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06.07.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Woods: Eine Stadt nur aus Fleisch und Knochen
VON WOJCIECH CZAJA
Architekturtheoretiker Lebbeus Woods zeigt im MAK die Krise der Krisenlosigkeit im "System Wien".

Bisher waren Orte wie Sarajevo, Zagreb und Havanna an der Reihe. Ein krisengeschütteltes Gebiet nach dem anderen. Nun nimmt er sich der Stadt Wien an: Lebbeus Woods, New Yorker Architekt und Architekturtheoretiker. Doch gibt es tatsächlich eine Krise in Wien? Natürlich, meint der geeichte Projektentwickler. Immerhin, so Woods, sei die Wiener Innenstadt ein städtischer Bezirk, der sich partout nicht ändern wolle, sich aber ändern müsse. Das Museum für angewandte Kunst gibt nun genauere Einblicke in Woods' Einsichten. Parallel zur Ausstellung "System Wien" in der MAK-Galerie drohen außerdem noch Interventionen in der Stadt. 24 schwarz gewandete und mit mehr gliedrigen Aluminiumstäben ("Energy Rods") gewappnete Performer werden hinausziehen, um an neuralgischen Punkten Aufmerksamkeit zu wecken. Was das alles soll? "Die Presse" wollte es genau wissen.

"Die Presse": In Ihrer Ausstellung im MAK, in diesen vielen Linien an den Wänden, sucht man Wien vergeblich. Wo ist Wien?

Lebbeus Woods: Wenn man mitten in Wien ist, braucht man keine Abbilder in den Keller eines Museums zu verbannen. Die Ausstellung ist nur das Headquarter, ein theoretischer Inkubator, in dem Raum durch Konturen definiert wird. Es handelt sich dabei aber um keine minimalistische Arbeit. Dafür sind zu viele Komponenten im Spiel. Hier werden die 24 Darsteller immer wieder ihre "Energy Rods" aufnehmen und später wieder ablegen, von hier aus werden sie in die Stadt hinausschwirren, wo die eigentlichen Ereignisse unter einer choreografischen Anleitung stattfinden werden. Wien - einmal ganz spontan und ungeplant. Keine Genehmigungen, keine Erlaubnis, keine Bürokratie. Über die Termine wissen nur das MAK und ich Bescheid.

Ist ein öffentliches Happening im Stile der 68er-Generation noch Architektur?

Woods: Und wie! Kleine Eingriffe in der Stadt - natürlich ist das Architektur. Man muss nicht immer nur bauen. Es ist schon so viel gebaut worden. Außerdem kann ohne Abbruch ohnehin fast nichts mehr ergänzt werden. Also wozu die ganzen finanziellen und euphorischen Energien aufwenden? Ist es nicht intelligenter, in der Architektur einmal umzudenken? Ich kann diese Schwere und Verbindlichkeit von Ziegel und Mörtel nicht mehr ertragen, das habe ich vor Ewigkeiten schon aufgegeben. Ich will Freiheit für den Geist. Tatsache ist leider: In der Realität kann man diese Freiheit, auf die ich es abgesehen habe, nicht erreichen. Noch nicht.

Ihre theoretischen Projekte entstehen meist für Krisen- oder Kriegsgebiete wie Sarajevo, Zagreb, New York, Havanna. Nun ist Wien dran - was sollen wir davon halten?

Woods: Die Krise in Wien besteht darin, dass es keine Krise gibt. Diese Stadt ist von einer unbeschreiblichen Selbstsicherheit geprägt - ganz nach dem Motto: Alles funktioniert, also warum etwas ändern? Meine Eingriffe in der Innenstadt sollen dazu anregen, die Stadt und ihre Ästhetik anders wahrzunehmen.

Und warum in Form einer Krise?

Woods: Ganz einfach. Dinge müssen sich mit der Zeit ändern. Auch in Wien! Schauen Sie sich an, was seit dem EU-Beitritt passiert ist. Ein politischer Rechtsruck, dann das schrittweise Aufgeben von bisher selbstverständlichen Sozialleistungen - und die Hülle "Stadt" ist immer noch die gleiche! Das ist abnormal, das ist eine reine Illusion. Denn Wien hat genauso kranke Aspekte wie jede andere Stadt auch, wie jedes andere Land auch. Der Mensch ändert sich nun einmal. Aber in Wien deckt man die Enttäuschung lieber zu und erfreut sich an der hübschen Barockfassade. Was übrig bleibt, ist eine Stadt, die nur noch aus Fleisch und Knochen besteht, aber Seele, Geist und Leben sind schon längst aufgegeben. Was ich sagen will: Der Stadt fehlen keine neuen Gebäude, sondern in erster Linie Gebäude - von wann auch immer - mit neuer Energie!

Woher kommt diese Faszination für die "Gewalt, Macht und Ignoranz", wie Sie es ausdrücken?

Woods: Das ist keine Leidenschaft. Wenn man in New York City lebt, kann man diesen Größen einfach nicht entkommen. Aber einen positiven Aspekt der Gewalt darf man nicht außer Acht lassen: Gewalt will Dinge verändern. Leider ist Gewalt in totalitären Systemen die einzige Möglichkeit, diese Veränderungen herbeizuführen. Sobald Gewalt im Spiel ist, weiß man auch, dass irgendetwas schief gelaufen ist. Mich rufen Leute an, die mir erzählen, dass im Irak gerade Krieg ist. Und dann werde ich gefragt, ob ich denn schon an einem Projekt für den Irak arbeite. "Und, was machst du? Hast du schon eine Idee?" - Ich hasse Krieg, ich hasse Gewalt. Sehr wohl aber liebe ich die Kraft, dagegen etwas zu tun. Das ist mein Antriebsmotor.

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