Die beiden
amerikanischen Künstler Michael Clegg und Martin Guttmann (beide 1957
geboren) realisierten im Herbst 1993 ihr Projekt "Die offene Bibliothek".
Drei große Schaltkästen aus Kunstgranit, wie sie durch die Hamburgischen
Electricitätswerke zu tausenden in der Stadt zur Steuerung von Ampel- und
Lichtanlagen aufgestellt sind, wurden ihrem ursprünglichen
Verwendungszusammenhang entzogen und nach Umrüstung in einen neuen
Funktions- und Kommunikationskontext als offene Bibliotheken den Bewohnern
dreier ausgewählter Stadtteile Hamburgs zur freien Benutzung zur Verfügung
gestellt. Der Wahl der Standorte Kirchdorf-Süd, Barmbek und Volksdorf lag
eine Recherche über die Sozialstrukturen der jeweiligen Umfelder
zugrunde.
Das gesamte Projekt wurde von einer Studentengruppe der
Universität Lüneburg, Fachbereich Angewandte Kulturwissenschaften unter
der Leitung des Soziologen Dr. Ulf Wuggenig unterstützt und durch eine
soziologische Studie über die Nutzung der "offenen Bibliotheken" und das
Benutzerverhalten begleitet.
Bereits im Juni hatten Clegg &
Guttmann gemeinsam mit den Lüneburger Studenten im Umfeld der Standorte
durch Flugblätter und persönlichen Kontakt von Haustür zu Haustür die
Anwohner über das Projekt informiert, Interviews durchgeführt und
insgesamt knapp 1000 Bücher als Bibliotheksgrundstock gesammelt. Alle
Bücher wurden inventarisiert. Im gleichen Monat fand auch eine öffentliche
Vorpräsentation und Diskussion im Kunstverein in Hamburg statt, zu der
alle Anwohner eingeladen waren.
"Die offene Bibliothek"
funktionierte ohne Bibliothekare und Personal. Sie war rund um die Uhr
zugänglich. Jeder konnte zu jeder Zeit Bücher entleihen und sie nach
angemessener Zeit wieder zurückstellen oder den Bücherbestand der
Bibliothek durch eigene Bücher erweitern.
"Eine solche Bibliothek
könnte als Institution zu einer Selbstdefinition der Gemeinschaft
beitragen; sie würde ihre Lesegewohnheiten und intellektuellen Vorlieben
widerspiegeln und wäre damit eine Art Porträt einer Gemeinschaft" (Clegg
& Guttmann). Kunst versteht sich hier vor allem als sozialer
kommunikativer Vorgang. Der komplexe Prozeß der provozierten
Selbstorganisation der Gemeinschaft der Bibliotheksbenutzer läßt sich als
soziale Skulptur deuten.
Während der Laufzeit des Projektes wurde
in den neuen Räumen des Kunstvereins innerhalb der Ausstellung
"Backstage", zu der Clegg & Guttmann eingeladen waren, eine
Informations- und Dokumentationsstelle als Bestandteil des "Kunst im
öffentlichen Raum"-Projektes eingerichtet.
Die Bibliothek in
Barmbek und vor allem die in Volksdorf, wo sich eine Bürgerinitiative für
den Erhalt der Biblothek gebildet hatte, wurden von den Anwohnern sehr gut
angenommen. In Kirchdorf-Süd allerdings wurden die Bücher mehrfach en bloc
entwendet, die Bibliothek attackiert und schließlich
zerstört.
Bereits 1991 führten Clegg & Guttmann ein ähnliches
Projekt in Graz und 1994 ein weiteres in Mainz durch.
|