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Die Idee der Manifesta stammt
aus den frühen neunziger Jahren. Europa zeigte sich nach dem Fall der
Berliner Mauer euphorisch, und man ging davon aus, dass der Kontinent in
einigen Jahren zu einem einheitlichen Kulturraum zusammenwachsen werde.
Doch heute ist die Situation genau umgekehrt: Statt aufgeteilt in Osten
und Westen, Norden und Süden ist Europa zu einem zersplitterten
Territorium mit neuen Grenzen geworden. Diese werden primär durch
verwaltungspolitische Strukturen der europäischen Union, wirtschaftliche
Faktoren und ethnische, kulturelle sowie psychosoziale Gegebenheiten
bestimmt. Jedes dieser politischen und mentalen Gebiete entwickelte seine
eigenen Abgrenzungs- und Austauschmechanismen, wobei die Korrelation durch
die lokal herrschenden Krisen bestimmt wird. Auch die Folgen der früheren
Kulturpolitik bleiben entscheidend, Europa ist in einer virtuell
globalisierten Welt immer noch ein Sammelsurium zahlreicher
Kunstwelten.
Die Manifesta 2000 findet in Ljubljana statt, in einem
geopolitischen, sozialen, wirtschaftlichen und psychosozialen Umfeld, in
welchem die Zersplitterung und Transformation Eurpoas hautnah zu spüren
war. Deshalb bezeichnet das für die Ausstellung gewählte Thema ‹Borderline
Syndrom – Verteidigungsenergien› nicht nur ein allgemeines
Charakteristikum, sondern ein konkretes Spezifikum des
Gastgeberlandes.
Nach Rotterdam, 1996, und Luxemburg, 1998, findet
die dritte Manifesta nun erstmals in einer ehemals osteuropäischen Stadt
statt, womit auch erstmals einer der Grundsätze der Manifesta umgesetzt
wird. Ljubljana wird damit absichtlich oder unabsichtlich zum Prüfstein
der urspünglichen Idee. Wird eine Stadt wie Ljubljana fähig sein, eine
Manifestation grossen Formates zu absorbieren und zu promovieren?
Im Grunde sind das charakteristische Fragen des ‹Borderline
Syndroms›, wie sie in der Psychoanalyse diskutiert werden. Nachdem sich
schon in den siebziger Jahren die so genannte ‹Materialistische Schule
Ljubljanas› entwickelt hatte, welche den Strukturalismus und die
Psychoanalyse verband und deren bekannteste Vertreter Slavoj Zizek, Rastko
Mocnik waren, scheint die Stadt ein idealer Ort für die Umsetzung dieses
Themas zu sein.
In ihrem Wesen verkörpert die Manifesta die Idee
des Importes. Und so wie damals, als anfangs der neunziger Jahre Haagendas
und Shell den bis dahin relativ geschlossenen, slowenischen Handelsplatz
zu erobern begannen, und dies von einigen als Anregung für die
einheimische Produktion aufgefasst wurde, während andere grosse Skepsis
äusserten, scheiden sich auch heute an der Manifesta die Lager.
Kulturimport? Einige fürchten
das Olympiade-Syndrom und führen das nahe gelegene Sarajevo als Beispiel
an, wo sich die neu erbaute Sportinfrastruktur für die lokalen Bedürfnisse
als zu gross und die Instandhaltung als zu kostspielig erwies. Die Objekte
verfielen erbarmungslos. Für Andere wiederum bringt die Manifesta neuen
Schwung in das lokale Kunstgeschehen und wirkt sich positiv auf die
Umstrukturierung angestammter Institutionen aus. So sollen
Ausstellungsräumlichkeiten wie Kapelica Galerie, Metelkova, Skuc Galerie,
Moderna galerije, das internationale grafische Zentrum und Cankarjev dom
Galerie gefördert und damit Ljubljana einen grossstädtischen Akzent
verliehen werden. Einen positiven Impuls erhofft man sich auch auf die
qualitätvolle, alternative, kaum staatlich geförderte
Theaterproduktion.
Die Organisation der Manifesta wurde von der
einflussreichsten Kulturinstitution der Stadt, dem Cankarjev dom
übernommen. Ivan Cankar war ein Schriftsteller des Symbolismus und ein
Fürsprecher der jugoslawischen Idee am Ende des Ersten Weltkrieges. Die
Institution gilt heute als Symbol der slowenischen, nationalen
Kulturidentität. Für die Realisierung der Veranstaltung wurde eine lokale
Projektgruppe gebildet, welche die gewonnenen Erfahrungen nach Beendigung
des Projektes weiterleiten soll.
