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Der Interessantist
MUSEEN  Wolfgang Kos, soeben zum neuen Direktor des Historischen Museums bestellt, ist ein kunstsinniger Generalist. Eigentlich wollte der promovierte Historiker Sportreporter werden, wurde stattdessen Feature-Redakteur beim Radio und Pophistoriker. Er kuratierte Musikfestivals und Ausstellungen und soll das marode städtische Museum am Karlsplatz wieder in Schwung bringen. MATTHIAS DUSINI

INTERVIEW WOLFGANG KOS: "Der Karlsplatz ist so uninteressant!"

Falter 38 Originaltext aus Falter 38/02 vom 18.09.2002

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Nach einer knappen Dreiviertelstunde ist alles vorbei. Wolfgang Kos hat dem Falter Rede und Antwort gestanden. 45 Minuten müssen für den einen oder anderen guten Sager reichen, das weiß einer, der seit 35 Jahren für den Rundfunk arbeitet. Österreichs hurtigster Feuilletonist springt vom Tisch im Café Resselpark auf und steckt die Zigarilloschachtel ins Sakko. Für private Fragen ist kaum Zeit geblieben. "Was bedeutet es Ihnen, mit 53 zum ersten Mal Vater zu werden?" "Das macht mutig", und schon ist Kos wieder weg - unterwegs zu einem Gespräch mit dem Hörfunkintendanten. Am Ende dieses Jahres wird Kos den ORF verlassen, um im April 2003 seine Arbeit als Direktor des Historischen Museums anzutreten.
Die offizielle Bezeichnung des in Mödling als Sohn eines Hofrates Geborenen wird lauten: "Direktor der Museen der Stadt Wien". Neben dem großen Haus am Karlsplatz gehören nämlich noch über zwanzig kleinere Schauräume, Sammlungen und Gedenkstätten zu Kos’ zukünftigem Reich: die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten, die Modesammlung in Schloss Hetzendorf, das Uhrenmuseum oder die Mozart-Gedenkstätte Figarohaus, die im Jahr 2000 fast genauso viele Besucher hatte wie das bei Wien-Touristen kaum bekannte Historische Museum am Karlsplatz.
Der promovierte Historiker Kos braucht das Ende einer Interviewfrage nicht abzuwarten, um zu einer Antwort auszuholen. Manchmal lässt er das Verb weg, um möglichst schnell zum Punkt zu kommen und, dort angelangt, differenzierende Begriffe zu häufen. Nein, der berufliche Wechsel von einer Seite des Mikrofons auf die andere sei nichts Neues für ihn. "Ich habe in meinem Leben oft Veranstaltungsreihen und Ausstellungen promoten müssen. Ich musste versuchen, gute Sager für meine Kollegen parat zu haben, damit sie auch was schreiben."
"Ich kenne niemanden, der in seinem Alter noch so herumspringt, körperlich wie geistig", meint die Kunsthistorikerin Stella Rollig, die Kos als Mentor ihrer Tätigkeit als Radiojournalistin bezeichnet. 1996 holte sie ihn selbst als Kuratorin für bildende Kunst in den Vorstand des Kunstvermittlungsvereins depot, dem Kos bis heute angehört.
Im krassen Gegensatz zu seiner leidenschaftlichen Motorik steht die Programmatik von Kos’ Ausführungen, die im Wesentlichen von kultureller Verlangsamung handelt. Bezeichnend ist seine Begeisterung für den Ort des Interviews, ein Café, das kaum einem der 50.000 Passanten auffällt, die täglich über den Karlsplatz strömen. Für ihn ist es ein hortus conclusus, eine Jausenstation im Wienerwald mitten in Wien, ein wunderbares Bauwerk. "Man sollte es sich einmal architekturgeschichtlich anschauen: ein Mittelrisalitbau in Holz." Als passioniertem Stadtspaziergänger ist Kos der Karlsplatz gleichwohl ein Gräuel (siehe auch Interview).
