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Raimar Stange Haiders rechtspopulistische FPÖ mit in der Regierungsverantwortung – das führte über Nacht zu einer Politisierung zahlreicher Künstler und Kunstvermittler in und ausserhalb Österreichs. Hier ein Blick von aussen auf einige relevante Arbeiten.
Auch Sissi würde weinen

Zum Kulturboykott in Österreich

links: Silke Wagner · S.W.05.03.00 NYC; Weisser Siebdruck auf rotes T-Shirt (auf dem Foto von Robert Fleck getragen); Foto: Karin Pernegger/Klemens Gasser & Tanja Grunert Gallery, NY
rechts: Liam Gillick · Fuck the New Austrian Government, 2000 Grafik; Courtesy Schipper & Krome, Berlin

An vorderster Front exponierte sich der ‹Exil-Österreicher› Robert Fleck, der dazu aufrief, künftig keine Ausstellungen mehr in Österreich zu kuratieren. Ein Aufruf, der vor allem im Internet eine kontroverse Diskussion anstiftete: Soll die Kunst gerade dann ihren Schwanz einziehen, wenn ihre kritische und öffentlichkeitsstiftende Kraft gefragt ist?!

Eine Frage, die der Brite Liam Gillick mit einer Grafik beantwortete, auf der unmissverständlich geschrieben stand: ‹Fuck the new austrian government›, 2000. Die Aggressivität der Aussage wurde durch die stilvolle Typografie des Blattes nur wenig gedämpft. Nichts also blieb angesichts der eindeutigen politischen Situation von der diskursiven Offenheit übrig, die etwa Gillicks ‹Discussion Islands› sonst im Ausstellungskontext herstellen. Eine klare Haltung ist jetzt gefragt.

Die junge Frankfurterin Silke Wagner antwortete auf den Rechtsruck nicht nur in Österreich – in der BRD proklamierte beispielsweise der ehemalige Zukunftsminister angesichts der Einführung einer Greencard in bester Haiderschen Rhetorik: ‹Kinder statt Inder› – mit einer einprägsam politisch codierten Oberfläche. Für eine Ausstellung in der New Yorker Galerie Klemens Gasser & Tanja Grunert steuerte sie ein rot-weisses T-Shirt bei, auf dem diverse Internetadressen antifaschistischer Aktivisten zu lesen waren: www.antif.net/ www.gegenschwarzblau.net/ www.annefrank.nl .... Das T-Shirt fungiert nicht mehr als lustvoll besetztes Crossover- und Pop-Art-Versatzstück, sondern als offensichtliche Solidaritätsbekundung und politische Aufklärung zugleich.

Von engagiertem Protest, vielsagendem Schweigen – die No.69 der Zeitschrift ‹camera austria› erschien ganz in schwarzen Seiten – bis zu hektischer Politisierung als Selbstdarstellung reicht derzeit (so jedenfalls stellt es sich mir Norddeutschem nach zahlreichen Gesprächen, E-mails, Zeitungsberichten und einem mehrtägigen Österreichbesuch dar) das Spektrum der Befindlichkeit in Österreich selber. Bereits im Frühjahr 1995 aber formulierte Peter Friedl in rot-weiss-roter Neonschrift auf dem Europaplatz in Wien ‹Kill and Go›. Friedl spielte damit vor allem auf den rassistisch motivierten Mord von vier Roma 1994 im österreichischen Oberwart an. Statt moralisch zu beklagen, klagt Friedl durch die Offenlegung rassistischer Strategien an: Töten und Vertreiben! Der drastischen, scheinbaren Aufforderung gelingt es so, der vom Soziologen Dirk Baecker aufgezeigten Falle zu entgehen: ‹Jede Warnung vor dem Faschismus ist für andere eine Einladung.›1

Der Gefahr der Unterscheidung, ‹die Beobachter auf die andere Seite der Unterscheidung neugierig zu machen›2, entkommt auch der in New York lebende Pole Piotr Uklanski mit seiner Fotoarbeit ‹Die Nazis›, 1998. Auf über 160 Filmfotos zeigt er jetzt in den Berliner Kunst Werken Schauspieler, die Nazicharaktere spielen und dabei sämtlichen Rollenklischees Hollywoods gerecht werden wie immer. Keine unterscheidende Kritik wird vorgetragen, sondern auratischer Glamour als Lifestyle jenseits ideologischer Differenzen. Das macht Sinn: Auch der von Jörg Haider heute zelebrierte Lifestyle – ein nicht unwichtiger Grund seines ‹Erfolges›! – unterscheidet sich kaum von dem anderer medienbewusster Politiker. Immerhin hat sich die Firma Reebock, nachdem sie ihm zunächst ein PR-Video finanzierte, inzwischen öffentlich von ihrem ‹Werbeträger› Haider distanziert.

1 Dirk Baecker, Poker im Osten, Berlin 1998, S.16
2 Auch Peter Pommerer, der als Zeichner und Wahl-Österreicher auf den abendlichen Demonstrationen ein Transparent mit dem Text ‹auch Sissi würde weinen› durch Wien trug, formulierte bewusst ein ‹auch›, keine unterscheidende, sondern eine einschliessende Konjunktion also.

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Ausgabe: 06 / 2000
Autor/in: Raimar Stange
Künstler/in: Liam Gillick , Silke Wagner , Peter Friedl , Piotr Uklanski
Homepage: www.gegenschwarzblau.net

 

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