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Wenn Alltägliches das Fürchten lehrt

15.03.2010 | 18:51 | SABINE B. VOGEL (Die Presse)

Die Italienerin Tatiana Trouvé kombiniert Paradoxes und Unheimliches.

Jede Ausstellung in diesem Haus ist eine Herausforderung. Das musste auch Tatiana Trouvé feststellen, als sie erstmals die Räume des Friendly Alien besichtigte.

Ihre erste österreichische Personale sollte ursprünglich oben im Kunsthaus Graz stattfinden. Sofort entschied sie sich gegen den Kuppelsaal. Allerdings haben sich die Architekten Peter Cook und Colin Fournier auch auf space03 nicht zurückgehalten. Brutal schneidet die Rolltreppe mitten in den Raum, der noch dazu von gewölbten Wänden mit einem lauten Netzmuster umgeben ist. Ignorieren lässt sich so eine Umgebung nicht und also entschied sich Tatiana Trouvé dazu, alle Merkwürdigkeiten dieses Raumes in ihre Arbeit einzubauen – und das ist ihr absolut großartig gelungen!

Trouvé, in Italien geboren, in Dakar aufgewachsen, studierte in Nizza, lebt heute in Paris und ist seit zwei Jahren eine der gefragtesten Künstlerinnen unserer Zeit. Berühmt wurde sie mit einem unbehauenen Stein, an dem Mengen von Schlössern kleben, ein vertrautes, an Muscheln erinnerndes Bild und gleichzeitig erschreckend bizarr. Solche paradoxen Kombinationen bestimmen auch ihre Ausstellung in Graz.


Anklänge an Science-Fiction

Wir wandern durch einen Wald aus Metallbäumchen mit Ästen, die mit Leder zugeschnürt sind. „Das Leder erinnert an Korsagen, die Stütze und Handicap zugleich sind“, erklärt die Künstlerin einmal. Als stützend und behindernd zugleich empfinden wir auch die schwarzen Stangen, die Trouvé zu den vorhandenen Mengen von tragenden Säulen hinzugefügt hat.

Mal dick, mal schmal, zwängen die Vertikalen den Raum ein in eine düstere, unheimliche Atmosphäre. Hinten trennt ein raumhohes Gitter die Landschaft ab, ein magisch schwebendes Seil hat scheinbar die Schwerkraft aufgehoben, zwei irritierende Aufzugsschächte sind nur über Miniaturtüren zu erreichen und die dünnen Metallseile erzählen von Hochspannung, wo aber kein Strom fließt. Was ist Architektur, was Installation, was Fiktion, was Realität? Das sind Fragen, die auch das zentrale Thema in dem Science-Fiction-Roman „Il Grande Ritratto“ von Dino Buzzati ist, woher der Titel von Trouvés Ausstellung stammt. Sie inszeniert harmlose Materialien voller Anspielungen an Gewalt und Brutalität.

Das französische trouvé heißt übrigens „gefundener Gegenstand“ und ist seit dem Dadaismus als „object trouvé“ eine künstlerische Methode, Alltägliches in neuen Zusammenhängen zu zweckentfremden und zum Kunstwerk zu erheben. Kaum kann man glauben, dass es ihr gebürtiger Name ist, so perfekt passt das Wort zu dieser Künstlerin, die diese Methode zur einzig gültigen Raumwahrnehmung erhebt. („Il Grande Rittrato“, bis 16. Mai)


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