Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte

Quer durch die Galerien

Kein Dosenfutter für Elefanten

Emil Herkers Vision: Die anderen mögen zu McDonald’s gehen, du, glückliches Österreich, machst dir eine Dose auf. (Und gehst erst dann zu McDonald’s.) Emil Herker

Emil Herkers Vision: Die anderen mögen zu McDonald’s gehen, du, glückliches Österreich, machst dir eine Dose auf. (Und gehst erst dann zu McDonald’s.) Emil Herker

Von Claudia Aigner

Wer im Porzellanladen sitzt, soll nicht mit Elefanten werfen. Und auch die Kunden sollten diese riskanten Kreaturen gar nicht erst mit hineinnehmen an den Ort des Zerbrechens. Eine Binsenweisheit. Und die ist so einleuchtend, dass vor Geschäftslokalen mit empfindlichem Sortiment nicht einmal ein Dickhäuter mit dräuend patschertem Rüssel und Amok sitzendem Hintern aufgemalt werden muss. Mit dem schriftlichen Zusatz: "Ich darf nicht hinein."

Hunde sind diesbezüglich ja begriffsstütziger als Elefanten, Kamele, Kängurus und Flamingos, die man nicht eigens darauf hinweisen muss, dass sie beim Porzellan und beim Billa unerwünscht sind. Aber das ist in unserem Zusammenhang eh ziemlich wurscht.

Galerie Exner: Die postlukullische Küche

Denn der Emil Herker hält sich ja eher in der Küche auf und meditiert in sein schmutziges Geschirr hinein. (Und pflegt keinen intimen Umgang mit Elefanten: Nirgends steht jedenfalls verräterisches Elefantendosenfutter herum.) Und er gibt uns das unangenehme Gefühl, wir säßen im Geschirrspüler fest und sollten jetzt langsam anfangen, mit Somat-3-in-1-Tabs wild um uns zu ballern. Na ja, vielleicht traumatisiert er uns nicht ganz so arg mit seinen hyperrealistischen Visionen von der Katerstimmung der Trinkgefäße nach dem Durst und der Melancholie der leeren Aludosen vor dem Restmüll.
Seine gemalten Gläser schauen aber immerhin so übertrieben echt aus, dass man sie auf keinen Fall mit einer leibhaftigen Flasche „Pril“ allein lassen sollte. Damit nicht einer versucht, die ausgetrunkenen, also ausgenüchterten Bierkrügel und Stamperln aus Barmherzigkeit mit Geschirrspülmittel zu bespritzen.

Michael Schumacher ersäuft die ganze Welt

Ja, der Herker will uns tief beeindrucken. Erschaudern sollen wir vor seinem Pinsel wie vor der Potenz von Michael Schumachers Magnumflasche. Und wenn Letzterer im Siegesdusel die Riesensektflasche schüttelt und sich und die Umstehenden besudelt, als wollte er die ganze Welt ertränken, dann will er die Konkurrenten, die ja ebenfalls ein Gaspedal haben, mit der gewaltigen Schaumweinfontäne einschüchtern wie ein Eber die andern männlichen Hausschweine (obwohl der Eber natürlich keine 1,5 Liter, sondern eher ein Seidel ausschenkt, wenn er der angebeteten Sau einen ausgibt – ich bemüh’ mich ja wirklich redlich, jugendfrei zu bleiben).
Es glaubt ja sowieso keiner, dass die obligatorische Sektdusche des Triumphators eine simple Vergeudung von Rauschpotenzial ist und nichts weiter, also keine plakative Autoerotik wäre, keine kaum verhüllte Form der sublimierten Masturbation, kein Imponiergehabe des Alpha-Männchens, wobei der davonsausende Korken im Flug jubelt: „Ehre sei der Magnumflasche in der Höhe!“
Auf dem ersten Stockerlplatz kann ich mir auch Emil Herker vorstellen, der die Wirklichkeit wirklicher malt, als sie es selber ist (mit den süffigsten Spiegelungen und optischsten Brechungen im Glas). Und dort oben in seiner Glorie würde er dann quetschend und würgend die Naturgewalt einer Megafarbtube entfesseln. Auf Platz zwei: Die Personifikation der prallen Wirklichkeit, die einen kleinen Jan van Eyck, der in polierte Oberflächen verliebt ist, säugt wie einen Jesusknaben, während Caravaggio, der Meister der unideal schmutzigen Füße, unten an ihren naturalistisch dreckigen Zehen lutscht.
Und auf dem dritten Stockerl? Die Pinguine Joe und Sally, die ihre Fotoapparate (die Zeugen der realen Realität) wie Bronzemedaillen umhängen haben. (Ach nein, die fotografieren ja nicht einmal selbst. Die haben einen Ghost-Photographer: Willy Puchner. Das Boney-M.-Prinzip: Joe und Sally urlauben „Playback“.)

