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Kunstberichte

Die bisher größte Franz-Marc-Retrospektive findet im Münchner Lenbachhaus und im Kunstbau statt

Im Reich der bunten Tiere

Franz Marcs Lieblingstier war das Pferd, seine Lieblingsfarbe war Blau, beides hat er im abgebildeten

Franz Marcs Lieblingstier war das Pferd, seine Lieblingsfarbe war Blau, beides hat er im abgebildeten "Blauen Pferd I" aus 1911 vereint. Städtische Galerie Lenbachhaus, München

Von Krista Hauser

Irritation für den sporadischen München-Besucher vor der pathetischen, klassizistischen Kulisse am Königsplatz: Franz Marcs "Blaues Pferd", seine berühmte "Gelbe Kuh", etwas verfremdet, plakatiert auf zwei überdimensionalen Schachteln.

Für den Ansturm auf die Gesamtschau von Bildern und Grafiken Franz Marcs sind das Lenbachhaus und seine Dependence, der Kunstbau, gerüstet. Der Ansturm scheint gewiss, denn der Maler der kühnen, bunten Tiere, Mitbegründer der legendären Münchner Avantgardegruppe "Blauer Reiter", ist dank Posters, Karten, Kalenderdrucken populär wie kein anderer deutscher Künstler des 20. Jahrhunderts.

Wer kennt sie nicht, die "Rehe im Wald", den "Blauschwarzen Fuchs", die Pferde in allen Farb- und Formvariationen? Das Lenbachhaus besitzt schließlich selbst die wunderbare Sammlung des "Blauen Reiter" mit Ikonen Franz Marcs, kann also bei diversen Wanderausstellungen mit seinen Beständen auftrumpfen. Doch erst jetzt, in der Retrospektive zu seinem 125. Geburtstag, lernt man den "ganzen" Franz Marc kennen: 100 Gemälde, 145 Zeichnungen, Gouachen, Aquarelle, Tierskulpturen.

Perfekte Schau

Ein erstmals erstelltes Werkverzeichnis machte es möglich, dass die perfekt inszenierte Schau mehr als eine Hommage auf die Malerei, auf den glühenden Farbenrausch des Künstlers wurde. Die oft beschworene "Neue Sicht" auf einen Heroen der beginnenden Moderne wird spürbar. Bestimmte Motive, Bilder, Arbeiten auf Papier in Gruppen zusammengefasst oder einander gegenübergestellt, machen Zusammenhänge, Einflüsse anderer Künstler, anderer Richtungen, der Fauves, des Kubismus und Futurismus, auch Bruchlinien in der Entwicklung sichtbar.

"Die große Umwälzung"

Zitate Franz Marcs bestimmen das Konzept der Schau: "Das Bild ist ein Kosmos, der ganz anderen Gesetzen unterliegt als die Natur", notierte er etwa 1911. Und zwei Jahre später schrieb er: "Dies ist die ‚große Umwälzung‘, die kühne Umkehr alles Gewohnten. Man hängt nicht mehr am Naturbild, sondern vernichtet es, um die mächtigen Gesetze, die hinter dem schönen Schein walten."

Die "große Umwälzung", das war der konsequente Weg von der Malerei der Münchner Schule Ende des 19. Jahrhunderts über die Periode heller, lichtdurchflutete Freilichtmalerei zur Abstraktion, einer Befreiung, die sich in der Aufsplitterung des Bildes in farbige Prismen und Rauten ankündigt und am Ende in Kompositionen rein abstrakter Formen mündet.

Dieses sachliche Konzept tut gut, denn allzu lange wurde Marc primär als Künstler einer "kommenden geistigen Religion", als Prophet einer spirituellen Dimension der Kunst gesehen. Durchaus in seinem Sinne, doch für das Verständnis eines säkularisierten Betrachters von heute eher hinderlich. Die Schau befreit auch vom Personenkult um das früh vollendete Genie. Franz Marc fiel 1916 vor der Schlacht vor Verdun.

