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Lilijana Stefancic Im Juni öffnet die Grossausstellung Manifesta 3 in Ljubljana ihre Tore. Im Vorfeld dieser Veranstaltung machte sich Lilijana Stepancic, Direktorin des internationalen grafischen Zentrums Ljubljana, Gedanken dazu.
Borderline Syndrom - Verteidigungsenergien

Manifesta 2000 in Ljubljana

links: Janja Zvegelj & Gregor Podnar, Squash, 1999, Skuc Galerie
rechts: Nika Span · Sold Works, 1999, Ausstellungsansicht Mala Galerija; Foto: Lado Mlekuz & Matija Paulovec

Die Manifesta 3 in Ljubljana dauert vom 23.6 bis 24.9. Die Eröffnung findet am 23.6. im Cankarjev dom statt. (Pressekonferenz 22.6. Cankarjev dom; Eröffnung für Eingeladene 21.–23.6.). Kuratoren: Francesco Bonami, Ole Bouman, Maria Hlavajova, Kathrin Rhomberg. Koordinator: Igor Zabel. Veranstaltungsorte: Cankarjev dom, Narodni muzej, Mednarodni grafièni likovni center, Moderna galerija und weitere Orte im öffentlichen Raum. Infopunkt: Cankarjev dom, Presernova 10, Tel: 386 61 176 71 43; Fax: 386 61 21 74 31

Die Idee der Manifesta stammt aus den frühen neunziger Jahren. Europa zeigte sich nach dem Fall der Berliner Mauer euphorisch, und man ging davon aus, dass der Kontinent in einigen Jahren zu einem einheitlichen Kulturraum zusammenwachsen werde. Doch heute ist die Situation genau umgekehrt: Statt aufgeteilt in Osten und Westen, Norden und Süden ist Europa zu einem zersplitterten Territorium mit neuen Grenzen geworden. Diese werden primär durch verwaltungspolitische Strukturen der europäischen Union, wirtschaftliche Faktoren und ethnische, kulturelle sowie psychosoziale Gegebenheiten bestimmt. Jedes dieser politischen und mentalen Gebiete entwickelte seine eigenen Abgrenzungs- und Austauschmechanismen, wobei die Korrelation durch die lokal herrschenden Krisen bestimmt wird. Auch die Folgen der früheren Kulturpolitik bleiben entscheidend, Europa ist in einer virtuell globalisierten Welt immer noch ein Sammelsurium zahlreicher Kunstwelten.

Die Manifesta 2000 findet in Ljubljana statt, in einem geopolitischen, sozialen, wirtschaftlichen und psychosozialen Umfeld, in welchem die Zersplitterung und Transformation Eurpoas hautnah zu spüren war. Deshalb bezeichnet das für die Ausstellung gewählte Thema ‹Borderline Syndrom – Verteidigungsenergien› nicht nur ein allgemeines Charakteristikum, sondern ein konkretes Spezifikum des Gastgeberlandes.

Nach Rotterdam, 1996, und Luxemburg, 1998, findet die dritte Manifesta nun erstmals in einer ehemals osteuropäischen Stadt statt, womit auch erstmals einer der Grundsätze der Manifesta umgesetzt wird. Ljubljana wird damit absichtlich oder unabsichtlich zum Prüfstein der urspünglichen Idee. Wird eine Stadt wie Ljubljana fähig sein, eine Manifestation grossen Formates zu absorbieren und zu promovieren?

Im Grunde sind das charakteristische Fragen des ‹Borderline Syndroms›, wie sie in der Psychoanalyse diskutiert werden. Nachdem sich schon in den siebziger Jahren die so genannte ‹Materialistische Schule Ljubljanas› entwickelt hatte, welche den Strukturalismus und die Psychoanalyse verband und deren bekannteste Vertreter Slavoj Zizek, Rastko Mocnik waren, scheint die Stadt ein idealer Ort für die Umsetzung dieses Themas zu sein.

In ihrem Wesen verkörpert die Manifesta die Idee des Importes. Und so wie damals, als anfangs der neunziger Jahre Haagendas und Shell den bis dahin relativ geschlossenen, slowenischen Handelsplatz zu erobern begannen, und dies von einigen als Anregung für die einheimische Produktion aufgefasst wurde, während andere grosse Skepsis äusserten, scheiden sich auch heute an der Manifesta die Lager.

Kulturimport? Einige fürchten das Olympiade-Syndrom und führen das nahe gelegene Sarajevo als Beispiel an, wo sich die neu erbaute Sportinfrastruktur für die lokalen Bedürfnisse als zu gross und die Instandhaltung als zu kostspielig erwies. Die Objekte verfielen erbarmungslos. Für Andere wiederum bringt die Manifesta neuen Schwung in das lokale Kunstgeschehen und wirkt sich positiv auf die Umstrukturierung angestammter Institutionen aus. So sollen Ausstellungsräumlichkeiten wie Kapelica Galerie, Metelkova, Skuc Galerie, Moderna galerije, das internationale grafische Zentrum und Cankarjev dom Galerie gefördert und damit Ljubljana einen grossstädtischen Akzent verliehen werden. Einen positiven Impuls erhofft man sich auch auf die qualitätvolle, alternative, kaum staatlich geförderte Theaterproduktion.

