Die Kunsthalle Wien öffnet mit "Power Up" ein
bislang wenig bekanntes Kapitel der Kunstgeschichte
Frauenpower in der Popkunst
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In "Ice Cream" von 1964 zeigt die belgische Pop-Art-Künstlerin Evelyne
Axell die Verflechtung von Sexualität und Sinnlichkeit aus der
weiblichen Perspektive. Foto: Evelyne Axell/VBK/Paul Louis
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Von Manisha Jothady
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Mit dem
Pop-Art-Künstler Robert Indiana hatte sie 1963 eine Kuss-Szene in Andy
Warhol’s Film "Kiss". Im Jahr darauf posierte sie für dessen
Leinwandproduktion "13 Most Beautiful Women". Marisol, mit bürgerlichem
Namen Maria Sol Escobar, war in der New Yorker Kunstszene der
ausgehenden 1950er bekannt für ihre exotische Schönheit. Aber auch für
ihre künstlerische Arbeit, welche die gebürtige Venezolanerin im Umfeld
jener Strömung entwickelte, die der Faszination am Alltäglichen
huldigte. Bereits 1958 hatte sie im Big Apple eine Einzelausstellung in
der renommierten Leo Castelli Gallery.
1962 war sie in einer inzwischen legendären Pop-Art-Ausstellung in
der New Yorker Sidney Janis Gallery vertreten. Die Präsentationen ihrer
eigenwilligen Holzskulpturen, in denen sich ihr Interesse an Folklore
und ihre Kritik am American Way Of Life vermischen, führte sie 1968 an
die "documenta" in Kassel und an die Biennale in Venedig. Aus der
Geschichte der Pop-Art wurde ihr Name dennoch herausgeschrieben. Zu nahe
am satirischen Realismus und tendenziell wohl auch zu feministisch,
denkt man angesichts ihrer Arbeit "The Wedding", in der die Künstlerin
ihr männliches Pendant ehelicht.
Wenig bekannte Perspektiven
Neben Dorothy Iannone, Kiki Kogelnik, Evelyn Axell, Rosalyn Drexler,
Sister Corita, Jann Haworth, Christa Dichgans und Niki de Saint Phalle
ist Marisol nun eine der Protagonistinnen in der Kunsthallen-Ausstellung
"Power Up – Female Pop Art". Kuratorin Angela Stief eröffnet mit dieser
Schau bislang wenig bekannte Perspektiven auf jene Kunstrichtung, die
sich vor allem mit den Namen männlicher Kunstschaffender verbindet. Wie
ihre Kollegen verstanden auch die Künstlerinnen der Popkunst-Ära das
Massentaugliche virtuos zu arrangieren. Die Welt des Supermarktes und
der Serienproduktion, der Comics, der Werbeslogans, der Medien und
Superstars stellte auch für sie einen reichen motivischen Fundus dar.
Dass ihr Werk dennoch an den äußersten Rand der Pop-Art verwiesen wurde,
hängt freilich mit den männlich dominierten Strukturen im damaligen
Kunstbetrieb zusammen. Man denke zudem an die Bilder von Mel Ramos,
dessen gemalte Klischee-Schönheiten wie stilisierte Vehikel der
Absatzförderung anmuten. Oder an die lebensgroßen, ideal
proportionierten und gesichtslosen Frauenfiguren des Briten Allen Jones.
Die Frau als Muse und Modell steht für viele Meisterwerke der
Kunstgeschichte Pate. Diesen passiven Status sowie den eines
kommerziellen Fetischobjekts hatte sie auch in vielen Werken der Popart
inne.
Dementsprechend kritisch, selbstbewusst, aber auch ironisch und
selbstreflexiv vielen die Antworten der Pop-Art-Künstlerinnen aus. So
schuf etwa die Belgierin Evelyn Axell dynamische Malereien und
Emailbilder, in denen weibliche Sexualität und Sinnlichkeit zum
dominierenden Sujet avancierten. Ihre Arbeiten entsprechen wohl am
ehesten den geläufigen formalästhetischen Kriterien von Pop-Art. Allein
die Tatsache, dass sie aus der weiblichen Perspektive heraus eine
sexuell freizügige Bildsprache entwickelte, mag den Kritiker Pierre
Restany dazu veranlasst haben, ihre Werke als "Ikonen der sexuellen
Revolution" zu würdigen.
"Kunst kommt von künstlich" pflegte dagegen die 1961 nach New York
ausgewanderte Österreicherin Kiki Kogelnik zu sagen. Im Rahmen der
Ausstellung wird einmal mehr deutlich, wie sehr sie in ihrem bunten und
doch stets hintergründigen Werk traditionelle Begriffe wie Skulptur,
Körperbild und die Differenz zwischen Kunst und Kitsch auf den Prüfstand
stellte. Dass sie die Massen ansprechen wollte, signalisierte sie in
ihren New Yorker Anfangsjahren durch die Bespielung von Schaufenstern –
eine Idee, die sich auch in der Ausstellungsarchitektur von "Power Up"
niederschlägt.
Handgefertigte Stoff-Figuren
Das Zelebrieren industriell gefertigter Massenware fand in der
Pop-Art vielfach in der Verwendung technisch reproduzierbarer
Verfahrensweisen wie dem Siebdruck Ausdruck. Die von Hand gefertigten
Stoff-Figuren der Amerikanerin Jann Haworth reagieren darauf ebenso
eindringlich wie sie inhaltlich Themen der Unterhaltungsindustrie
aufgreifen und mit Geschlechterstereotypen brechen. Dass sich die
Künstlerinnen der Pop-Art einige Strategien der Strömung zunutze
machten, um letztendlich gegen den Strom zu schwimmen, verdeutlicht die
Ausstellung auch anhand einiger Arbeiten von Niki de Saint Phalle und
Dorothee Iannone. Ihr Schaffen hätte man nicht unmittelbar diesem
Kontext zugeordnet.
Neben renommierten Positionen wie diesen begeistert die Schau vor
allem durch Wiederentdeckungen. So durchlief die Deutsche Malerin
Christa Dichgans in ihrem Werk eine Pop-Phase, die in Stillleben mit
Plastikspielzeug und Haushaltsgeräten zum Ausdruck kam. Die
faszinierendste Persönlichkeit in dieser Schau ist jedoch eine
kalifornische Nonne: Sister Corita operierte in ihrem überwiegend
druckgrafischen Werk mit knalligen Farben, mit Werbeslogans und
typografischen Experimenten. Sie nahm nicht nur zu politischen Themen
Stellung, sondern gab so auch ihre moderne Übersetzung der Psalmen
wieder – Pop im Namen Gottes also.
Ausstellung
Power up – Female Pop Art
Angela Stief
(Kuratorin)
Kunsthalle Wien
bis 20. Februar 2011
Printausgabe vom Freitag, 05.
November 2010
Online seit: Donnerstag, 04. November 2010 18:39:00
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