Salzburger Nachrichten am 16. November 2005 - Bereich: Kultur
Anleitung für Kuratorentexte MARTIN BEHR
Bei Sätzen wie diesen schlägt das Kuratorenherz höher: "D ie
konnotative Ebene des Visuellen, seine kontextuelle Referenz und
Positionierung in verschiedenen diskursiven Bedeutungs- und
Assoziationsfeldern bezeichnet den Punkt, an dem sich bereits kodierte
Zeichen mit den Tiefen des semantischen Codes einer Kultur kreuzen und
zusätzliche, aktivere Dimensionen annehmen." Da beginnt es in der
intellektuellen Kulturarbeiterseele hell zu glänzen. Heftiges Stöbern im
Fremdwörterlexikon, Anleihen bei Weisheiten aus den Denkwerkstätten von
Paul Virilio oder Willem Flusser sowie die inflationäre Verwendung von
Vokabeln wie "Transformationsprozess", "Schnittstelle",
"Reterritorialisierung" oder "Exklusion": Fertig ist er, der
Kuratoren-Sprech unserer Tage, der immer diffiziler und zugleich auch
berechenbarer wird. A lles ist lernbar, daher finden Sie an dieser Stelle eine kleine
Anleitung dazu, wie im Betriebssystem Kunst Projekt-Texte geschliffener,
also unverständlicher (und daher potenziellen Subventionsgebern
sympathischer) erscheinen können: Verwendung englischer Projekttitel.
"Inter-Spaces" klingt interessanter als "Zwischenräume" und verliert sich
doch in einer breiten Raum eröffnenden Beliebigkeit. Wenn nichts mehr
hilft, hilft eine gewagte Orthografie. Ihr Projekt ist stinklangweilig und
insgesamt wenig aussagekräftig? Nennen sie es "skizzen.haft". Der Punkt
zwischen den Silben in Kombination mit der szeneintern nicht
umzubringenden Kleinschreibung suggeriert eine nicht vorhandene
Bedeutungsebene. Immer beliebter werdend: der unmotivierte Bindestrich.
"Ent-Setzen" etwa. Oder "Be-fremdlich". Sieht gut aus und sagt nichts aus.
E in dem eigentlichen Text vorangestelltes Zitat von Gilles Deleuze
oder Walter Benjamin ist zwar nicht (mehr) grandios originell, schaden
kann es aber nie. Nehmen Sie die Verben "oszillieren" und "evozieren" in
Ihren Sprachgebrauch auf. Sie befinden sich in guter Gesellschaft und
werden garantiert besser verstanden, auch wenn Sie nicht verstanden
werden. Bleiben Sie in der Aussage stets unbestimmt und navigieren (auch
nicht schlecht!) Sie zwischen Substantiva wie "Nicht-Ort",
"Kristallisationspunkt", "Komplexität", "Diskursivität" oder
"Bildpolitiken". Haben Sie stets Abscheu vor einer "Eventisierung" und
widerstehen Sie der Versuchung, allgemein verstehbar zu sein. Schreiben
Sie einfach "synekdochische Idiosynkrasien". Wenn schon, denn schon. |