Kos ist einer der leistungsfähigsten kulturellen Durchlauferhitzer des Landes. Aber als gelernter Historiker weiß er, dass Zeit vergehen muss, bis man die notwendige Distanz bekommt: "In der Geschichtsschreibung ist ein Mindestabstand notwendig. Als Historiker kann man nicht die Geschichte des heutigen Tages schreiben." In blumigen Worten lobt Kos die Langsamkeit. "Im Zeichen der Schnecke" - mit diesen Worten begann ein Vortrag über die Zukunft städtischer Museen. "Popmuseum" lautete der paradoxe Name einer legendären Ö3-Sendung, die Kos von 1974 bis 1995 gestaltete. Auch bei der von ihm zusammen mit Edek Bartz im Rahmen der Wiener Festwochen konzipierten Konzertreihe "Töne & Gegentöne" (1983-1991) trat Kos auf die Bremse. ",Töne & Gegentöne' war so erfolgreich, dass wir das Festival jedes Jahr machen wollten. Wolfgang bestand auf dem Zweijahresrhythmus mit der Begründung, er brauche Zeit, um bewerten zu können, was es interessantes Neues gibt", erinnert sich Bartz.
"Was zählt, das liegt dazwischen", textete Kos für eine Nummer der von ihm mit Edek Bartz gegründeten New-Wave-Band Leider keine Millionäre. Um dieses Dazwischen zu veranschaulichen, scheut Kos keinen Aufwand. Zum 60. Jahrestag der Gründung der Ersten Republik rekonstruierte er für das Radio mithilfe von Zeitungen, Büchern, Polizeiakten, Briefen und Zeitzeugen den 18. November 1918. Damals erkundigte sich der Pianist Paul Wittgenstein per Inserat im Neuen Wiener Tagblatt nach dem Verbleib seines Bruders Ludwig, wurde zum ersten Mal Arbeitslosengeld ausbezahlt und stürmten im steirischen Strass Dorfbewohner die Kaserne. Nicht - wie sich im Zuge der Kos’schen Recherchen herausstellte - als Auftakt zur Revolution, sondern wegen einer simplen Liebesgeschichte.
Kos’ Radio-Feature war genau das, was er selbst als eine "Tiefenbohrung von mikroskopischer Genauigkeit" nennen würde. Ähnlich tief und genau gebohrt war die von ihm kuratierte Niederösterreichische Landesausstellung 1992 über den Semmering. Die Ausstellung hieß "Die Eroberung der Landschaft - Semmering. Rax. Schneeberg", fand auf Schloss Gloggnitz statt und war wohl einer der triftigsten Gründe für den Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, den gebürtigen Mödlinger zum Herrn über 135 Mitarbeiter und 1,7 Millionen Objekte einzusetzen.
Kos präsentierte das Gebiet zwischen Schneeberg und Raxalpe als touristische Urszene. Für ihn stellte die Ausstellung den Versuch dar, die Theorien des Kulturwissenschaftlers Wolfgang Schivelbusch, der 1977 seine "Geschichte der Eisenbahnreise" veröffentlicht hatte, auf ein Panorama des 19. Jahrhunderts anzuwenden. "Mich interessierte der Semmering als Landschaft in der Nähe einer Großstadt, aufgeladen mit zivilisatorischer Inszenierung, die die Semmeringbahn als Triumphmarsch der Eisenbahnkunst im 19. Jahrhundert zum Ausgangspunkt hatte."
Kos’ Semmering-Recherche beruhte auf dessen 1984 fertig gestellter Dissertation im Fach Geschichte. Es war der zweite Anlauf. Der erste scheiterte am Thema "Die Entnazifizierung in Österreich 1945-1949". "Es war zu große für einen Nebenberufsgeschichtsstudenten. Zum anderen war damals keine Partei bereit, mich in ihr Archiv zu lassen. Ich hatte Parteitagsprotokolle und wusste, in welcher Partei wer dafür zuständig war, die Nazis reinzuholen. In einem Geschichtswerk muss das aber belegt werden, und es war unmöglich, sichere Quellen dafür zu finden."

