ARIANE GRABHER
Dornbirn (VN) Abseits der etablierten Kunstszene und unter
bemerkenswerten Lebensumständen ist der über 80-jährige Franz Huemer
als Wurzelschnitzer und skurriler Außenseiter aus dem Feldkircher
Bahnwärterhaus bekannt. Dem Gesamtkunstwerk Franz Huemer ist die
Retrospektive "Ä der letzte Rest vom abgespaltenen Paradies" im
Kunstraum Dornbirn gewidmet.
Suchen und finden
Der Eintritt in die wunderbare Welt des Wurzelkönigs Franz Huemer
erfolgt in Schräglage. Im Inneren eines schräg gelegten Kubus
konfrontiert die Schau mit dem gemalten Schlüsselwerk "Die ersten
Erscheinungen" (ca. 1980) und lässt Huemer in einer
Audiodokumentation selbst zu Wort kommen. Das Bild markiert in der
abenteuerlichen Biografie des Künstlers einen Markstein und zeigt
ihn in einer Zwangsjacke in einer psychiatrischen Anstalt in
Frankreich.
Nach einem ersten schizophrenen Schub und nicht weniger als 24
Elektroschockbehandlungen ereilten ihn dort seine "ersten
Trugbilder" (Hue mer), die zum Kontakt mit dem "kleinen Volk der
Elfen und Feen" führten. Seither ist Franz Huemer ein Suchender und
ein Findender, ein Vermittler zwischen den Welten.
Seine eigentliche Arbeit sieht der Künstler, der auch ein
manischer Schreiber ist und seine visionären Erkenntnisse auf
ungezählten Manuskriptseiten festhält, weniger im Schnitzen der
Wurzeln, für das er bekannt ist, als vielmehr im Suchen des unter
der Oberfläche Verborgenen.
Wahrheiten
Es riecht ein bisschen nach Wald. Die den Boden bedeckenden
Holzschnitzel, die dafür verantwortlich sind, sorgen auch dafür,
dass es sich weich und geräuschlos geht in dem Zauberwald, den Franz
Huemer in der Montagehalle des Kunstraum inszeniert hat. Dicht an
dicht stehen die Skulpturen. Die Oberflächen der Fundstücke, die
Huemer aus dem Wald mit nach Hause bringt und mit dem Schnitzmesser
bearbeitet, um sie farbig zu fassen, dienen ihm als Vexierbilder,
mittels derer sich für den Künstler die tieferen Wahrheiten des
Universums erschließen und komplex vernetzte Zusammenhänge
offenbaren. Dass er sein Handwerk, das er in der Schnitzschule
Elbigenalp gelernt hat, beherrscht, beweist eine Porträtbüste seiner
Mutter.
Im Gegensatz zu dieser braven mimetischen Abbildung verraten die
Wurzelskulpturen die Nähe des Künstlers zu surrealistischem Denken.
Madonnengesichter, Tiergestalten, Fabelwesen - es ist eigentlich
alles schon da in der Welt des Franz Huemer, es wartet nur im
Verborgenen darauf, entdeckt zu werden. Was für sich genommen
interessant anzuschauen ist, darf allerdings dergestalt nicht nur
als autonomes Kunstwerk gesehen und gelesen werden.
Anekdoten
Jenseits der Frage nach Grenzziehungen bleiben Huemers Arbeiten
auch im Kunstkontext ein singuläres Ereignis. Ihre ganze Wirksamkeit
erfahren die Skulpturen zudem nur in der Zusammenschau mit ihrem
Schöpfer, der sie belehrend, fabulierend und Anekdoten erzählend mit
Leben erfüllt und damit für Augenblicke in seinen komplexen
Denkkosmos entführt.