Animierdamen fürs Gedärm: Bohnen

Während bei herkömmlichen Stillleben-Arrangements in Summe eine Vanitas herauskommt, ergibt Herkers Mischung, wenn man alle Zutaten im Magen zusammenzählt, Durchfall und einen Vollrausch, mindestens aber eine Flatulenz-Orgie, ein Hülsenfrüchtekonzert: Kakao, viel Alkohol und Bohnen (die Darmanimierdamen). Ist beim Herker aber alles nur angeberisch oberflächlich? Nein. Anspielungen und (kryptische) Kommentare finden sich ja überall irgendwie. Und Schlüpfrigkeiten.
Das Geschirr ist einfühlsam beseelt: Einer Büchse mit „zartem jungem Gemüsemais“ hat ein Dosenöffner brutal die Unschuld geraubt. Und das Saftglas mit dem Obelix-Porträt ist gewiss das von Miraculix autorisierte Behältnis für den ominösen Energy-Drink, wegen dem die Bewohner vom Asterix-Dorf beim Dopingtest nach jeder Schlacht durchfallen und dem der Name „Red Gaul“ (sprich: „Gol“, nicht „Bull“) gebühren würde: roter, weil fuchsteufelswilder Gallier.

Galerie Janda: Schmalziger Schweiß

„Silent Winds“ – so heißt das wahrscheinlich, weil Artikulation auch irgendwas mit Luftzug zu tun hat und der Mensch im Vakuum nicht singen (und vermutlich auch nicht sehr produktiv staubsaugen) kann. Der Experimentalfilmer Martin Arnold hat jetzt einen Schauspielschüler entdeckt, der so begabt ist, dass er mit geschlossenem Mund singen kann. Freilich ohne Ton. Dafür singt der Rest von seinem Gesicht mit und die Augenbrauen hängen sich voll rein in die Melodie. Das Schmalz trieft in Echtzeit wie Schweiß von der Stirn.
Das Ergebnis wäre sicher nicht so reichhaltig, hätte Arnold einen Fußballer der österreichischen Nationalmannschaft die Bundeshymne unter den Haarwurzeln Strophe für Strophe abarbeiten lassen. Da hätte er nur ein patriotisches Pokerface gekriegt. Und dann: ein Triptychon aus drei Monitoren. Derselbe Song, aber mit durcheinandergewürfelter Phonetik. Das Martyrium eines Sängers, dem man das Lied im Mund zerschnetzelt hat. In der Mitte: die getragenen Vokale. Auf den Seiten: gequältes konsonantisches Stottern und Rülpsen (st, fp, ch). Zu minimalkonzeptuell?

Quer durch Galerien

Galerie Wolfgang Exner

(Rauhensteingasse 12)

Emil Herker. Hell’s Kitchen.

Bis 3. Oktober

Mo. bis Fr. 11 bis 18 Uhr

Sa. 11 bis 17 Uhr

Galerie Martin Janda

(Eschenbachgasse 11)

Martin Arnold. Silent Winds.

Bis 22. Oktober

Di. bis Fr. 13 bis 18 Uhr

Sa. 11 bis 15 Uhr

Freitag, 23. September 2005


Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at