Das Leben eines Dandys

Eigentlich wollte der 1880 in München geborene Sohn eines bayrischen Malers und einer streng kalvinistischen Mutter Theologe werden, dann Philologe, doch da ärgerte ihn das "verwünschte Lesen".

Also entschied er sich doch für die Kunst, pinselte vorerst etwas lustlos vor sich hin, fand Gleichgesinnte, reiste nach Paris, entdeckte die Impressionisten, kehrte heim, führte das Leben eines Dandys, der lange Nächte und Frauen liebte.

"Es ging so viel Wärme von ihm aus – dazu ein unbeschreibliches Etwas, für das ich keine Worte finden kann", schwärmte seine spätere Ehefrau Maria Frank. Sie und eine zweite Muse, mit der ihm ebenfalls ein kurzes "Eheglück" verbinden sollte, hat er bei einem gemeinsamen Sommeraufenthalt 1906 gemalt: Das lebensgroße Bild "Zwei Frauen am Berg" zerstörte er, teilte es in zwei Hälften.

Bilder von Frauen sind im Œuvre des Künstlers rar.

Maler zu entdecken

Zu entdecken sind auch kaum bekannte Arbeiten aus europäischen Museen, weiters Spitzenwerke, die aus den USA nur selten nach Europa geschickt werden.

Etwa das fast sakral anmutende Gemälde "Der Stier" aus dem Guggenheim Museum, auch die monumentale rote "Weltenkuh" aus dem Museum of Modern Art in New York, ein Bild, in dem Marc den Zeugungs- und Schöpfungsakt feiert. Weiters aus dem Guggenheim Museum das düstere Gemälde "Das arme Land Tirol" mit den kantigen Bergmotiven, kubischen Häusern und dürren, schwarzen Pferden, eine Vorahnung des kommenden Krieges.

Die beiden letztgenannten Bilder malte der Künstler 1913 nach einer Südtirol-Reise mit seiner Frau Maria. In einer Reihe von Skizzen, Zeichnungen und kleinen Gouachen hat Marc diese Reise dokumentiert und liefert damit Aufschlüsse über den Entstehungsprozess großer Werke. Von seinen Reisen, auch von kurzen Aufenthalten schickte Franz Marc Kartengrüße an seine Freunde, an Kandinsky, Kubin, Heckel, an Gabriele Münter und Else Lasker-Schüler: poetische Miniaturen, die selbst Marc-Experten überraschen. Auch auf diesen Botschaften dominieren Tiere, Füchse und Schafe, selbst ein Schwein unter Bäumen, ein Steinbock, eine rote Kuh, ein ruhendes Tier.

Das große Thema Tier

Marcs großes Thema war eben das Tier. Ihm begegnet man in allen Schaffensperioden: von den naturalistischen Schafen auf der Staffelalm aus dem Jahre 1902 bis zu dem vom Futurismus geprägten Gemälde "Vögel" in leuchtendem Kolorit, das 1914, zwei Jahre vor Marcs Tod, entstand.

Spitze Winkel und Schrägen schaffen Dynamik, Bewegung. Weitere aufregende Bilder der Ausstellung, die Marcs Zeitgenossen bewunderten oder auch verstörten, die von den Nazis als "entartet" verfemt wurden, heute zu Fixsternen der Kunst zählen: "Der weiße Hund vor der Welt", salopp "Iphigenie als Hund" genannt. Eine Rückenfigur vor einer kubisch aufgesplitterten Landschaft sind die "Zwei Katzen, blau und gelb".

Marcs liebstes Tier, immer wieder neu gesehen, neu erdacht, festgehalten in Ruhe und Bewegung: Einsam, schräg im Raum stehend, dann wieder in rhythmischen Gruppen zusammengefasst, in nächtliche Landschaften integriert, auf der Weide, an der Tränke, auch in einer abstrahierenden Formensprache immer noch als Figur sinnlich wahrnehmbar: Das Pferd. Er hat es gemalt in Rot und Gelb, in Schwarz und Grün und den unendlichen Nuancen von Blau, der Lieblingsfarbe der Romantiker, Marcs symbolischer "Geistesfarbe".

Freitag, 23. September 2005


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