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Vom Winter absorbiert

(cai) Schon wieder der Wittgenstein! Dauernd wird man mit dem "Tractatus" traktiert. Und natürlich muss es der siebente logisch-philosophische Satz sein (und nicht der 0,02te), der als Motto über der Ausstellung vom Bernardi Roig schwebt: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Das steht klarerweise nicht auf einem Spruchband, das von babyspeckigen Engerln gehalten wird, denn Engerln und so, das wär’ ja Metaphysik und die ist pfui! (Hm. Am liebsten tät ich mich jetzt selber ausschweigen wie ein Fischstäbchen.)

Roigs lebensgroße weiße Männer, die die Augen fest zusammenkneifen und sich die Zeigefinger in die Ohren stecken, schauen freilich nicht sonderlich geistreich aus (oder als würden sie Wittgenstein kennen). Eher wie obstipierte Introvertierte, die nix von der Welt hören und sehen wollen. Oder sind es doch Philosophen bei der Arbeit, die ihre Gedanken mit Gewalt aus sich herauspressen? Intellektuelle mit Verstopfung? Auf einem steht "Frost". Eine Allegorie der Kälte? Etwas zu nackert ist der Kerl ja für die Eiszeit. Sogar bloßfüßig. Tja, Roig ist eben Spanier. Für den ist Angoraunterwäsche in etwa so exotisch wie für einen Pinguin ein Rasenmäher. Väterchen Frost ist das allerdings eh nicht. Vielmehr eine Anspielung auf Thomas Bernhards Roman "Frost".

Der eingefrorene Kopf im Keller meint dann wohl den "verrückten" Maler Strauch aus dem Buch, der am Ende vom Winter absorbiert wird wie der Ötzi. Roigs existenzielle Kunst (sind wir emotional erkältet?) ist voller Zitate und Metaphern. In einem Modell vom Wittgensteinhaus (dieser "mentalen" Architektur) läuft einer mit einem "Erleuchtungsgerät" herum (einer Lampe). Anstrengend intellektuell, aber sehr anregend. Der tragikomische Humor erstickt die Überforderungsmigräne zum Glück im Keim. Oder auch nicht.

Galerie Mauroner
(Weihburggasse 26)
Bernardi Roig
Bis 19. April
Di. bis Fr. 11 bis 19 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr

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Der Harte und die Zarte

(cai) Nein, Robert Gundolf hält sich nicht für eine Termite. Dann hätte er ja ein paar 100.000 imaginäre Assistenten und müsste nicht alles allein machen. Außerdem ähneln seine hohen, schlanken Keramikgebilde ohnedies nur entfernt den Schloten auf Termitenhügeln. Seit Jahren türmt er also Ton auf. Knetet und formt quasi Modelle von archaischen Wohngelegenheiten. Moment: Gibt es da nicht diese Gleichung "Turm = Erektion"? Ja, aber das ist eine böswillige Unterstellung. Obwohl: Neuerdings dekoriert Gundolf seine lebhaft emporwachsenden Kegel mit diversen Imponierorganen: Hörnern zum Beispiel. (Hm.) Linde Hörl huldigt zwar ebenfalls der Senkrechten, nämlich jenem Stück Anatomie, das für den aufrechten Gang unerlässlich ist (dem Rückgrat), aber mit so wenig Materie wie möglich. Ein reizvoller Kontrast. Hauchdünne Leiberln mit aufgedruckter Wirbelsäule hängen ätherisch auf der Wäscheleine. Existieren in der Schwerelosigkeit eigentlich Rückenschmerzen?

Galerie Sur
(Seilerstätte 7)
Vertebralis
Bis 17. April
Di. und Do. 15 bis 19 Uhr
Mi. 10 bis 13 Uhr

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Fettreduzierte Madonnen

(cai) Im Grunde hat Walter Moroder lauter Madonnen geschnitzt. Lebensgroße Andachtsskulpturen. Anorektisch mit keuscher Erotik. Den Hungertypus scheint er geradezu kultisch zu verehren. Grazil, versonnen, voller Sanft- und Anmut. Wie die strenge Pose durch eine leicht unbeholfene oder kokett schüchterne Körperhaltung gelockert wird, hat seinen speziellen Reiz. Ebenso die sinnliche Oberflächenbehandlung mit Farbe oder Paraffin. Also, ich mag diese Damen. Personen, denen so viel (unterernährter) Liebreiz nicht geheuer ist, könnten sich jedoch verpflichtet fühlen, sich von ihnen schon aus Prinzip zu distanzieren.

Galerie Chobot
(Domgasse 6)
Walter Moroder
Bis 30. April
Di. bis Fr. 13 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr

Mittwoch, 09. April 2008

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