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Kunstberichte
Aufregung um einen Swingerclub, der ein Kunstwerk sein soll

Sex in der Secession

Swingerclub? Oder doch irgendwie ein Kunstwerk? Christoph Büchels Installation, die nächtens auch mit Leben erfüllt wird, sorgt für erhitzte Gemüter.

Swingerclub? Oder doch irgendwie ein Kunstwerk? Christoph Büchels Installation, die nächtens auch mit Leben erfüllt wird, sorgt für erhitzte Gemüter.
(© Pfarrhofer/APA)

Von Edwin Baumgartner

Aufzählung Partnertausch-Treff als Konzeptkunst.
Aufzählung Aufregung ist in das Konzept integriert.

Wien. Kann ein Swingerclub Kunst sein? Swingerclubs sind Treffpunkte, an denen die Möglichkeit zu Gruppensex und Partnertausch geboten wird. Im ehrwürdigen Wiener Ausstellungshaus Secession ist derzeit solch ein Swingerclub untergebracht.

Wobei sich dieser Swingerclub von anderen gleichartigen Etablissements im Wesentlichen nur durch zwei Faktoren unterscheidet – erstens: In der Secession funktionieren die Duschen nicht, weil deren Feuchtigkeit die genormte Luftfeuchtigkeit im Haus beeinflussen könnte. Zweitens: Der Swingerclub ist nicht einfach nur ein Swingerclub. Er ist eine Kunstinstallation von Christoph Büchel. "Raum für Sexkultur" nennt sich das Ganze.

Gleichsam Koproduzent ist der "Bar-Club E6", der folgende Zeilen zu seinem Motto zählt: "Eine Atmosphäre zu schaffen, in der Frauen sich wohl fühlen und als individuelle sexuelle Wesen, nicht als Objekte, wahrgenommen werden, ist unser größter Anspruch. Wir schaffen Raum für Sexkultur."

"Sittenverfall" meint die FPÖ dazu, deren Kultursprecherin Heidemarie Unterreiner sich in eigenwillig abgewandelter Orthographie fragt, ob "unsere Gesellschaft von allen guten Geisern (sic) verlassen" sei.

"Ja", möchten ihr viele bestätigen, denn Sex hat in der Secession nichts verloren. Aber ist es so einfach?

Der 1966 in Basel geborene Christoph Büchel ist ein Raum- und Konzeptkünstler, wie er im Buche steht. Das bedeutet, dass nicht das fertige Kunstwerk sein Anliegen ist, sondern die durch sein Kunstwerk erzeugte Interaktion. Um diese Interaktion in Gang zu setzen, ist die Provokation ein beliebtes Mittel.

Wenn Ursula Stenzel, Vorsteherin des Bezirks Innere Stadt, zu dem die Secession gehört, in einer Aussendung meint: "Unter Vortäuschung falscher Tatsachen wurde die Zustimmung des Bezirkes ,zu einer Veranstaltung im Rahmen einer Kunstausstellung in der Secession‘ erschlichen, weil weder im Konzessionsansuchen noch bei der Eignungsfeststellung der Secession für die besagte Ausstellung von einer Gruppensex-Veranstaltung die Rede war", dann mag sie mit dieser Feststellung zwar recht haben, aber sie spielt ebenso Büchels Spiel, wie es die FPÖ macht.

Skandal-Tradition

Und wie es jeder macht, der in der einen oder anderen Form auf die Installation reagiert. Auch dieser Artikel ist nolens volens ein Teil von Büchels Werk. Denn in Büchels Kunst-Konzept gehört der Umgang der Öffentlichkeit mit einem Kunstwerk unmittelbar zum Kunstwerk, das selbst lediglich als Initiator des Umgangs verstanden wird.

Weshalb Büchel stolz auf die Skandal-Tradition der Secession verweist: Schließlich sei auch Gustav Klimts Beethoven-Fries, das Prunkstück der Secession, seinerzeit skandalisiert worden. Immerhin listet der österreichische Schriftsteller Hermann Bahr in seiner Zitatenlese "Gegen Klimt" Aussagen über den Beethoven-Fries auf, wie: "Solche Orgien hat das Nackte noch in keiner Wiener Ausstellung gefeiert."

Vielleicht hatte Büchel ja auch eine ganz konkrete Aussage aus Bahrs Buch im Sinn, denn dort liest man: "Für ein unterirdisches Local, in dem heidnische Orgien gefeiert werden, mögen diese Malereien passen." Genau dort, nämlich im Untergeschoß des Ausstellungshauses, finden nun täglich außer Montag und Sonntag ab 21 Uhr die erotischen Turnübungen statt.

Um die Konzession dafür hat übrigens nicht die Secession angesucht. Der Club hat selbst dafür gesorgt. An den Einnahmen schneidet die Secession mit.

Wer seine Bedürfnisse also in der Secession auslebt, schafft Kunst. Ob freilich außerhalb der Secession alles Kunst ist, was den Bedürfnissen entspringt, ist die große andere Frage.

Printausgabe vom Dienstag, 23. Februar 2010
Online seit: Montag, 22. Februar 2010 19:14:00

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