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Remix verquerer Wirklichkeiten

Junge deutsche und internationale Maler sind findige "Geschichtenerzähler" in der Galerie der Gegenwart

Von Belinda Grace Gardner

Was sind das für Figuren, die in rätselhafter Landschaft am Straßenrand stehen und Autos anhalten oder im nächtlichen, von Irrlichtern funkelnden Waldstück im Trüben fischen? Die irreal-schwebenden Kompositionen des jungen Hamburger Shooting-Stars Henning Kles im Lichthof der Galerie der Gegenwart stimmen ein auf die Ausstellung von "Geschichtenerzählern", die jetzt den zweiten Stock des Hauses mit absurden, unheimlichen, poetischen und eindringlichen Werken bespielen. Die von Christoph Heinrich, Kustos der Galerie der Gegenwart, kuratierte Schau bündelt erzählerische künstlerische Ansätze mit einem Schwerpunkt auf der neuen figurativen Malerei. Zu den prominenten Protagonisten dieser Malerei gehört der Leipziger Neo Rauch, der als ein Hauptvertreter der international im Trend liegenden "German Art" Furore gemacht hat. "Klassikern" wie Rauch und dem bekannten, in Schottland geborenen, in Trinidad lebenden Maler Peter Doig sind in der Ausstellung Newcomer der malerischen Erzähl-Kunst, wie Kles oder Till Gerhard gegenübergestellt.

Was sich bei vielen der Künstlerinnen und Künstlern als Strang hindurch zieht, ist die Verknüpfung und Verdichtung von Motiven, Stilen, Inhaltsplittern aus einer Fülle von Zusammenhängen, das epochenübergreifende "Sampeln" und "Remixen" ästhetischer Fundstücke. Passend zur heutigen, zusehends diffusen Wirklichkeitserfahrung folgen die Erzählungen der aktuellen "Geschichtenerzähler" meist keiner geradlinigen Handlung, sondern der undurchsichtigen, assoziativen Logik der Träume. Dabei fließen die Bilder der Werbung, des Films, der elektronischen Medien und anderer Quellen mit ein. Aber auch märchenhafte, teils seltsam altertümlich anmutende Momente sind wiederholt zu entdecken. Etwa in den großformatigen, an allegorische Vanitas-Bilder erinnernden Tableaus des 1969 geborenen Berliner Malers Jonas Burgert, die wie Opernbühnen in Szene gesetzt sind: Hier treten Maskierte in herrschaftlichen Gewändern in Erscheinung, thront ein Affe vor romantischem Landschaftsausschnitt zwischen ornamentalen Dekorationen und winzigen Schädeln. Burgert gehört zu den insgesamt sechs Künstlerpositionen, die der "Fonds der Jungen Freunde" für die Sammlung der Hamburger Kunsthalle erworben hat und die nun erstmals vorgestellt werden.

Dazu zählen auch die zwischen Totentanz, Bruegel'scher Höllenlandschaft und Fin-de-Siècle-Dekadenz changierenden Radierungen der aus Moskau stammenden Dasha Shishkin. Die Künstlerin, deren Bilder um Eros und Thanatos kreisen, hat zudem auf grellrosa Grund eine Wandzeichnung direkt in der Ausstellung realisiert. Der Einfluß medialer Vorbilder aus der flirrenden Welt des Fernsehens und der Computerspiele wiederum manifestiert sich in den poppig-bunten, unterschwellig bedrohlichen Szenarien des Hamburger Malers Christian Hahn ebenso wie in den mysteriösen schwarzweißen Zeichnungen von Dennis Scholl, der noch an der Hamburger Kunsthochschule studiert. Ein bisweilen grotesker Humor verbindet die hier versammelten Arbeiten, die neben Malerei, Druckgraphik und Zeichnung auch die Genres Skulptur, Film und Fotografie umfassen. Die sehenswerte Ausstellung (bis 21. August) ist übrigens dem Meister des Kunstmärchens Hans Christian Andersen gewidmet.

Artikel erschienen am 09.04.2005

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