Neben Popkultur und Geschichte gehört auch die bildende Kunst zu den Betätigungsfeldern des Generalisten Kos. Er kuratierte 1997 die Ausstellung "Alpenblicke. Die zeitgenössische Kunst und das Alpine" in der Kunsthalle Wien, für die er zurzeit - gemeinsam mit Thomas Mießgang - eine Ausstellung über den Umgang von Künstlern mit der Rockgitarre vorbereitet.
Kos’ Kunstleidenschaft wird nun auch an seinem neuen Arbeitsplatz nicht zu kurz kommen. Das Historische Museum verfügt über eine schöne Kunstsammlung - vom Altertum bis in die Gegenwart. Dennoch möchte er nicht, wie es Peter Noever mit dem von ihm geleiteten Museum für angewandte Kunst getan hat, aus einem Sachmuseum eine Kunsthalle machen. "Der heikle Punkt ist, dass sich die Kunst sehr viele Bereiche erobert hat. Künstler glauben, sie sind die besseren Globalisierungskritiker, sie können wesentliche Aussagen zur Geschlechterpolitik machen, zur Urbanistik sowieso. Ich finde das faszinierend, aber auch ein bisserl einen Wahnwitz."
Kos ist kein Thema zu abgelegen, kein Name zu unbedeutend. Nicht umsonst ist eines der am häufigsten von ihm verwendeten Wörter "interessant". Sein Interessantismus legt sich ebenso über die Anfänge des Reggae wie über den isländischen Künstler Olafur Eliason, das Kulturleben der senegalesischen Hauptstadt Dakar oder die neuen Lokale am Wiener Gürtel.
Der leicht geschmäcklerische Hang zum Archivieren des Aktuellen, der Wolfgang Kos auszeichnet, könnte sich gerade im Fall des Historischen Museums als Kardinaltugend erweisen, denn das Historische Museum hat die neuere Stadtgeschichte bislang kaum berücksichtigt. Seine Begeisterung für die auf Schmetterlingsnadeln gespießte Gegenwart erläutert Kos anhand jener Abteilung des Historischen Museums, in der komplette Zimmer gesammelt werden: das Wohnzimmer von Adolf Loos, das Schlafzimmer von Franz Grillparzer, aber auch ein Wiener Kaffeehaus. "Wenn ich lese, dass im Jahr 2002 in Wien Kommissariate geschlossen werden, überlege ich mir als Zeithistoriker, was das bedeutet. Ich war schon relativ oft in meinem Kommissariat. Dabei ist mir aufgefallen, dass diese Räume gewissermaßen einen visuellen Geruch haben. Das sind interessante Orte, die sich neben der Zeit entwickelt und nicht alle Modernisierungen mitgemacht haben. Wenn ich in dreißig Jahren davon erzählen möchte, muss ich so gut wie Thomas Mann sein oder Heimito von Doderer, um das festzuhalten: von der spartanischen Möblierung bis zu den hilflosen Behübschungsversuchen. Da ist mir auch wichtig, welche Ansichtskarten an der Wand hängen: von tropischen Inseln und nackerten Frauen bis zu Bürosprüchen."

Kurze, prägnante Sätze; treffsichere Metaphern; eine Intonation, die die Melancholie einer Bruce-Springsteen-Nummer erreichen kann: Das ist Wolfgang Kos, wenn er im Radio spricht. 1968, noch während des Studiums, begann er für die Jugendradiosendung "Musikbox" zu arbeiten. "Ich musste erst einen Stimmkurs machen weil ich alles verschluckt habe", erinnert sich Kos, der eigentlich Sportreporter werden wollte. "Jemand anderer hat meine Texte vorlesen müssen. Meine Stimmen waren Wolfgang Hübsch, Franz Morak, Ludwig Hirsch. Morak war in einer Serie über David Bowie ideal, weil er den leicht zynischen Ton von Bowie wunderbar traf."
Der Musikjournalist Fritz Ostermayer, selbst einer der vielen von Kos fürs Radio Entdeckten, hält dessen Stil für oft kopiert, aber nur dann erreicht, "wenn seine Nachahmer zu einem eigenen Stil gefunden haben". "Er war in Österreich der erste, der, lange vor der Rezeption der Cultural Studies, Pop feuilletonistisch angegangen ist. Er kann Inhalte unhysterisch vermitteln und sah sich immer als Moderator - im Sinne eines Gustomachers."
Kos nennt sich selbst einen "Volksbildner"; er rückte für das Ö1-Publikum Nick Cave in die romantische Liedtradition eines Franz Schubert und vermittelte andererseits den jungen Ö3-Hörern, "dass Popmusik nicht nur Herz und Spatzerl ist" (Ostermayer). Die Ö1-Sendung "Diagonal - Radio für Zeitgenossen", die Kos seit 1984 gemeinsam mit Michael Schrott leitet, gilt als angesehenes Radiofeuilleton.
Ein Defizit seiner intellektuellen Ausrüstung gesteht Kos ein: "Ich bin recht schwach in Theorie. Von den neuen linken Büchern in den Siebzigerjahren bis zu den Gender Studies heute - das alles verstehe ich nur zum Teil. Ich weiß immer, welche gerade in Mode sind, und finde sie auch recht anregend, weil sie einen gewissen Sog entwickeln. Ich habe mich aber eher pragmatisch an Beispielen der Kulturgeschichte orientiert."
Als weitere Schwachstelle könnte sich Kos’ leicht monomaner Arbeitseifer erweisen. Seine Auffassungsgabe ist groß, und er arbeitet so effektiv, dass in kürzester Zeit jede von ihm aufgenommene intellektuelle Regung verkost wird - eine Fähigkeit, die er mit dem von ihm geschätzten Künstler und Theoretiker Peter Weibel teilt. Er selbst sieht sich freilich als Teamarbeiter; und Feldherren, so meint Kos, gebe es unter Wiens Museumsdirektoren schon genug.


