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Biennale Hobbykeller der
Angst Von
Niklas Maak, Venedig 13. Juni 2003 Es
gibt genügend Gründe, sich auf der Biennale zu fürchten,
und einer ist in diesen Tagen die apokalyptische Hitze,
die wie ein Bleiteppich über der Stadt hängt und gut zur
hysterisch überdrehten Kunst paßt, die man in Venedig zu
sehen bekommt. Christoph Schlingensiefs Kirche der Angst
zum Beispiel. Wenn man alles gesehen hat im Arsenal, dem
wichtigsten Schauplatz für Gegenwartskunst neben den
Nationenpavillons, wenn man hinaustritt in die
Mittagshitze: Dann hört man den Muezzin rufen, dann
sieht man auf einer kleinen Wiese, zwischen engagierten
Sperrholzbastelarbeiten, die Kapelle stehen. Ein böses
kleines Kirchlein im karibischen Baustil, der
hysterische Tempel einer neuen, weltumspannenden
Dada-Religion.
Die "Church of Fear" wurde als
Gemeinschaft der Terrorgeschädigten und anderer
Angstbesesssener von dem ehemaligen Parteigründer
Schlingensief in die Zeit einer neuen ökumenischen
Innerlichkeit hineingegründet. In Venedig hat
Schlingensief seinen Angstgottesstaat errichtet; er
besteht aus der weißen Kapelle im Arsenal und, am
Eingang der Giardini, sieben Pfahlsitzern, die in einem
neurotischen Abstand zum Boden unter Sonnenschirmen auf
abgesägten Baumstämmen hocken, die Schlingensief im
Boden einbetonieren ließ. Der einzementierte Baumstamm
mit den fliegengleich daraufhockenden
"Terrorgeschädigten" ist das zwingendste, absurdeste und
schönste Bild für die Hysterie und die
Orientierungslosigkeit, die sich als Thema durch die
gesamte Biennale zieht; auch die Kunst hängt hier auf
seltsamen Bäumen.
Utopia Station
Delays and Revolutions" heißt
eine Sektion der Schau, "Dreams and Conflicts" der
Gesamttitel, "Utopia Station" die beste Abteilung im
Arsenal, in dem diesmal ein Kuratorenkollektiv am Werk
war - aber Zukunftsfreude oder Aufbruchsfuror findet man
kaum, "Delays" und "Conflicts" schon eher. Angst taucht
als Thema in zahlreichen Arbeiten dieser Biennale auf:
Angst vor Terroranschlägen, Angst vor den Folgen der
Globalisierung, Angst vor Gentechnik. Ein täuschend echt
aussehendes Kind aus Plastik fährt mit einem Dreirad
durch den italienischen Pavillon, im australischen Bau
läßt Patricia Piccinini ihrer Phantasie freien Lauf und
zeigt sehr kunstgewerbliche Horrorzwitter aus Mensch und
Tier in Lebendgröße. Damian Orozco zerlegt im Arsenal
einen olivgrünen Volkswagen in seine Einzelteile und
hängt sie an dünnen Seilen auf - wie eine böse
Blechwolke schwebt einem hier der ehemalige
Kraft-durch-Freude-Wagen entgegen, der gebaut wurde, um
die Welt zu unterjochen und als globales Vehikel seine
Karriere beendete - ein mythisches Objekt eines erst
militärischen, dann wirtschaftlichen Eroberungsfeldzugs.
Nicht weit
davon parkt ein anderes Auto, der vollverchromte
Militärjeep der philippinischen Künstler Alfredo und
Isabel Aquilizan, dahinter türmen sich chinesische
Skulpturen, ausgestopfte Hühner, die an die jüngste
SARS-Hysterie denken lassen, Hochhausmodelle,
monumentale Gemälde des chinesischen Malers Yan Pei Ming
und Schlafkojen von engen Kapselhotels zu einem
dröhnenden Bild des gegenwärtigen Asiens - einem Bild,
das so schrill und überzeichnet ist, daß es wie die
Persiflage des benettonbunten Globalisdierungskitsches
wirkt, von dem andere Räume der Schau nicht frei sind.
