Salzburger Nachrichten am 29. Juli 2006 - Bereich: Kultur
"Die ,Zauberflöte‘ ist wie ein Fisch" Ein SN-Gespräch mit dem
Regisseur Pierre Audi anlässlich der heutigen Premiere von Mozarts
"Zauberflöte" DEREK WEBER
Derek Weber Pierre Audi, der Intendant der Amsterdamer Oper seit 1988
und seit zwei Jahren auch Direktor des Holland Festival, ist vielleicht
hier zu Lande weniger bekannt, als er das seiner Bedeutung nach sein
sollte. Der in Beirut geborene Regisseur gründete mit 22 Jahren das
Londoner Almeida Theatre. Sein Amsterdamer Monteverdi-Zyklus wurde in New
York, Los Angeles und Sydney gezeigt, und er brachte den ersten kompletten
"Ring des Nibelungen" in Holland auf die Bühne. Bei den Salzburger
Festspielen hat heute, Samstag, seine "Zauberflöten"-Inszenierung mit
Riccardo Muti am Pult Premiere.Welche Art von "Zauberflöte" werden wir
sehen? Audi: Die "Zauberflöte" ist wie ein Fisch, der sich schwer fangen
lässt. Egal, ob man sie am Kopf oder am Schwanz oder sonst wo anpackt, sie
droht einem immer zu entwischen. Normalerweise sind meine Regiearbeiten
formal weit gehend - sagen wir zu 98% - fixiert. Die "Zauberflöte" ist die
einzige Oper, bei der ich das Gefühl hatte, laufend daran weiterarbeiten
zu müssen. Die Premiere in Amsterdam war 1995. Von diesem Zeitpunkt an
habe ich mich immer wieder mit dem Werk beschäftigt und bei zwei
Wiederaufnahmen 1999 und 2003 zwar nicht das Grundkonzept, aber viele
Szenen geändert. Salzburg ist eine schöne Gelegenheit, noch einmal
weiterzumachen.Die "Zauberflöte" als Oper bietet Platz für viele
Möglichkeiten. Audi: Ich habe instinktiv gefühlt, dass es gefährlich ist,
die "Zauberflöte" zu dekonstruieren. Denn das Stück ist selbst schon eine
Dekonstruktion. Ich habe daher sehr darauf geachtet, mich nicht in diese
Falle zu begeben und keine konzeptuale Inszenierung zu machen, sondern
eine, welche die Erzählung respektiert und versucht, alle Widersprüche des
Stückes als solche zu belassen und ihnen eine Heimat zu geben - durch die
Augen von Karel Appel, der durch seine Malerei in einem gewissen Sinn der
geheime Dramaturg der Produktion ist. Die "Zauberflöte" als Dramaturgie
eines bildenden Künstlers: Das ist der zentrale Aspekt unserer Produktion.
Und ich bin sehr traurig, dass Karel vor zwei Monaten im Alter von 85
Jahren gestorben ist. Für mich ist diese Produktion auch eine Art von
Hommage für ihn.Kann man eine Oper wie die "Zauberflöte" überhaupt im
Großen Festspielhaus adäquat inszenieren? Audi: Es ist in der Tat eine
große Herausforderung, eine volkstümliche Oper in so einem großen Raum
umzusetzen. Aber die Bühne in Salzburg hat ungefähr die gleichen
Dimensionen wie in Amsterdam. Ich denke, dass auch Riccardo Mutis
Mozartstil zu den Bildern passt.Gibt es auch freimaurerische Elemente?
Audi: Ich habe bewusst jede Anspielung darauf vermieden. Wir haben das
Amsterdamer Publikum 1995 ziemlich erschreckt, weil es mit der
Sarastrowelt etwas sehr Ernsthaftes, ja geradezu Calvinistisches verbunden
und vielleicht den Begriff der Priesterwelt zu wörtlich genommen hat. Bei
mir ist Sarastro ein Theatermann, der die Welt, in welcher der zweiten Akt
spielt, selbst inszeniert hat, eine Art Garten, in dem sehr seltsame Dinge
vor sich gehen, in dem Menschen Selbstmord begehen wollen, zusammenbrechen
usw. Kurz, es ist kein Garten, der einen von vornherein und
notwendigerweise glücklich macht. Ist die "Zauberflöte" auch lustig? Audi:
Ich finde, in der "Zauberflöte" haben alle Figuren ihre komödiantischen
Seiten, nicht nur Papageno, sondern selbst Sarastro. Man muss diesen -
allerdings sehr schwarzen - Humor zu seinem Recht kommen lassen.Und
Papageno... Audi: ...ist eher ein melancholischer Charakter als einer, der
alle fünf Minuten kommt und seine Witze abliefert. 1995 war ich noch sehr
angetan von der Idee, dass Papageno so etwas wie ein Satyr oder Faun sein
könnte, aggressiv und sexuell offensiv. Später habe ich das abgemildert,
aber es sind immer noch Spuren davon da. Ich kann mir gut vorstellen, dass
er im Wald seine Hosen herunterlässt, um Leute zu erschrecken. |