Die Organisation der Manifesta wurde von der einflussreichsten Kulturinstitution der Stadt, dem Cankarjev dom übernommen. Ivan Cankar war ein Schriftsteller des Symbolismus und ein Fürsprecher der jugoslawischen Idee am Ende des Ersten Weltkrieges. Die Institution gilt heute als Symbol der slowenischen, nationalen Kulturidentität. Für die Realisierung der Veranstaltung wurde eine lokale Projektgruppe gebildet, welche die gewonnenen Erfahrungen nach Beendigung des Projektes weiterleiten soll.

Für die Manifesta zeichnen mehrere Kuratoren, die verschiedene künstlerische Praxen vorstellen und verschiedene geografische sowie kulturelle Bereiche Europas vertreten. Um dabei als Gruppe den Konsensdruck und Kompromisse zu vermeiden, hat jeder von ihnen bewusst auf individuelle Präferenzen gesetzt.

Die slowenischen Künstler können hier stellvertretend für die gesamte Auswahl vorgestellt werden. Marjetica Potrc, Nika Span, Janja Zvegelj und Darijo Kreuh würde kein lokaler und auch kein internationaler Kustos vereinigen. Die Auswahl bestätigt, dass die jüngere, slowenische Produktion auf der künstlerischen Schöpfungskraft der Frauen beruht, besonders wenn es sich um Film und Video und nicht um traditionelle Malerei handelt. In den Arbeiten geht es um Dokumentarisches und Biografisches, Kontextualität, Machtlosigkeit und Prozesshaftigkeit. Die Auswahl der Künstlerinnen beschränkt sich dabei nicht auf eine bestimmte Generation. So ist Marjetica Potrc, eine Vertreterin der mittleren Generation und gleichzeitig die international bekannteste Künstlerin.

Anfang Mai hatte Janja Zvegelj für die Manifesta noch kein definiertes Projekt. Der gemeinsame Nenner ihrer bisher ausgeführten Aktionen ist die Intervention in Galerie- oder anderen Räumen. Im Jahre 1996 wurde die Skuc Galerie für vierzehn Tage zum Degustationsort der ersten slowenischen Mayonnaise-Party und die Kapelica Galerie zum Atelier der Künstlerin, wo sie aus Ton das Porträt des Galeristen modellierte und diesen – sie selbst war dabei als Akteurin nackt – in Gips abgoss. Im Jahre 1998 veranstaltete sie in der Skuc Galerie ein Squashturnier.

‹Bar Code III, 3. Versenkung› von Darijo Kreuh stellt ein Projekt dar, das letztes Jahr beim Steirischen Herbst in Graz durchgeführt wurde. Es handelt sich dabei um eine Umsetzung von computersimulierten Programmen im realen Raum. Die Programme wurden im Laboratorium für Computerstrukturen und -systeme an der Fakultät für Computerwissenschaft und Informatik in Ljubljana von Iztok Bajec, Reiner Linz und Darijo Kreuh erarbeitet. In der ersten Phase, 1. Versenkung, verlief die Verbindung mit Schall. Dann wurde der visuelle Teil hinzugefügt. Die dritte Phase beinhaltete dann eine zusätzliche Applikation des Internets, die Reales, Virtuelles und Globales verband. Das Arbeitskonzept spricht davon, dass künstliche Intelligenz passive digitale Systeme zu aktiven verändern kann und damit die Kontrolle über sie verloren geht.

Nika Span entwarf eine grosse Wandprojektion mit dem Titel ‹By Heart›, die simultan zwei Filme zeigt, die den Blick vom Himmel bis zur Erdoberfläche, zur Stadt Ljubljana schweifen lassen. Der Unterschied zwischen den beiden Filmen liegt ausschliesslich darin, dass der erste den Blick durch die reale Stadt führt und der andere den Focus auf ein 1m2 grosses Bronzemodell richtet, das auf dem Preþserenplatz im Zentrum Ljubljanas steht.

‹Hisa za popotnike› – das Haus für Reisende oder ‹Hisa prostorom za predmete posedovanja› – das Haus mit Raum für Besitztümer – von Marjetica Potrc ist eine soziale Institution, die auf ihren früher realisierten künstlerischen Projekten basiert. Ein solches Aussiedlerhaus wurde zum ersten Mal vor zehn Jahren in Kenia von der UN-Agentur als Hilfe für Aussiedler errichtet, als ein Wasserdamm gebaut wurde. In Ljubljana wird es nun in der Gegend der zugewanderten Zigeuner aufgestellt.

Der Charakter der ausgewählten Arbeiten der Manifesta in Ljubljana ist dem der ersten Manifesta in Rotterdam näher als derjenigen in Luxemburg. Das bedeutet, dass die ursprünglich formulierten Grundsätze noch immer brauchbar sind und dass die alte Dame Europa Globalismus in Form von Regionalismus verdauen kann. Und wenn es sich dabei vielleicht auch nur um die Geschicklichkeit der Kuratoren und des Produzenten handelt, welche die globale Kultur zu überlisten versuchen.

(Ins Deutsche übertragen von Mirjam Behek.)

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Ausgabe: 06 / 2000
Ausstellung: ( - )
Institution: Manifesta (Ljubljana)
Autor/in: Lilijana Stefancic
Künstler/in: Janja Zvegelj , Gregor Podnar , Marjetica Potrc , Darijo Kreuh , Nika Span
Homepage: www.manifesta.org
E-Mail: manifesta@cd-cc.si

 

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