diepresse.com
zurück | drucken

15.04.2006 - Kultur&Medien / Ausstellung
Der Knick im System
VON ALMUTH SPIEGLER
Malerei. In Innsbruck zeigt Esther Stocker ihre Perfektion in irritierenden Rastern.

D
ie optischen Angebote von Esther Stocker sind stets ein Erlebnis. Dabei arbeitet die junge Malerin mit minimalsten Mitteln, mit einer auf Schwarz, Weiß und Grau eingeschränkten Farbpalette, mit einer auf Waagrechte und Senkrechte eingeschränkten Formensprache. Bald ziehen sich zarte Striche in labyrinthischen Netzen wie Schaltpläne über die Leinwände, bald erinnern Anhäufungen kräftiger Balken an urige Computerspiele wie Tetris. Ganz strikt klingt das, fast steril, doch bei näherer Betrachtung beginnen diese schönen Ordnungen, unsicher zu werden. Plötzlich verschwimmen die Tiefen, unerkannte Ebenen schieben sich nach vorne, Störungen treten auf, Leerstellen und Auslassungen. Unsere Wahrnehmung scheint die Kontrolle zu verlieren, intuitiv versuchen wir zu ergänzen und Halt im bisher Erfahrenen zu finden.

"Op Art" könnte man jetzt denken, oder konkrete Kunst - jedenfalls 60er-Jahre-Nostalgie. Und doch sind Stockers Welten gerade in ihrer Brüchigkeit zeitgenössisch, sind stiller, poetischer, nicht nur auf schnelle Aha-Effekte aus. Wie auf Displays macht sie ihre Raster mit Acrylfarbe und Klebestreifen auf mittelgroßen Leinwänden sichtbar, überträgt sie auf Teppiche, Möbel, Objekte oder gleich in den Raum selbst. Aber immer sind es nur Ausschnitte von größeren Systemen, die sich in Stockers Überlegungen wohl ins Unendliche fortsetzen. Die "Vagheit exakter Formen" interessiere sie, sagt die Künstlerin zu alldem selbst.

Ein fast retrospektiver Überblick ihrer Strategie wird zurzeit in Innsbruck in der Galerie im Taxispalais ermöglicht: Hier zeigt Stocker ihre sich über alle Medien gleichermaßen legende Organisationskunst in Perfektion. Nicht einmal den Eingang konnte sie dem Gewöhnlichen überlassen, sie schleust den Besucher durch einen zweiteiligen eckigen Tunnel - und schleudert ihn gleichzeitig elegant mit einem sachten Knick aus seiner üblichen Achse. In symbolischem Sinne katapultiert sie ihn damit sogar direkt hinunter in die unterirdische Oberlichthalle, mitten ins Zentrum, wo einer von Stockers Rastern den Raum besetzt hält. Wie ein personifizierter Störfaktor bewegt man sich durch ein fragil wirkendes, nur fragmentarisch angedeutetes Gitter.

Mehr noch als in ihrer Malerei macht Stocker hier auch körperlich spürbar und bewusst, dass wir uns permanent in unsichtbaren Konstruktionen bewegen - und damit ist nicht unbedingt Esoterisches wie Kraftlinien gemeint. Nein, man könnte hier so Banales wie die elektromagnetische Strahlung von Haushaltsgeräten genauso hineininterpretieren wie die perspektivischen Fluchtlinien, mit denen sich einst ein Renaissancemaler den Raum erschlossen hätte.

Weniger überzeugend als Stockers Malerei und Installationen - allerdings thematisch trotzdem erstaunlich konsequent in ihrem Bezug auf Raum, Körper und Wahrnehmung - sind die ergänzend ausgestellten (älteren) Videos und (neueren) Fotografien, die etwa die Figur der Künstlerin selbst hinter einem Turm aus schwarz gefärbelten Kartons erahnen lassen.

In jedem Fall ist diese Schau aber auch ein starkes Signal im zurzeit wieder völlig im männlichen Genie-Begriff verfangenen gegenständlichen Malerei-Boom. Stocker lässt sich von Markt und Trends anscheinend nicht irritieren und verliert sich unbeirrbar in ihrem System.

© diepresse.com | Wien