anderswo so passiert ist.

Adolf Frohner zum Beispiel schuf Matratzen für die Ewigkeit: "Im Wiener Aktionismus, um 1961, als ich meine Fremdgeherei begann, war es für mich ungeheuer notwendig, mit einer Matratze zu ,bildhauern', diese hatte für mich viel mehr menschliche Nähe als Marmor. Wer schläft, liebt, gebiert und stirbt schon auf Marmor?" Wer Aktionismus hört, denkt zunächst an jenen der Wiener, an Nitsch, an Brus, an Schwarzkogler, an Mühl. Doch auch anderswo galt es, die Welt zu verändern, der Nachkriegstristesse beizukommen. Das Mittel "Aktion" kam weltweit zum Einsatz, aufzuklären gab es genug. Zunächst das Missverständnis, dass der Ort des Künstlers ausschließlich der ästhetische Raum wäre. Tafelbild und Marmor konnten einfach nicht die Antwort geben auf Vietnam, auf Rassendiskriminierung, auf Frauen- und Bürgerrechtsbewegung, auf den Holocaust, auf Hiroshima. Neue Strategien wollten gefunden, neue Kommunikationskanäle erobert werden.

Jackson - Jack the Dripper - Pollock, John Cage, Lucio Fontana und Shozo Shimamoto waren die Täter der ersten Stunde. Pollock hüpfte über seine Leinwände und ließ dabei - ganz dem Zufall verpflichtet - Farbtropfen fallen, John Cage erweiterte das Komponieren um den Begriff der Unbestimmtheit, Lucio Fontana näherte sich der Leinwand schlichtweg gewalttätig, schlitzte und durchlöcherte, was seit jeher heil und heilig war.

Der Primat der Handlung war ausgerufen, es folgte Happening um Happening, Yves Kleins Pinsel waren nackte Damen - Wochenschau und Life-Magazine frönten der Berichterstattung - Fluxus wurde ein weltweites Netzwerk zur Aufklärung durch Unsinn, Daniel Spoerri servierte Elefantenrüssel, Michelangelo Pistoletto rollte einen Pappmaché-Globus durch Mailand.

Vor Hermann Nitschs 7. Abreaktionsspiel 1970 im Münchner Aktionsraum 1 kam es zu einer kurzen Aktion von Günter Brus. In deren Verlauf schnitt Brus sich mit einer Rasierklinge in den Oberschenkel, befestigte Schnüre mit Nadelhaken einerseits an den Wundrändern, andererseits an Nylonstrümpfen. Heftiges Zerren an den Schnüren ließ die Wunde aufklaffen, die Strümpfe ausreißen. Blutüberströmt stand Brus vor dem Publikum, urinierte in ein Glas, trank dieses aus und würgte über einem Tuch. Die ganze Aktion dauerte bloß fünf Minuten, für das Publikum eine Ewigkeit an der Grenze zum Unerträglichen. Mit dieser Zerreißprobe entsagte Günter Brus dem Aktionismus österreichischer Sonderlichkeit als Ausdrucksform des Unbehagens mit dem Ich und all den anderen.

Chris Burden schloss sich 1971 für fünf Tage in einen Spind der University of California. Größe der Zelle: rund 60 x 60 x 90 Zentimeter. Im Spind ober ihm war ein Wassertank installiert, unter ihm ein ebenso großer Leerbehälter: Five Day Locker Piece. Im selben Jahr ließ er sich eine Kugel durch den linken Oberarm schießen: Shoot nannte er die Aktion.

Ungefähr gleichzeitig konstruierte und bestieg Gina Pane eine Leiter mit applizierten Klingen überall dort, wo ihre Füße auftreten würden: Escalade Nonanesthesie. Ein paar Jahre später fügte sie sich Schnittwunden zwischen ihren Zehen zu, während ihre Füße in einem langsam trocknenden Gipsbett standen: Le corps pressenti. Extreme Situationen, die auch die abgebrühtesten Besucher mit Fragen der Einfühlung und mehr noch, der möglichen Mitschuld konfrontierten.

Und heute? Die Auswirkungen? Das mit dem Körper ist immer noch ungeklärt. Und wirkungsvoll. Ein Zeiten- und Sparten-Crossover-Beispiel: Das Plakat zum Vortrag Stefan Sagmeisters - er ist jetzt Anfang 40, stammt aus Vorarlberg und hat in den vergangenen fünfzehn Jahren die internationale Design-Grafik-Szene ziemlich durcheinander gewirbelt - am American Institute of Graphic Arts verkündet dessen Thesen typografisch sehr frei ins bloße Fleisch geritzt. Hauptthese: "Style = Fart". Das Manifest existiert auch als Furzkissen. Und endlich: Mit dem Erwerb von großen Teilen der Sammlung Friedrichshof - die in den achtziger Jahren von der von Otto Muehl gegründeten Kommune zusammengetragen worden war - hat das Wiener Museum Moderner Kunst nun repräsentative Wiener-Aktionismus-Bestände. Die Forschung kann endlich beginnen. (DER STANDARD, Printausgabe, 21./22.2.2004)


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