Für die Manifesta zeichnen mehrere
Kuratoren, die verschiedene künstlerische Praxen vorstellen und
verschiedene geografische sowie kulturelle Bereiche Europas vertreten. Um
dabei als Gruppe den Konsensdruck und Kompromisse zu vermeiden, hat jeder
von ihnen bewusst auf individuelle Präferenzen gesetzt.
Die
slowenischen Künstler können hier stellvertretend für die gesamte Auswahl
vorgestellt werden. Marjetica Potrc, Nika Span, Janja Zvegelj und Darijo
Kreuh würde kein lokaler und auch kein internationaler Kustos vereinigen.
Die Auswahl bestätigt, dass die jüngere, slowenische Produktion auf der
künstlerischen Schöpfungskraft der Frauen beruht, besonders wenn es sich
um Film und Video und nicht um traditionelle Malerei handelt. In den
Arbeiten geht es um Dokumentarisches und Biografisches, Kontextualität,
Machtlosigkeit und Prozesshaftigkeit. Die Auswahl der Künstlerinnen
beschränkt sich dabei nicht auf eine bestimmte Generation. So ist
Marjetica Potrc, eine Vertreterin der mittleren Generation und
gleichzeitig die international bekannteste Künstlerin.
Anfang Mai
hatte Janja Zvegelj für die Manifesta noch kein definiertes Projekt. Der
gemeinsame Nenner ihrer bisher ausgeführten Aktionen ist die Intervention
in Galerie- oder anderen Räumen. Im Jahre 1996 wurde die Skuc Galerie für
vierzehn Tage zum Degustationsort der ersten slowenischen Mayonnaise-Party
und die Kapelica Galerie zum Atelier der Künstlerin, wo sie aus Ton das
Porträt des Galeristen modellierte und diesen – sie selbst war dabei als
Akteurin nackt – in Gips abgoss. Im Jahre 1998 veranstaltete sie in der
Skuc Galerie ein Squashturnier.
‹Bar Code III, 3. Versenkung› von
Darijo Kreuh stellt ein Projekt dar, das letztes Jahr beim Steirischen
Herbst in Graz durchgeführt wurde. Es handelt sich dabei um eine Umsetzung
von computersimulierten Programmen im realen Raum. Die Programme wurden im
Laboratorium für Computerstrukturen und -systeme an der Fakultät für
Computerwissenschaft und Informatik in Ljubljana von Iztok Bajec, Reiner
Linz und Darijo Kreuh erarbeitet. In der ersten Phase, 1. Versenkung,
verlief die Verbindung mit Schall. Dann wurde der visuelle Teil
hinzugefügt. Die dritte Phase beinhaltete dann eine zusätzliche
Applikation des Internets, die Reales, Virtuelles und Globales verband.
Das Arbeitskonzept spricht davon, dass künstliche Intelligenz passive
digitale Systeme zu aktiven verändern kann und damit die Kontrolle über
sie verloren geht.
Nika Span entwarf eine grosse Wandprojektion
mit dem Titel ‹By Heart›, die simultan zwei Filme zeigt, die den Blick vom
Himmel bis zur Erdoberfläche, zur Stadt Ljubljana schweifen lassen. Der
Unterschied zwischen den beiden Filmen liegt ausschliesslich darin, dass
der erste den Blick durch die reale Stadt führt und der andere den Focus
auf ein 1m2 grosses Bronzemodell richtet, das auf dem Preþserenplatz im
Zentrum Ljubljanas steht.
‹Hisa za popotnike› – das Haus für
Reisende oder ‹Hisa prostorom za predmete posedovanja› – das Haus mit Raum
für Besitztümer – von Marjetica Potrc ist eine soziale Institution, die
auf ihren früher realisierten künstlerischen Projekten basiert. Ein
solches Aussiedlerhaus wurde zum ersten Mal vor zehn Jahren in Kenia von
der UN-Agentur als Hilfe für Aussiedler errichtet, als ein Wasserdamm
gebaut wurde. In Ljubljana wird es nun in der Gegend der zugewanderten
Zigeuner aufgestellt.
Der Charakter der ausgewählten Arbeiten der
Manifesta in Ljubljana ist dem der ersten Manifesta in Rotterdam näher als
derjenigen in Luxemburg. Das bedeutet, dass die ursprünglich formulierten
Grundsätze noch immer brauchbar sind und dass die alte Dame Europa
Globalismus in Form von Regionalismus verdauen kann. Und wenn es sich
dabei vielleicht auch nur um die Geschicklichkeit der Kuratoren und des
Produzenten handelt, welche die globale Kultur zu überlisten
versuchen.
(Ins Deutsche übertragen von Mirjam Behek.)
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