INTERVIEW WOLFGANG KOS
"Der Karlsplatz ist so uninteressant!"


Falter: Das Historische Museum liegt am Rande des Karlsplatzes, dort, wo niemand durchgeht. Wie wollen Sie dem Museum zu mehr Sichtbarkeit verhelfen?

Wolfgang Kos: Ich werde alles unterstützen, was mit Kunst im öffentlichen Raum zu tun hat. Interessant sind kluge, interessante, feine Einzelmaßnahmen, die nicht nur L'art pour l’art sind, sondern jeweils einen sozialen und stadtorganisatorischen Zweck erfüllen. Hier ist die Kunst als Dienstleister gefragt. Zum Zweiten hoffe ich, dass es einen konzeptiven Sprung über die breite Straße vor dem Museum gibt, die ja nach den Plänen der Architekten Jabornegg & Pálffy schmäler werden soll. Wenn die Straßenbahnlinie J nicht mehr den Bogen über den Platz vor dem Künstlerhaus macht, ist auch der "Bahndamm" nicht mehr notwendig, der das Schlimmste am Karlsplatz ist. Es geht darum, Blickbeziehungen herzustellen. Stadtwahrnehmung läuft über Blicke, über gewohnte und überraschende.

Das Künstlerhaus möchte unterirdisch ausbauen. Was ist mit den Plänen des Historischen Museums, Räume vom Künstlerhaus anzumieten?

Ich hoffe sehr, dass die Kooperation zustande kommt, auch, um dieses sensationelle Ausstellungshaus gelegentlich bespielen zu können. Wenn der unterirdische Ausbau tatsächlich realisiert wird, kann nur etwas Gutes dabei herauskommen.

Wie ist Ihre Sicht auf den Karlsplatz als Stadtbenutzer?

Ich lebe eine Minute vom Karlsplatz entfernt und liebe ihn nicht. Wenn ich in den ersten Bezirk will, gehe ich manchmal zu Fuß stadtauswärts zur U-Bahn-Station Taubstummengasse, um den Karlsplatz zu unterfahren, weil das Drübergehen wirklich fad ist. Mein Problem ist nicht, dass hier viele Menschen herumstehen, die etwas mit Drogen zu tun haben. Aber der Karlsplatz ist so uninteressant! Ich hasse diese friedhofsartige Bepflanzung entlang der Mäuerchen. Wenn die künftigen Ideen für den Karlsplatz mit der Bereitschaft der Stadtgärtnerei gekoppelt werden, den Bewuchs radikal zu entrümpeln, kann ich mir vorstellen, dass vieles gelingt. Jan Tabor (Falter-Architekturkritiker, Anm. d. Red.) hat auf einer Diskussionsveranstaltung allerdings das Weiseste zum Thema gesagt: "Es kann keine Generallösung geben." Jeder, der das versucht, muss scheitern.

Interview: Matthias Dusini

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September 2002 © FALTER
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