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03.11.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Hoher Suchtfaktor bei Lachenmann und Co. Wien Modern. Ein Streifzug durchs Festival-Programm.
VON WALTER WEIDRINGER

V
ergessen Sie die Vien nale. Hingabe, Treue und Ausdauer des p. t. Publikums in selbstloser Begeisterung für die Kunst verlangt ab morgen, Freitag, allein Wien Modern - das Festival für höchste Ansprüche, aber gegen fixe Erwartungen. Obacht: hoher Suchtfaktor! Hat man sich einmal von alten Zwängen verabschiedet, wie Musik sein dürfe und wie nicht, kann man sich oft gar nicht mehr satt hören.

Sie glauben's nicht? Dann gehen Sie hin und beweisen mir das Gegenteil! Die Ohren aufgehen werden Ihnen zum Beispiel bei Helmut Lachenmann: In seiner Musik wird geschabt, geknarzt, geraschelt und gekratzt, dass es eine Freude ist. Höhepunkt der Personale zum 70er: die Aufführung von ". . . zwei Gefühle. . ." aus seiner Erfolgsoper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" mit dem Komponisten selbst als Sprecher.

Wer es eher opulent liebt, ist bei Giacinto Scelsi besser aufgehoben. Der exzentrische italienische Conte begriff sich selbst als musikalisches Medium, wurde aber nach seinem Tod 1988 als Scharlatan diskreditiert, weil seine Stücke nicht er, sondern seine Schüler niedergeschrieben hatten. Dabei ist das erstens immer so bei Medien und zweitens der Werkstattgedanke in der bildenden Kunst längst ein alter Hut. Faszinierend aufgefächerte Klänge bietet er allemal - zum Beispiel in dem auf einer Maya-Legende basierenden "Uaxuctum" für Chor und Orchester.

Da muss man bei Beat Furrer die Ohren schon viel genauer spitzen. Der Österreicher aus der Schweiz kann's nämlich noch leiser, zarter und filigraner als die meisten - und verbindet dabei antike Mythen mit den Graubereichen zwischen den Künsten. Etwa in "ABBILD", wo ein Streichquartett mit Gemälden von Hanns Kunitzberger verquickt wird. Den spektakulären Abschluss bildet "FAMA".

Was noch? Eine Schiene mit avanciertem Pop ("collective identities"), der "Dschungel Wien Modern" mit Projekten für Neugierige ab 6 Jahren, Ur- und Erstaufführungen en masse - und natürlich das traditionelle Gratis-Schinkenfleckerlessen für alle: nach Wolfgang Mitterers neuer Brachialsinfonie mit dem Titel "coloured noise".

Und das nötige Schwärmen, Schimpfen, Tanzen, Essen und Trinken kann man von nun an in der "Wien Modern Lounge" täglich von 18 bis 2 Uhr früh erledigen.

Siehe auch Seite 27.

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