Wie eine Insel alter Sicherheiten taucht zwischen
Videoräumen immer wieder Malerei auf, und fast immer -
der Maler Magnus von Plessen ist eine Ausnahme - sind
die Bilder von haarsträubender Qualität. Nicht besser
geht es der Gattung Video. Man sieht Straßen, murmelnde
Gesichter, halbleere Kaffeetassen in Echtzeit - und mehr
gibt es auch nicht zu sehen. Jeder Dokumentarfilm wäre
interessanter als die wackelige Aufnahme einer Straße in
Sao Paulo, die man als Zuschauer mit der gleichen
Ahnungslosigkeit betrachten muß, mit der sie der
Künstler aufnahm.
Ökumenischer
Jugendworkshop
Nur selten
gelingt eine spannende Verdichtung der Bilder - zum
Beispiel in der "Utopia Station", dem chaotischsten und
interessantesten Teil des Arsenals. Hier sieht es zwar
aus wie bei einem ökumenischen Jugendworkshop in der
Nordheide, man muß den Anblick von viel Sperrholz und
naiven Sinnsprüchen von Yoko Ono ertragen, aber
andererseits ist sie die einzige Forschungsstelle, in
der die Rolle der Kunst als Anbieter besserer Welten und
als kritisches Korrektiv im Meer der Bilder auf den
Prüfstand kommen.
Wie schon in Kassel auf der
Documenta ist die Kunst im Arsenal oft eher analytisch
als ästhetisch. Zumindest einige der Teilnehmer arbeiten
als Dokumentaristen und Analysten und treten in die
methodischen Fußstapfen der Kunsthistoriker. Die
Multiplicity-Gruppe um Stefano Boeri zeigt in der
"Utopia Station" zwei Videoprojektionen, zwei Fahrten in
einem Auto in israelischen Grenzgebeiten, einmal auf
einer Straße, auf der nur Israelis fahren dürfen, einmal
auf jener, welche die Palästinenser befahren müssen. Auf
der einen braucht man eine, auf der anderen fünf
Stunden, um zum Ziel zu gelangen. Die Filme laufen
parallel - und zeigen in der zeitlichen Diskrepanz die
Härte der Grenzen zwischen Ethnien und Nationen und den
Haß, der sie begleitet; wer hier fahren muß, ist
automatisch in der Church of Fear.
Fade
Gags
Angesichts
solcher Bilder wirken die Gags und Formalismen, mit
denen die Biennale ihre Besucher anderswo malträtiert,
um so fader. Der vielgelobte, von Olafur Eliasson mit
futuristischen Glitzerprismen und materialerotischem
Klimbim ausgestattete dänische Pavillon sieht aus wie
eine esoterische Hommage an den Designer Verner Panton,
Monika Sosnowskas Korridor im Arsenal, der schneller
klein wird, als es die Perspektive vermuten läßt, ist
ein trauriger formaler Trompe-l'oeil-Gag zum Thema
Klaustrophobie.
Schlingensief und Sierra
vertreten die Exterempositionen der Biennale - und sind
ihre wichtigsten Künstler. Sierra tritt gegen die
dekorative postkoloniale Globalästhetik an und zeigt mit
seinem spanischen Pavillon, den nur Spanier betreten
dürfen, die Härte von Grenzen, auf denen Politiker wie
Aznar nach wie vor hysterisch beharren. Schlingensief
versucht mit der Kraft des Dadaismus einen Weg aus der
Krise. Die großen Heilsversprechen, die konkurrierenden
Religionen und Ängste werden so sorglos verrührt, daß
sie ihre Bedrohlichkeit verlieren und in eine paradoxe
Utopie der schönen Angst münden, und und daß die im
Prinzip zum Lachen ist: Das ist nicht die schlechteste
Erkenntnis für einen Ort, der "Utopia Station"
heißt.
Text: Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 14.06.2003, Nr. 136 / Seite 33
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